Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_052.001 p3b_052.008 p3b_052.010 p3b_052.027 p3b_052.031 p3b_052.032 p3b_052.001 p3b_052.008 p3b_052.010 p3b_052.027 p3b_052.031 p3b_052.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0078" n="52"/> <p><lb n="p3b_052.001"/><hi rendition="#aq">f</hi>. Ghaselenreim, bei welchem <hi rendition="#aq">a</hi>. ein Vollreim (männlich oder weiblich) <lb n="p3b_052.002"/> oder <hi rendition="#aq">b</hi>. deren 2 mit dem identischen Reim (d. i. dem Reim, welcher das Wort <lb n="p3b_052.003"/> der Reimstelle ohne Veränderung wiederholt) verbunden wird, z. B. <hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">trägst <lb n="p3b_052.004"/> du mir im Herzen</hi> ─ <hi rendition="#g">schlägst du mir im Herzen;</hi> oder <hi rendition="#g">stets am <lb n="p3b_052.005"/> rechten Orte hat</hi> ─ <hi rendition="#g">stets die rechten Worte hat;</hi> <hi rendition="#aq">b</hi>. schlägt mein Herz <lb n="p3b_052.006"/> ─ trägt mein Schmerz. (Dieser Reim findet sich hauptsächlich beim Ghasel, das <lb n="p3b_052.007"/> übrigens häufig genug nur die unter <hi rendition="#aq">a b c d</hi> verzeichneten Reimarten aufweist.)</p> <p><lb n="p3b_052.008"/> Die weiteren künstlicheren Reimarten sind in unserer Poetik Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>, <lb n="p3b_052.009"/> S. 425 ff. abgehandelt.</p> <p><lb n="p3b_052.010"/><hi rendition="#g">Aufgabe. Es soll die nachfolgende Sage so erweitert und <lb n="p3b_052.011"/> ausgeführt werden, daß selbst die kleinsten rhythmischen Reihen <lb n="p3b_052.012"/> durch den Reim ausgezeichnet werden. Je öfter der gleiche Reim <lb n="p3b_052.013"/> sich wiederholt, je mehr Reimarten angewendet sind, desto besser <lb n="p3b_052.014"/> soll die Ausführung genannt werden. Der Rhythmus darf</hi> durchaus <lb n="p3b_052.015"/> regellos <hi rendition="#g">sein, da die ganze Aufmerksamkeit auf den Reim zu <lb n="p3b_052.016"/> legen ist. Dieser soll alle möglichen Kunststücke enthalten und in <lb n="p3b_052.017"/> allen erdenklichen Formen auftreten. Auch die Einführung der <lb n="p3b_052.018"/> Allitteration ist gestattet. An Stelle der Ghasele, welche sonst <lb n="p3b_052.019"/> den Makamen eingefügt sind, sollen zwei ungekünstelte Gedichte <lb n="p3b_052.020"/> in daktylischen Viertaktern mit Reimpaaren eingearbeitet werden; <lb n="p3b_052.021"/> das erste derselben soll das Wandern preisen, während das zweite <lb n="p3b_052.022"/> sagen soll, was man auf Erden selig sein heißt. Beide Gedichte <lb n="p3b_052.023"/> sind einem Dichter in den Mund zu legen, worauf dann wie ein <lb n="p3b_052.024"/> <hi rendition="#aq">deus ex machina</hi> ein dritter Erzähler erscheint, der die Sage <lb n="p3b_052.025"/> weiter fortspinnt. (Klanggleiche</hi> unreine Reime ─ vgl. S. 51. 7. <hi rendition="#aq">c</hi> <lb n="p3b_052.026"/> ─ sind in den Lösungen vorerst noch zu tolerieren.)</p> <p><lb n="p3b_052.027"/> Anstatt weitere Anforderungen in der Aufgabe zu stellen, zeigen <lb n="p3b_052.028"/> wir lieber in der Ausführung, wie <hi rendition="#g">kühn und frei</hi> der Schüler sich <lb n="p3b_052.029"/> bewegen darf, um zur Gewandtheit in Handhabung aller möglichen <lb n="p3b_052.030"/> Reimformen zu gelangen.</p> <p><lb n="p3b_052.031"/><hi rendition="#g">Die Teufelsbrücke.</hi> (Aus Gebrüder Grimms deutschen Sagen.)</p> <p><lb n="p3b_052.032"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> Ein Schweizer Hirte, der öfters sein Mädchen besuchte, mußte <lb n="p3b_052.033"/> sich immer durch die Reuß mühsam durcharbeiten, um hinüber zu gelangen, <lb n="p3b_052.034"/> oder einen großen Umweg nehmen. Es trug sich zu, daß er einmal auf einer <lb n="p3b_052.035"/> außerordentlichen Höhe stand und ärgerlich sprach: „Jch wollte, der Teufel <lb n="p3b_052.036"/> wäre da und baute mir eine Brücke hinüber.“ Augenblicklich stand der Teufel <lb n="p3b_052.037"/> bei ihm und sagte: „Versprichst du mir das erste Lebendige, das darüber geht, <lb n="p3b_052.038"/> so will ich dir eine Brücke dahin bauen, auf welcher du stets hinüber und <lb n="p3b_052.039"/> herüber kannst.“ Der Hirte willigte ein; in wenig Augenblicken war die <lb n="p3b_052.040"/> Brücke fertig; aber jener trieb eine Gemse vor sich her und ging hinten nach. <lb n="p3b_052.041"/> Der betrogene Teufel ließ alsbald die Stücke des zerrissenen Tieres aus der <lb n="p3b_052.042"/> Höhe herunter fallen.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0078]
