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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

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Nottod. - Mich dauert künftige Todnot, - drum komm' ich wie das Notbot p3b_056.002
- und bau' aus einem Stücke - hinüber dir die Brücke. - Fürs Bauen p3b_056.003
in dieser hohen Region - verlang' ich einen geringen Lohn - von dir, verliebter p3b_056.004
Erdensohn, - der ich selbst bin der Kronlohn - und Thronlohn. p3b_056.005
- So rief der Teufel im argen Hohn - (er wähnte sich als Sieger schon) p3b_056.006
- indem hinzu er setzte - dies Letzte: - Es soll als Preis das zuerst p3b_056.007
über die Brücke Strebende, - Lebende - sein das mir zu Gebende. - p3b_056.008
Willigst du ein, - so soll sogleich die Brücke fertig sein. - Der Hirte war's p3b_056.009
zufrieden; - da hört' er wieder die Reuß aufsieden. - Und mit Getöse p3b_056.010
- verschwunden war der Böse. - Doch in der Luft (wie wunderbar!) - p3b_056.011
bot dem erstaunten Blick sich dar - vom Bergesrand - zur Uferwand - p3b_056.012
hinüber wie ein Seil gespannt - von keinem Menschen noch gekannt - p3b_056.013
gebaut aus riesigem Eisenstücke - die schwindelnd hohe Teufelsbrücke. -

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Der Hirte war nun katzenschlau, - fern blieb er lang dem Brückenbau, p3b_056.015
- der war ihm gar zu wasserblau. - Dann rief er: Um dem Liebesdiebe p3b_056.016
- zu geben kräftige Liebeshiebe, - und zu begraben der Liebe Leid - p3b_056.017
nehm' ich mir Zeit. - Auf diesem Lebens-Raubbau, - dem höllischen Brückenschaubau, p3b_056.018
- wär' als erstes Lebendes, - Hinüberstrebendes, - dem Teufel p3b_056.019
zu Gebendes - für all seinen Trug - auch eine Gemse genug. - Nun p3b_056.020
begab er sich auf die Jagd an den Bergesrand, - wo er wußte den Gemsenstand. p3b_056.021
- Sieh doch! wie die Gemsen nach der Höhe zudringen, - und p3b_056.022
der Brücke zuspringen! - Und er mit seinem Bogen - laut rufend kam p3b_056.023
nachgezogen: - hei, Teufel, sei betrogen! - Kaum betrat eine Gemse die p3b_056.024
Brücke, - so riß sie der Teufel in Stücke. - Dann fuhr der höllische p3b_056.025
Schuft - durch die Luft - hinab in die wäss'rige Gruft. - Vor Ärger die p3b_056.026
Fluten schlagend, - und seinen Zorn mit sich tragend, - schwur er in p3b_056.027
schreckhafter Sprache - dem Hirten teuflische Rache. - Den andern Gemsen p3b_056.028
ging es gut. - Da nahm sich auch der Hirte Mut. - Die Heiligen anflehend p3b_056.029
zu seinem Glücke, - ging er ruhig über die Brücke - und rief: Von p3b_056.030
diesem Steg - hinweg - eil' ich zu meinem Schatzplatz, - der soll mir p3b_056.031
werden ein Schwatzplatz - und ein Schmatzplatz. - Er traf auch keinen p3b_056.032
Liebesdieb, - erspart blieb ihm der Liebeshieb. - Der Teufel hatte gelogen, p3b_056.033
- drum war er jetzt betrogen. - Nun warb der Hirt' ohn Zeitaufwand - p3b_056.034
um seiner Allerliebsten Hand; - der Eltern Trotz er überwand, - bald p3b_056.035
schloß sich zweier Liebesband. - Die Liebste sprach mit holdem Mund: - p3b_056.036
Gott segne unsern Herzensbund! - Jch liebte dich aus Herzensgrund - zu p3b_056.037
jeder Stund. - Und er erwidert: Herzensstern, - dein dacht' ich immer p3b_056.038
nah und fern, - in Appenzell wie in Luzern. - Könnt' ich dich meiden p3b_056.039
Augenstern? - Jch habe dich von Herzen gern, - du Frauenkern - und p3b_056.040
Minnestern! - Bald baute sich der Hirte ein Wirtshaus oder ein Schmaushaus, p3b_056.041
- und als er gab den Hausschmaus, - dies merket meine Hörer, p3b_056.042
- daß ihr nicht werdet Störer - oder gar Empörer: - da reizte mich p3b_056.043
der Teufel, den Hirten zu bringen in Nöten - und den Schuldlosen zu p3b_056.044
töten. - Jch gönnt' ihm nicht sein Eheglück, - bald lockt' ich ihn zu dieser

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Nottod. ─ Mich dauert künftige Todnot, ─ drum komm' ich wie das Notbot p3b_056.002
─ und bau' aus einem Stücke ─ hinüber dir die Brücke. ─ Fürs Bauen p3b_056.003
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Erdensohn, ─ der ich selbst bin der Kronlohn ─ und Thronlohn. p3b_056.005
─ So rief der Teufel im argen Hohn ─ (er wähnte sich als Sieger schon) p3b_056.006
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─ verschwunden war der Böse. ─ Doch in der Luft (wie wunderbar!) ─ p3b_056.011
bot dem erstaunten Blick sich dar ─ vom Bergesrand ─ zur Uferwand ─ p3b_056.012
hinüber wie ein Seil gespannt ─ von keinem Menschen noch gekannt ─ p3b_056.013
gebaut aus riesigem Eisenstücke ─ die schwindelnd hohe Teufelsbrücke. ─

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Der Hirte war nun katzenschlau, ─ fern blieb er lang dem Brückenbau, p3b_056.015
─ der war ihm gar zu wasserblau. ─ Dann rief er: Um dem Liebesdiebe p3b_056.016
─ zu geben kräftige Liebeshiebe, ─ und zu begraben der Liebe Leid ─ p3b_056.017
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─ Sieh doch! wie die Gemsen nach der Höhe zudringen, ─ und p3b_056.022
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Schuft ─ durch die Luft ─ hinab in die wäss'rige Gruft. ─ Vor Ärger die p3b_056.026
Fluten schlagend, ─ und seinen Zorn mit sich tragend, ─ schwur er in p3b_056.027
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ging es gut. ─ Da nahm sich auch der Hirte Mut. ─ Die Heiligen anflehend p3b_056.029
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diesem Steg ─ hinweg ─ eil' ich zu meinem Schatzplatz, ─ der soll mir p3b_056.031
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/82>, abgerufen am 26.11.2024.