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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Zweites Buch, fünftes Kapitel.
und bedenklicher Mädchen, bald für einen Pro¬
pagandisten gemeingefährlicher Ideen ansah.

Aber er war klug geworden. Ohne nach dem
Ruhme eines Musterschülers zu geizen, aber auch
ohne sich irgend etwas abgehen zu lassen, was er
zu seinem Wohlbefinden für nötig hielt, lenkte er
das scharf beobachtete Schiff seiner Schülerexistenz
geschickt zwischen allen Praezeptorenklippen hindurch,
indem er aufs Genaueste die Taktik befolgte,
sich aller offenkundigen Manifestationen seiner
Privatvergnügen zu enthalten. Er war, wie er
es selber einmal in seinem immer üppiger werden¬
den Tagebuch ausdrückte, "zur Höhe eines vor¬
sichtigen Cynikers emporgestiegen". Was er seine
Orgien nannte, feierte er in Leipzig, und den ver¬
botenen Ideen fröhnte er still für sich, ohne etwa
in deutschen Aufsätzen, wie damals als "biederer
Sekundaner", davon etwas merken zu lassen. Viel¬
mehr kultivierte er jetzt in seinem Schul-Aufsätzen,
deren Gewandtheit und Schwung sogar anerkannt
wurde, eine virtuosenhafte Jongleurkunst mit wohl¬
gebauten Phrasen, in die er nur die bestakkreditierten
Meinungen silbern und golden einspann.

Zum Glück lernte er in den drei bereits ge¬
nannten Kameraden Leute von ähnlichen Neigungen

Zweites Buch, fünftes Kapitel.
und bedenklicher Mädchen, bald für einen Pro¬
pagandiſten gemeingefährlicher Ideen anſah.

Aber er war klug geworden. Ohne nach dem
Ruhme eines Muſterſchülers zu geizen, aber auch
ohne ſich irgend etwas abgehen zu laſſen, was er
zu ſeinem Wohlbefinden für nötig hielt, lenkte er
das ſcharf beobachtete Schiff ſeiner Schülerexiſtenz
geſchickt zwiſchen allen Praezeptorenklippen hindurch,
indem er aufs Genaueſte die Taktik befolgte,
ſich aller offenkundigen Manifeſtationen ſeiner
Privatvergnügen zu enthalten. Er war, wie er
es ſelber einmal in ſeinem immer üppiger werden¬
den Tagebuch ausdrückte, „zur Höhe eines vor¬
ſichtigen Cynikers emporgeſtiegen“. Was er ſeine
Orgien nannte, feierte er in Leipzig, und den ver¬
botenen Ideen fröhnte er ſtill für ſich, ohne etwa
in deutſchen Aufſätzen, wie damals als „biederer
Sekundaner“, davon etwas merken zu laſſen. Viel¬
mehr kultivierte er jetzt in ſeinem Schul-Aufſätzen,
deren Gewandtheit und Schwung ſogar anerkannt
wurde, eine virtuoſenhafte Jongleurkunſt mit wohl¬
gebauten Phraſen, in die er nur die beſtakkreditierten
Meinungen ſilbern und golden einſpann.

Zum Glück lernte er in den drei bereits ge¬
nannten Kameraden Leute von ähnlichen Neigungen

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[169/0183] Zweites Buch, fünftes Kapitel. und bedenklicher Mädchen, bald für einen Pro¬ pagandiſten gemeingefährlicher Ideen anſah. Aber er war klug geworden. Ohne nach dem Ruhme eines Muſterſchülers zu geizen, aber auch ohne ſich irgend etwas abgehen zu laſſen, was er zu ſeinem Wohlbefinden für nötig hielt, lenkte er das ſcharf beobachtete Schiff ſeiner Schülerexiſtenz geſchickt zwiſchen allen Praezeptorenklippen hindurch, indem er aufs Genaueſte die Taktik befolgte, ſich aller offenkundigen Manifeſtationen ſeiner Privatvergnügen zu enthalten. Er war, wie er es ſelber einmal in ſeinem immer üppiger werden¬ den Tagebuch ausdrückte, „zur Höhe eines vor¬ ſichtigen Cynikers emporgeſtiegen“. Was er ſeine Orgien nannte, feierte er in Leipzig, und den ver¬ botenen Ideen fröhnte er ſtill für ſich, ohne etwa in deutſchen Aufſätzen, wie damals als „biederer Sekundaner“, davon etwas merken zu laſſen. Viel¬ mehr kultivierte er jetzt in ſeinem Schul-Aufſätzen, deren Gewandtheit und Schwung ſogar anerkannt wurde, eine virtuoſenhafte Jongleurkunſt mit wohl¬ gebauten Phraſen, in die er nur die beſtakkreditierten Meinungen ſilbern und golden einſpann. Zum Glück lernte er in den drei bereits ge¬ nannten Kameraden Leute von ähnlichen Neigungen

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/183>, abgerufen am 24.11.2024.