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f. Ghaselenreim, bei welchem a. ein Vollreim (männlich oder weiblich) p3b_052.002
oder b. deren 2 mit dem identischen Reim (d. i. dem Reim, welcher das Wort p3b_052.003
der Reimstelle ohne Veränderung wiederholt) verbunden wird, z. B. a. trägst p3b_052.004
du mir im Herzen ─ schlägst du mir im Herzen; oder stets am p3b_052.005
rechten Orte hat ─ stets die rechten Worte hat; b. schlägt mein Herz p3b_052.006
─ trägt mein Schmerz. (Dieser Reim findet sich hauptsächlich beim Ghasel, das p3b_052.007
übrigens häufig genug nur die unter a b c d verzeichneten Reimarten aufweist.)
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Die weiteren künstlicheren Reimarten sind in unserer Poetik Bd. I, p3b_052.009
S. 425 ff. abgehandelt.
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Aufgabe. Es soll die nachfolgende Sage so erweitert und p3b_052.011
ausgeführt werden, daß selbst die kleinsten rhythmischen Reihen p3b_052.012
durch den Reim ausgezeichnet werden. Je öfter der gleiche Reim p3b_052.013
sich wiederholt, je mehr Reimarten angewendet sind, desto besser p3b_052.014
soll die Ausführung genannt werden. Der Rhythmus darf durchaus p3b_052.015
regellos sein, da die ganze Aufmerksamkeit auf den Reim zu p3b_052.016
legen ist. Dieser soll alle möglichen Kunststücke enthalten und in p3b_052.017
allen erdenklichen Formen auftreten. Auch die Einführung der p3b_052.018
Allitteration ist gestattet. An Stelle der Ghasele, welche sonst p3b_052.019
den Makamen eingefügt sind, sollen zwei ungekünstelte Gedichte p3b_052.020
in daktylischen Viertaktern mit Reimpaaren eingearbeitet werden; p3b_052.021
das erste derselben soll das Wandern preisen, während das zweite p3b_052.022
sagen soll, was man auf Erden selig sein heißt. Beide Gedichte p3b_052.023
sind einem Dichter in den Mund zu legen, worauf dann wie ein p3b_052.024
deus ex machina ein dritter Erzähler erscheint, der die Sage p3b_052.025
weiter fortspinnt. (Klanggleiche unreine Reime ─ vgl. S. 51. 7. c p3b_052.026
─ sind in den Lösungen vorerst noch zu tolerieren.)
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Anstatt weitere Anforderungen in der Aufgabe zu stellen, zeigen p3b_052.028
wir lieber in der Ausführung, wie kühn und frei der Schüler sich p3b_052.029
bewegen darf, um zur Gewandtheit in Handhabung aller möglichen p3b_052.030
Reimformen zu gelangen.
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Die Teufelsbrücke. (Aus Gebrüder Grimms deutschen Sagen.)
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Stoff. Ein Schweizer Hirte, der öfters sein Mädchen besuchte, mußte p3b_052.033
sich immer durch die Reuß mühsam durcharbeiten, um hinüber zu gelangen, p3b_052.034
oder einen großen Umweg nehmen. Es trug sich zu, daß er einmal auf einer p3b_052.035
außerordentlichen Höhe stand und ärgerlich sprach: „Jch wollte, der Teufel p3b_052.036
wäre da und baute mir eine Brücke hinüber.“ Augenblicklich stand der Teufel p3b_052.037
bei ihm und sagte: „Versprichst du mir das erste Lebendige, das darüber geht, p3b_052.038
so will ich dir eine Brücke dahin bauen, auf welcher du stets hinüber und p3b_052.039
herüber kannst.“ Der Hirte willigte ein; in wenig Augenblicken war die p3b_052.040
Brücke fertig; aber jener trieb eine Gemse vor sich her und ging hinten nach. p3b_052.041
Der betrogene Teufel ließ alsbald die Stücke des zerrissenen Tieres aus der p3b_052.042
Höhe herunter fallen.
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