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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
Altertum am nächsten stünden. Die Antworten
lauteten durchgängig so, daß er sich über die
völlige Gleichgültigkeit, die die jungen Herren
gegenüber den antiken Männern empfanden, sehr
klar wurde.

Wie oft war Odysseus genannt worden, sogar
Cicero dreimal! Nur dieser Stilpe hatte die
Kurasche gehabt, die beiden Gracchen zu nennen
und "mit schöner Offenheit", wie der Commissarius
meinte, zu erklären, sie seien ihm deshalb besonders
lieb, weil sie ihn "fast modern anmuteten in ihren
sozialpolitischen Forderungen".

Der Geheimrat machte sich sogleich ein Bild
von der Entwickelung dieses ungewöhnlichen Jüng¬
lings, wie sie sich gestalten würde, wenn man ihn
rechtzeitig und früh auf die richtigen Bahnen
lenkte. Unzweifelhaft: Ein zukünftiger Publizist!
Jetzt natürlich noch unreif und verworren, eines
Tages wahrscheinlich sozialdemokratischer Idealist,
aber dann, immer eine geschickte Beeinflussung vor¬
ausgesetzt, wahrscheinlich einmal eine glänzende
und feste Stütze der staatserhaltenden Institu¬
tionen!

Dieser alte Geheimrat war ein sehr kluger Herr
und ärgerte sich im Stillen rechtschaffen über die

Stilpe.
Altertum am nächſten ſtünden. Die Antworten
lauteten durchgängig ſo, daß er ſich über die
völlige Gleichgültigkeit, die die jungen Herren
gegenüber den antiken Männern empfanden, ſehr
klar wurde.

Wie oft war Odyſſeus genannt worden, ſogar
Cicero dreimal! Nur dieſer Stilpe hatte die
Kuraſche gehabt, die beiden Gracchen zu nennen
und „mit ſchöner Offenheit“, wie der Commiſſarius
meinte, zu erklären, ſie ſeien ihm deshalb beſonders
lieb, weil ſie ihn „faſt modern anmuteten in ihren
ſozialpolitiſchen Forderungen“.

Der Geheimrat machte ſich ſogleich ein Bild
von der Entwickelung dieſes ungewöhnlichen Jüng¬
lings, wie ſie ſich geſtalten würde, wenn man ihn
rechtzeitig und früh auf die richtigen Bahnen
lenkte. Unzweifelhaft: Ein zukünftiger Publiziſt!
Jetzt natürlich noch unreif und verworren, eines
Tages wahrſcheinlich ſozialdemokratiſcher Idealiſt,
aber dann, immer eine geſchickte Beeinfluſſung vor¬
ausgeſetzt, wahrſcheinlich einmal eine glänzende
und feſte Stütze der ſtaatserhaltenden Inſtitu¬
tionen!

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und ärgerte ſich im Stillen rechtſchaffen über die

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[190/0204] Stilpe. Altertum am nächſten ſtünden. Die Antworten lauteten durchgängig ſo, daß er ſich über die völlige Gleichgültigkeit, die die jungen Herren gegenüber den antiken Männern empfanden, ſehr klar wurde. Wie oft war Odyſſeus genannt worden, ſogar Cicero dreimal! Nur dieſer Stilpe hatte die Kuraſche gehabt, die beiden Gracchen zu nennen und „mit ſchöner Offenheit“, wie der Commiſſarius meinte, zu erklären, ſie ſeien ihm deshalb beſonders lieb, weil ſie ihn „faſt modern anmuteten in ihren ſozialpolitiſchen Forderungen“. Der Geheimrat machte ſich ſogleich ein Bild von der Entwickelung dieſes ungewöhnlichen Jüng¬ lings, wie ſie ſich geſtalten würde, wenn man ihn rechtzeitig und früh auf die richtigen Bahnen lenkte. Unzweifelhaft: Ein zukünftiger Publiziſt! Jetzt natürlich noch unreif und verworren, eines Tages wahrſcheinlich ſozialdemokratiſcher Idealiſt, aber dann, immer eine geſchickte Beeinfluſſung vor¬ ausgeſetzt, wahrſcheinlich einmal eine glänzende und feſte Stütze der ſtaatserhaltenden Inſtitu¬ tionen! Dieſer alte Geheimrat war ein ſehr kluger Herr und ärgerte ſich im Stillen rechtſchaffen über die

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/204>, abgerufen am 22.11.2024.