Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_194.001 So mit Hausrat versehn, ist dein Haus wohlfeil, Opin! p3b_194.012 Dieser hier ist einer von jenen jugendlichen Dichtern, p3b_194.014 Denen Kirchturmsknopf Daktylus ist und Klopstock Trochänus. p3b_194.015 p3b_194.024 p3b_194.001 Sō mīt Hāusrăt vĕrsēhn, īst dĕin Hăus wōhlfĕil, Ŏpīn! p3b_194.012 Dīesĕr hĭer īst ēinēr vōn jēnĕn jŭgēndlĭchĕn Dīchtērn, p3b_194.014 Dēnēn Kīrchtŭrmsknŏpf Dākty̆lŭs īst ūnd Klōpstŏck Trŏchǟŭs. p3b_194.015 p3b_194.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0220" n="194"/><lb n="p3b_194.001"/> Odenmaße des Horaz übertragen, wobei er freilich nur 20 der leichteren Oden <lb n="p3b_194.002"/> auswählte, jedoch große Feinheit und Sauberkeit namentlich seinen Vorgängern <lb n="p3b_194.003"/> gegenüber bekundete. Er läßt weg, setzt zu, wie es unsere Sprache verlangt, <lb n="p3b_194.004"/> so daß sich seine Übersetzungen fast wie Originalgedichte ausnehmen. Er verschaffte <lb n="p3b_194.005"/> den antiken Versmaßen große Geltung und half das Gefühl für Formbestimmtheit <lb n="p3b_194.006"/> wecken. Seinen Übersetzungen im Auszug aus dem <hi rendition="#g">Martial</hi> (1787) <lb n="p3b_194.007"/> und (1793) dem (neuestens auch von Alex. Berg übersetzten) <hi rendition="#g">Catull</hi> werden <lb n="p3b_194.008"/> große Vorzüge auch in Beziehung auf Reinheit der Form nachgerühmt, wenn <lb n="p3b_194.009"/> er auch im Hexameter ungeschickt ist und haarsträubende Pentameter enthält, <lb n="p3b_194.010"/> welche unsere Längen als Kürzen behandeln z. B.:</p> <lb n="p3b_194.011"/> <lg> <l>Sō mīt Hāusrăt vĕrsēhn, īst dĕin Hăus wōhlfĕil, Ŏpīn!</l> </lg> <p><lb n="p3b_194.012"/> so daß auch auf Ramler das erheiternde Xenion passen würde:</p> <lb n="p3b_194.013"/> <lg> <l>Dīesĕr hĭer īst ēinēr vōn jēnĕn jŭgēndlĭchĕn Dīchtērn,</l> <lb n="p3b_194.014"/> <l>Dēnēn Kīrchtŭrmsknŏpf Dākty̆lŭs īst ūnd Klōpstŏck Trŏchǟŭs.</l> </lg> <p><lb n="p3b_194.015"/> (Anm. Nach damaliger Meinung, welche die deutsche Sprache <hi rendition="#g">quantitierend</hi> <lb n="p3b_194.016"/> messen wollte, mußten die Positionslängen das Wort „Klopstock“ zum <lb n="p3b_194.017"/> Spondeus und „Kirchturmsknopf“ zum Molossos (– – –) stempeln. Nach unserem <lb n="p3b_194.018"/> Standpunkt, der nach deutsch=musikalischem Accent- und Rhythmusgefühl über <lb n="p3b_194.019"/> Schwere und Leichtigkeit der Silben entscheidet, ist <hi rendition="#g">Klopstock</hi> Trochäus (oder <lb n="p3b_194.020"/> trochäischer Spondeus) und <hi rendition="#g">Kirchturmsknopf</hi> Daktylus, dessen Schwere noch <lb n="p3b_194.021"/> dazu durch das darauf folgende Wort „Daktylus“ gemildert wird. „Denen“ <lb n="p3b_194.022"/> ist uns trotz seiner Beziehung und trotz des Parallelismus zu „jenen“ accentgemäß <lb n="p3b_194.023"/> eher Pyrrhichius (⏑ ⏑) als Trochäus).</p> <p><lb n="p3b_194.024"/> Nach Ramler war es der durch seine Homer-Übersetzung hochverdiente <lb n="p3b_194.025"/> J. H. <hi rendition="#g">Voß,</hi> welcher auch in Übersetzung <hi rendition="#g">römischer</hi> Dichter Gewaltiges leistete, <lb n="p3b_194.026"/> wobei er leider seine stereotype Behandlungsweise beibehielt. Sein pedantisches <lb n="p3b_194.027"/> Erstreben der Treue führte ihn zu einer konventionellen Übersetzersprache, so <lb n="p3b_194.028"/> daß sich seine Metamorphosen des Ovid, sein Horaz, sein Tibull, sein Vergil <lb n="p3b_194.029"/> (gleich den Lukas Kranachschen bürgermeisterlich=wittenbergschen Typen in der <lb n="p3b_194.030"/> Malerei) außerordentlich ähneln und dem Freunde deutscher anmutiger Poesie <lb n="p3b_194.031"/> in ihrer Steifheit den Genuß stören. Sein bei Ovid, wie bei dem von ihm <lb n="p3b_194.032"/> gut ausgeführten Vergil bewiesenes Bestreben, dem römischen Charakter die <lb n="p3b_194.033"/> deutsche Sprache anzubequemen, rächte sich besonders in den Odenübersetzungen <lb n="p3b_194.034"/> des fein urbanen, in Ton, Ausdruck und sprachlichem Gehalte wechselnden <lb n="p3b_194.035"/> Horaz, indem bei Voß eine Beziehung der andern ähnlich sieht, und die <lb n="p3b_194.036"/> hölzerne Übersetzungssprache Leben, Geist, Lieblichkeit, Schmelz und Duft verscheucht. <lb n="p3b_194.037"/> Dies gilt auch mehr oder weniger von seiner Übersetzung einzelner <lb n="p3b_194.038"/> Teile des Ovidschen Festkalenders, der später von Karl Geib (1828), sowie <lb n="p3b_194.039"/> besonders von dem strengen E. Klußmann (1859) übertragen wurde, welch <lb n="p3b_194.040"/> letzterer den rhetorischen Accent des Originals nachahmt und die Vertauschung <lb n="p3b_194.041"/> des Spondeus mit dem Trochäus nicht gestattet.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [194/0220]
