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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Viertes Buch, erstes Kapitel.
Blätter laufen, und die Aufmerksamkeit der Redak¬
tionen galt nun nicht mehr seinen Ohrfeigen, sondern
seinem offenbar großen journalistischen Talent.
Er kam an einem konservativ-antisemitischen Blatte
an und schrieb nun das boshafteste Zeug, was sich
nur denken läßt, gegen die "koschere Litteratur".
Er hat geradezu den antisemitischen Knüppelstil
erfunden. Und auf einmal, wie mit einem Krach,
saß er auf der anderen Seite und drasch auf die
Antisemiten los, daß es nur so knackte.

-- Na, das ist doch der Cynismus der Cha¬
rakterlosigkeit in frechster Form!

-- Aber es hat Stil, mein Junge, und,
übrigens: Denkst Du heute noch über Arminius
so, wie in Sexta?

-- Erlaube mal, damit läßt sich jede Käuflich¬
keit entschuldigen.

-- Ich behaupte ja nicht, daß er ein mora¬
lisches Exempel ist. Er ist ein Landsknecht der
Feder, jedem zu Diensten und in jedem Dienste
ein Draufgänger. Wie ein General zur Zeit der
italienischen Renaissance, der seinem Feldherrnstab
bald das, bald jenes Wappen als Knauf aufsetzte,
so schwang er bald diese, bald jene Fahne. Aus
dem Raddau-Antisemiten und fortschrittlichen Los¬

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Viertes Buch, erſtes Kapitel.
Blätter laufen, und die Aufmerkſamkeit der Redak¬
tionen galt nun nicht mehr ſeinen Ohrfeigen, ſondern
ſeinem offenbar großen journaliſtiſchen Talent.
Er kam an einem konſervativ-antiſemitiſchen Blatte
an und ſchrieb nun das boshafteſte Zeug, was ſich
nur denken läßt, gegen die „koſchere Litteratur“.
Er hat geradezu den antiſemitiſchen Knüppelſtil
erfunden. Und auf einmal, wie mit einem Krach,
ſaß er auf der anderen Seite und draſch auf die
Antiſemiten los, daß es nur ſo knackte.

— Na, das iſt doch der Cynismus der Cha¬
rakterloſigkeit in frechſter Form!

— Aber es hat Stil, mein Junge, und,
übrigens: Denkſt Du heute noch über Arminius
ſo, wie in Sexta?

— Erlaube mal, damit läßt ſich jede Käuflich¬
keit entſchuldigen.

— Ich behaupte ja nicht, daß er ein mora¬
liſches Exempel iſt. Er iſt ein Landsknecht der
Feder, jedem zu Dienſten und in jedem Dienſte
ein Draufgänger. Wie ein General zur Zeit der
italieniſchen Renaiſſance, der ſeinem Feldherrnſtab
bald das, bald jenes Wappen als Knauf aufſetzte,
ſo ſchwang er bald dieſe, bald jene Fahne. Aus
dem Raddau-Antiſemiten und fortſchrittlichen Los¬

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[305/0319] Viertes Buch, erſtes Kapitel. Blätter laufen, und die Aufmerkſamkeit der Redak¬ tionen galt nun nicht mehr ſeinen Ohrfeigen, ſondern ſeinem offenbar großen journaliſtiſchen Talent. Er kam an einem konſervativ-antiſemitiſchen Blatte an und ſchrieb nun das boshafteſte Zeug, was ſich nur denken läßt, gegen die „koſchere Litteratur“. Er hat geradezu den antiſemitiſchen Knüppelſtil erfunden. Und auf einmal, wie mit einem Krach, ſaß er auf der anderen Seite und draſch auf die Antiſemiten los, daß es nur ſo knackte. — Na, das iſt doch der Cynismus der Cha¬ rakterloſigkeit in frechſter Form! — Aber es hat Stil, mein Junge, und, übrigens: Denkſt Du heute noch über Arminius ſo, wie in Sexta? — Erlaube mal, damit läßt ſich jede Käuflich¬ keit entſchuldigen. — Ich behaupte ja nicht, daß er ein mora¬ liſches Exempel iſt. Er iſt ein Landsknecht der Feder, jedem zu Dienſten und in jedem Dienſte ein Draufgänger. Wie ein General zur Zeit der italieniſchen Renaiſſance, der ſeinem Feldherrnſtab bald das, bald jenes Wappen als Knauf aufſetzte, ſo ſchwang er bald dieſe, bald jene Fahne. Aus dem Raddau-Antiſemiten und fortſchrittlichen Los¬ 20

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/319>, abgerufen am 22.11.2024.