Der psychologische Lyriker hatte recht: Stilpe fühlte sich in seiner bevorzugten Lage sehr un¬ glücklich.
Er lebte allerdings sehr gut, seitdem er "in der Feuilletonmanege die Pausen durch schwierige Scherze ausfüllte", wie er sein kritisches Amt um¬ schrieb. Er aß bei Kempinsky, ließ bei einem englischen Schneider arbeiten, trank nur ausgesuchte Spirituosen und hatte, wenn auch kein ständiges, so doch eine Art von Wanderharem, "wohlassortiert".
Daß darunter keine eigentliche Geliebte war, empfand er nicht als Mangel. Dieses Bedürfnis hatte er nicht, wenn ihn auch manchmal so etwas wie Sehnsucht darnach anwandelte.
-- Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich ein¬ mal richtig verliebte, sagte er sich; das wäre doch wenigstens ein Surrogat für das Andere. Aber es gelang ihm nicht.
Was aber war "das Andere"?
Ein paar Stellen seines "Heftes der Aufrich¬ tigkeiten" geben darüber Aufschluß.
Dieses Heft legte er zu dem Zeitpunkte an, als seine Stellung anfing, gesichert zu werden; und das war dieselbe Zeit, um die er begann, sich un¬ zufrieden zu fühlen.
Stilpe.
Der pſychologiſche Lyriker hatte recht: Stilpe fühlte ſich in ſeiner bevorzugten Lage ſehr un¬ glücklich.
Er lebte allerdings ſehr gut, ſeitdem er „in der Feuilletonmanège die Pauſen durch ſchwierige Scherze ausfüllte“, wie er ſein kritiſches Amt um¬ ſchrieb. Er aß bei Kempinsky, ließ bei einem engliſchen Schneider arbeiten, trank nur ausgeſuchte Spirituoſen und hatte, wenn auch kein ſtändiges, ſo doch eine Art von Wanderharem, „wohlaſſortiert“.
Daß darunter keine eigentliche Geliebte war, empfand er nicht als Mangel. Dieſes Bedürfnis hatte er nicht, wenn ihn auch manchmal ſo etwas wie Sehnſucht darnach anwandelte.
— Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich ein¬ mal richtig verliebte, ſagte er ſich; das wäre doch wenigſtens ein Surrogat für das Andere. Aber es gelang ihm nicht.
Was aber war „das Andere“?
Ein paar Stellen ſeines „Heftes der Aufrich¬ tigkeiten“ geben darüber Aufſchluß.
Dieſes Heft legte er zu dem Zeitpunkte an, als ſeine Stellung anfing, geſichert zu werden; und das war dieſelbe Zeit, um die er begann, ſich un¬ zufrieden zu fühlen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0322"n="308"/><fwplace="top"type="header">Stilpe.<lb/></fw><p>Der pſychologiſche Lyriker hatte recht: Stilpe<lb/>
fühlte ſich in ſeiner bevorzugten Lage ſehr un¬<lb/>
glücklich.</p><lb/><p>Er lebte allerdings ſehr gut, ſeitdem er „in der<lb/>
Feuilletonman<hirendition="#aq">è</hi>ge die Pauſen durch ſchwierige<lb/>
Scherze ausfüllte“, wie er ſein kritiſches Amt um¬<lb/>ſchrieb. Er aß bei Kempinsky, ließ bei einem<lb/>
engliſchen Schneider arbeiten, trank nur ausgeſuchte<lb/>
Spirituoſen und hatte, wenn auch kein ſtändiges,<lb/>ſo doch eine Art von Wanderharem, „wohlaſſortiert“.</p><lb/><p>Daß darunter keine eigentliche Geliebte war,<lb/>
empfand er nicht als Mangel. Dieſes Bedürfnis<lb/>
hatte er nicht, wenn ihn auch manchmal ſo etwas<lb/>
wie Sehnſucht darnach anwandelte.</p><lb/><p>— Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich ein¬<lb/>
mal richtig verliebte, ſagte er ſich; das wäre doch<lb/>
wenigſtens ein Surrogat für das Andere. Aber<lb/>
es gelang ihm nicht.</p><lb/><p>Was aber war „das Andere“?</p><lb/><p>Ein paar Stellen ſeines „Heftes der Aufrich¬<lb/>
tigkeiten“ geben darüber Aufſchluß.</p><lb/><p>Dieſes Heft legte er zu dem Zeitpunkte an, als<lb/>ſeine Stellung anfing, geſichert zu werden; und<lb/>
das war dieſelbe Zeit, um die er begann, ſich un¬<lb/>
zufrieden zu fühlen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[308/0322]
Stilpe.
Der pſychologiſche Lyriker hatte recht: Stilpe
fühlte ſich in ſeiner bevorzugten Lage ſehr un¬
glücklich.
Er lebte allerdings ſehr gut, ſeitdem er „in der
Feuilletonmanège die Pauſen durch ſchwierige
Scherze ausfüllte“, wie er ſein kritiſches Amt um¬
ſchrieb. Er aß bei Kempinsky, ließ bei einem
engliſchen Schneider arbeiten, trank nur ausgeſuchte
Spirituoſen und hatte, wenn auch kein ſtändiges,
ſo doch eine Art von Wanderharem, „wohlaſſortiert“.
Daß darunter keine eigentliche Geliebte war,
empfand er nicht als Mangel. Dieſes Bedürfnis
hatte er nicht, wenn ihn auch manchmal ſo etwas
wie Sehnſucht darnach anwandelte.
— Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich ein¬
mal richtig verliebte, ſagte er ſich; das wäre doch
wenigſtens ein Surrogat für das Andere. Aber
es gelang ihm nicht.
Was aber war „das Andere“?
Ein paar Stellen ſeines „Heftes der Aufrich¬
tigkeiten“ geben darüber Aufſchluß.
Dieſes Heft legte er zu dem Zeitpunkte an, als
ſeine Stellung anfing, geſichert zu werden; und
das war dieſelbe Zeit, um die er begann, ſich un¬
zufrieden zu fühlen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/322>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.