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Odenmaße des Horaz übertragen, wobei er freilich nur 20 der leichteren Oden p3b_194.002
auswählte, jedoch große Feinheit und Sauberkeit namentlich seinen Vorgängern p3b_194.003
gegenüber bekundete. Er läßt weg, setzt zu, wie es unsere Sprache verlangt, p3b_194.004
so daß sich seine Übersetzungen fast wie Originalgedichte ausnehmen. Er verschaffte p3b_194.005
den antiken Versmaßen große Geltung und half das Gefühl für Formbestimmtheit p3b_194.006
wecken. Seinen Übersetzungen im Auszug aus dem Martial (1787) p3b_194.007
und (1793) dem (neuestens auch von Alex. Berg übersetzten) Catull werden p3b_194.008
große Vorzüge auch in Beziehung auf Reinheit der Form nachgerühmt, wenn p3b_194.009
er auch im Hexameter ungeschickt ist und haarsträubende Pentameter enthält, p3b_194.010
welche unsere Längen als Kürzen behandeln z. B.:
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Sō mīt Hāusrăt vĕrsēhn, īst dĕin Hăus wōhlfĕil, Ŏpīn!
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so daß auch auf Ramler das erheiternde Xenion passen würde:
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Dīesĕr hĭer īst ēinēr vōn jēnĕn jŭgēndlĭchĕn Dīchtērn, p3b_194.014
Dēnēn Kīrchtŭrmsknŏpf Dākty̆lŭs īst ūnd Klōpstŏck Trŏchǟŭs.
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(Anm. Nach damaliger Meinung, welche die deutsche Sprache quantitierend p3b_194.016
messen wollte, mußten die Positionslängen das Wort „Klopstock“ zum p3b_194.017
Spondeus und „Kirchturmsknopf“ zum Molossos (– – –) stempeln. Nach unserem p3b_194.018
Standpunkt, der nach deutsch=musikalischem Accent- und Rhythmusgefühl über p3b_194.019
Schwere und Leichtigkeit der Silben entscheidet, ist Klopstock Trochäus (oder p3b_194.020
trochäischer Spondeus) und Kirchturmsknopf Daktylus, dessen Schwere noch p3b_194.021
dazu durch das darauf folgende Wort „Daktylus“ gemildert wird. „Denen“ p3b_194.022
ist uns trotz seiner Beziehung und trotz des Parallelismus zu „jenen“ accentgemäß p3b_194.023
eher Pyrrhichius (⏑ ⏑) als Trochäus).
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Nach Ramler war es der durch seine Homer-Übersetzung hochverdiente p3b_194.025
J. H. Voß, welcher auch in Übersetzung römischer Dichter Gewaltiges leistete, p3b_194.026
wobei er leider seine stereotype Behandlungsweise beibehielt. Sein pedantisches p3b_194.027
Erstreben der Treue führte ihn zu einer konventionellen Übersetzersprache, so p3b_194.028
daß sich seine Metamorphosen des Ovid, sein Horaz, sein Tibull, sein Vergil p3b_194.029
(gleich den Lukas Kranachschen bürgermeisterlich=wittenbergschen Typen in der p3b_194.030
Malerei) außerordentlich ähneln und dem Freunde deutscher anmutiger Poesie p3b_194.031
in ihrer Steifheit den Genuß stören. Sein bei Ovid, wie bei dem von ihm p3b_194.032
gut ausgeführten Vergil bewiesenes Bestreben, dem römischen Charakter die p3b_194.033
deutsche Sprache anzubequemen, rächte sich besonders in den Odenübersetzungen p3b_194.034
des fein urbanen, in Ton, Ausdruck und sprachlichem Gehalte wechselnden p3b_194.035
Horaz, indem bei Voß eine Beziehung der andern ähnlich sieht, und die p3b_194.036
hölzerne Übersetzungssprache Leben, Geist, Lieblichkeit, Schmelz und Duft verscheucht. p3b_194.037
Dies gilt auch mehr oder weniger von seiner Übersetzung einzelner p3b_194.038
Teile des Ovidschen Festkalenders, der später von Karl Geib (1828), sowie p3b_194.039
besonders von dem strengen E. Klußmann (1859) übertragen wurde, welch p3b_194.040
letzterer den rhetorischen Accent des Originals nachahmt und die Vertauschung p3b_194.041
des Spondeus mit dem Trochäus nicht gestattet.
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