Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen Feuerkugel (Einst wohnte Goethe hier -- jetzt Wir!) drei Treppen hoch und bestand aus einem mäßig großen Zimmer und einem Alkoven.
-- Der einzige Fehler dieser Bude ist, pflegte Stilpe zu sagen, daß sie gerade Wände hat. Schiefe Wände wären stimmungsvoller. Aber man beachte die charaktervolle Schäbigkeit der Ausstattung! Wer angesichts dieses pöbelhaften Sophas, dieser kontrakten Stühle, dieses ewig wackelnden Tisches und dieses immer aufklaffenden Kleidersargs, von dem infamen "Napoleon in der Schlacht bei Leipzig" ganz zu schweigen, daran dächte, hier die Miete nicht schuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloser Barbar genannt werden. Was aber das Bett anlangt, meine Lieben, so giebt es keine vorlautere Bestie als dies. Es quietscht schon, wenn man es an¬ sieht, geschweige denn . . . aber das ist ein rein musikalisches Thema.
In dieser Wohnung also, die wirklich abscheu¬ lich war, versammelte sich am folgenden Sonntage das Cenacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme des Philologen Lehmann, der soviel Geschmack am Cenacle genommen hatte, daß er sich selber an den gröbsten Verhöhnungen seiner Person beteiligte.
Stilpe.
Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen Feuerkugel (Einſt wohnte Goethe hier — jetzt Wir!) drei Treppen hoch und beſtand aus einem mäßig großen Zimmer und einem Alkoven.
— Der einzige Fehler dieſer Bude iſt, pflegte Stilpe zu ſagen, daß ſie gerade Wände hat. Schiefe Wände wären ſtimmungsvoller. Aber man beachte die charaktervolle Schäbigkeit der Ausſtattung! Wer angeſichts dieſes pöbelhaften Sophas, dieſer kontrakten Stühle, dieſes ewig wackelnden Tiſches und dieſes immer aufklaffenden Kleiderſargs, von dem infamen „Napoleon in der Schlacht bei Leipzig“ ganz zu ſchweigen, daran dächte, hier die Miete nicht ſchuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloſer Barbar genannt werden. Was aber das Bett anlangt, meine Lieben, ſo giebt es keine vorlautere Beſtie als dies. Es quietſcht ſchon, wenn man es an¬ ſieht, geſchweige denn . . . aber das iſt ein rein muſikaliſches Thema.
In dieſer Wohnung alſo, die wirklich abſcheu¬ lich war, verſammelte ſich am folgenden Sonntage das Cénacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme des Philologen Lehmann, der ſoviel Geſchmack am Cénacle genommen hatte, daß er ſich ſelber an den gröbſten Verhöhnungen ſeiner Perſon beteiligte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0272"n="258"/><fwplace="top"type="header">Stilpe.<lb/></fw><p>Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen<lb/>
Feuerkugel (Einſt wohnte Goethe hier — jetzt Wir!)<lb/>
drei Treppen hoch und beſtand aus einem mäßig<lb/>
großen Zimmer und einem Alkoven.</p><lb/><p>— Der einzige Fehler dieſer Bude iſt, pflegte<lb/>
Stilpe zu ſagen, daß ſie gerade Wände hat. Schiefe<lb/>
Wände wären ſtimmungsvoller. Aber man beachte<lb/>
die charaktervolle Schäbigkeit der Ausſtattung! Wer<lb/>
angeſichts dieſes pöbelhaften Sophas, dieſer kontrakten<lb/>
Stühle, dieſes ewig wackelnden Tiſches und dieſes<lb/>
immer aufklaffenden Kleiderſargs, von dem infamen<lb/>„Napoleon in der Schlacht bei Leipzig“ ganz zu<lb/>ſchweigen, daran dächte, hier die Miete <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>ſchuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloſer Barbar<lb/>
genannt werden. Was aber das Bett anlangt,<lb/>
meine Lieben, ſo giebt es keine vorlautere Beſtie<lb/>
als dies. Es quietſcht ſchon, wenn man es an¬<lb/>ſieht, geſchweige denn . . . aber das iſt ein rein<lb/>
muſikaliſches Thema.</p><lb/><p>In dieſer Wohnung alſo, die wirklich abſcheu¬<lb/>
lich war, verſammelte ſich am folgenden Sonntage<lb/>
das C<hirendition="#aq">é</hi>nacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme<lb/>
des Philologen Lehmann, der ſoviel Geſchmack am<lb/>
C<hirendition="#aq">é</hi>nacle genommen hatte, daß er ſich ſelber an den<lb/>
gröbſten Verhöhnungen ſeiner Perſon beteiligte.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[258/0272]
Stilpe.
Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen
Feuerkugel (Einſt wohnte Goethe hier — jetzt Wir!)
drei Treppen hoch und beſtand aus einem mäßig
großen Zimmer und einem Alkoven.
— Der einzige Fehler dieſer Bude iſt, pflegte
Stilpe zu ſagen, daß ſie gerade Wände hat. Schiefe
Wände wären ſtimmungsvoller. Aber man beachte
die charaktervolle Schäbigkeit der Ausſtattung! Wer
angeſichts dieſes pöbelhaften Sophas, dieſer kontrakten
Stühle, dieſes ewig wackelnden Tiſches und dieſes
immer aufklaffenden Kleiderſargs, von dem infamen
„Napoleon in der Schlacht bei Leipzig“ ganz zu
ſchweigen, daran dächte, hier die Miete nicht
ſchuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloſer Barbar
genannt werden. Was aber das Bett anlangt,
meine Lieben, ſo giebt es keine vorlautere Beſtie
als dies. Es quietſcht ſchon, wenn man es an¬
ſieht, geſchweige denn . . . aber das iſt ein rein
muſikaliſches Thema.
In dieſer Wohnung alſo, die wirklich abſcheu¬
lich war, verſammelte ſich am folgenden Sonntage
das Cénacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme
des Philologen Lehmann, der ſoviel Geſchmack am
Cénacle genommen hatte, daß er ſich ſelber an den
gröbſten Verhöhnungen ſeiner Perſon beteiligte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/272>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.