Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Stilpe.
Meine Adresse teile ich Dir nicht mit, um vor
Deiner Verräterei sicher zu sein. Denn es giebt
keine Gemeinheit, die ich Dir nicht zutraute. . ."

Dieser Brief, den er vielmal in sich hin und
her wandte und mit zahlreichen vergifteten Spitzen
versah, beruhigte ihn ungemein.

Als er ihn auswendig wußte, war er so weit,
die "Jammerhaftigkeit dieses Staatsanwaltssprö߬
lings" für ein Glück anzusehen.

Wäre ich denn in seiner Gegenwart frei ge¬
wesen? Hätte er mich nicht in meinen besten Ent¬
schlüssen gestört? Was für eine unglaubliche Ver¬
irrung dieser Gedanke überhaupt gewesen ist, mit
dieser Hundeschnauze zusammen nach Griechenland
gehen zu wollen. Aber eine gute Lehre das!
Immer und Alles allein! Jedes Vertrauen ist
Wegwurf!

Er schrieb sich diese Maxime in sein Notizbuch
und empfand das ganze differenzierte Wohlgefühl
des Pessimisten.

Er wurde sogar übermütig. Warte, mein braver
Knabe, dachte er sich und nahm die Girlingerschen
Sachen aus dem Koffer, hing sie, nachdem er sie
zerrissen hatte, auf eine Bohnenstange und stellte
das Ganze nach Art einer Vogelscheuche in ein

Stilpe.
Meine Adreſſe teile ich Dir nicht mit, um vor
Deiner Verräterei ſicher zu ſein. Denn es giebt
keine Gemeinheit, die ich Dir nicht zutraute. . .“

Dieſer Brief, den er vielmal in ſich hin und
her wandte und mit zahlreichen vergifteten Spitzen
verſah, beruhigte ihn ungemein.

Als er ihn auswendig wußte, war er ſo weit,
die „Jammerhaftigkeit dieſes Staatsanwaltsſprö߬
lings“ für ein Glück anzuſehen.

Wäre ich denn in ſeiner Gegenwart frei ge¬
weſen? Hätte er mich nicht in meinen beſten Ent¬
ſchlüſſen geſtört? Was für eine unglaubliche Ver¬
irrung dieſer Gedanke überhaupt geweſen iſt, mit
dieſer Hundeſchnauze zuſammen nach Griechenland
gehen zu wollen. Aber eine gute Lehre das!
Immer und Alles allein! Jedes Vertrauen iſt
Wegwurf!

Er ſchrieb ſich dieſe Maxime in ſein Notizbuch
und empfand das ganze differenzierte Wohlgefühl
des Peſſimiſten.

Er wurde ſogar übermütig. Warte, mein braver
Knabe, dachte er ſich und nahm die Girlingerſchen
Sachen aus dem Koffer, hing ſie, nachdem er ſie
zerriſſen hatte, auf eine Bohnenſtange und ſtellte
das Ganze nach Art einer Vogelſcheuche in ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="152"/><fw place="top" type="header">Stilpe.<lb/></fw>Meine Adre&#x017F;&#x017F;e teile ich Dir nicht mit, um vor<lb/>
Deiner Verräterei &#x017F;icher zu &#x017F;ein. Denn es giebt<lb/>
keine Gemeinheit, die ich Dir nicht zutraute. . .&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Brief, den er vielmal in &#x017F;ich hin und<lb/>
her wandte und mit zahlreichen vergifteten Spitzen<lb/>
ver&#x017F;ah, beruhigte ihn ungemein.</p><lb/>
          <p>Als er ihn auswendig wußte, war er &#x017F;o weit,<lb/>
die &#x201E;Jammerhaftigkeit die&#x017F;es Staatsanwalts&#x017F;prö߬<lb/>
lings&#x201C; für ein Glück anzu&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Wäre ich denn in &#x017F;einer Gegenwart frei ge¬<lb/>
we&#x017F;en? Hätte er mich nicht in meinen be&#x017F;ten Ent¬<lb/>
&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;tört? Was für eine unglaubliche Ver¬<lb/>
irrung die&#x017F;er Gedanke überhaupt gewe&#x017F;en i&#x017F;t, mit<lb/>
die&#x017F;er Hunde&#x017F;chnauze zu&#x017F;ammen nach Griechenland<lb/>
gehen zu wollen. Aber eine gute Lehre das!<lb/>
Immer und Alles allein! Jedes Vertrauen i&#x017F;t<lb/>
Wegwurf!</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;chrieb &#x017F;ich die&#x017F;e Maxime in &#x017F;ein Notizbuch<lb/>
und empfand das ganze differenzierte Wohlgefühl<lb/>
des Pe&#x017F;&#x017F;imi&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Er wurde &#x017F;ogar übermütig. Warte, mein braver<lb/>
Knabe, dachte er &#x017F;ich und nahm die Girlinger&#x017F;chen<lb/>
Sachen aus dem Koffer, hing &#x017F;ie, nachdem er &#x017F;ie<lb/>
zerri&#x017F;&#x017F;en hatte, auf eine Bohnen&#x017F;tange und &#x017F;tellte<lb/>
das Ganze nach Art einer Vogel&#x017F;cheuche in ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] Stilpe. Meine Adreſſe teile ich Dir nicht mit, um vor Deiner Verräterei ſicher zu ſein. Denn es giebt keine Gemeinheit, die ich Dir nicht zutraute. . .“ Dieſer Brief, den er vielmal in ſich hin und her wandte und mit zahlreichen vergifteten Spitzen verſah, beruhigte ihn ungemein. Als er ihn auswendig wußte, war er ſo weit, die „Jammerhaftigkeit dieſes Staatsanwaltsſprö߬ lings“ für ein Glück anzuſehen. Wäre ich denn in ſeiner Gegenwart frei ge¬ weſen? Hätte er mich nicht in meinen beſten Ent¬ ſchlüſſen geſtört? Was für eine unglaubliche Ver¬ irrung dieſer Gedanke überhaupt geweſen iſt, mit dieſer Hundeſchnauze zuſammen nach Griechenland gehen zu wollen. Aber eine gute Lehre das! Immer und Alles allein! Jedes Vertrauen iſt Wegwurf! Er ſchrieb ſich dieſe Maxime in ſein Notizbuch und empfand das ganze differenzierte Wohlgefühl des Peſſimiſten. Er wurde ſogar übermütig. Warte, mein braver Knabe, dachte er ſich und nahm die Girlingerſchen Sachen aus dem Koffer, hing ſie, nachdem er ſie zerriſſen hatte, auf eine Bohnenſtange und ſtellte das Ganze nach Art einer Vogelſcheuche in ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/166
Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/166>, abgerufen am 29.11.2024.