Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_190.001 p3b_190.006 p3b_190.011 p3b_190.017 p3b_190.025 p3b_190.029 p3b_190.001 p3b_190.006 p3b_190.011 p3b_190.017 p3b_190.025 p3b_190.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0216" n="190"/> <p><lb n="p3b_190.001"/><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Griechische Lyrik</hi>. Den Begriff der griechischen Lyrik, welche teilweise <lb n="p3b_190.002"/> nur durch die, in Goethe's Vorbild begründete Ermutigung übersetzbar <lb n="p3b_190.003"/> wurde, nehmen wir hier im weitesten Sinne. Die griechische Lyrik hat sich <lb n="p3b_190.004"/> in der Stufenfolge von Elegie, Jambus und Melos entwickelt. Es ist daher <lb n="p3b_190.005"/> auch der Jnhalt der Anthologie und des Epigramms hier zu erwähnen.</p> <p><lb n="p3b_190.006"/> (<hi rendition="#g">Elegiker.</hi>) Die elegischen Dichter der Hellenen ließ E. Weber bereits <lb n="p3b_190.007"/> 1826 erscheinen, indem er Passows Vorarbeiten benützte, wobei er freilich <lb n="p3b_190.008"/> weniger den künstlerischen Anforderungen Goethe's, als denen der Philologen <lb n="p3b_190.009"/> genügte. 1827 machte R. Naumann (Prenzlau) einen Versuch, der geringe <lb n="p3b_190.010"/> Beachtung fand u. s. w.</p> <p><lb n="p3b_190.011"/> (<hi rendition="#g">Anthologie.</hi>) Dichterisch schwungvoll und in Goethe'schem Deutsch hat <lb n="p3b_190.012"/> uns <hi rendition="#g">Herder</hi> das <hi rendition="#g">griechische Epigramm</hi> übertragen (vgl. Deutsche Blumenlese <lb n="p3b_190.013"/> 1785). Zwar zeigt er noch bedenkliche prosodische Mängel; auch hat er <lb n="p3b_190.014"/> sogar die beiden Daktylen im letzten Hemistichium des Pentameters vernachlässigt; <lb n="p3b_190.015"/> aber seine Epigramme verbinden griechischen Geist mit größerer Freiheit <lb n="p3b_190.016"/> in der Form.</p> <p><lb n="p3b_190.017"/> An seine Weise sucht sich <hi rendition="#g">Fr. Jacobs</hi> (in „Tempe“ 1803, verbessert <lb n="p3b_190.018"/> in „Leben und Kunst der Alten“ 1824) anzuschließen; er bedient sich mancher <lb n="p3b_190.019"/> Freiheiten, indem er die Namen verändert, vom Satzbau abweicht u. a. m., <lb n="p3b_190.020"/> doch ist er in seiner deutschen Prosodik, die nicht einmal die Länge der Stammsilben <lb n="p3b_190.021"/> beachtet, hinter ihm zurückgeblieben. Herder blieb Muster für alle späteren <lb n="p3b_190.022"/> Anthologie-Übersetzer bis in die Neuzeit: für Gottl. <hi rendition="#g">Regis</hi> (1856), wie <lb n="p3b_190.023"/> für Weber und Thudichum, welche 1869 die vollständige Sammlung herausgaben.</p> <lb n="p3b_190.024"/> <p><lb n="p3b_190.025"/> Stücke von Sappho, Alcäus u. s. w. finden wir auch in der Anthologie. <lb n="p3b_190.026"/> Als neueste, glückliche Übersetzung der Lieder der Sappho verdient Geibels <lb n="p3b_190.027"/> Klass. Liederbuch Erwähnung. (Bezüglich der lyrischen oder melischen Partien <lb n="p3b_190.028"/> im Drama verweisen wir auf die betreffenden Abschnitte.)</p> <p><lb n="p3b_190.029"/> (<hi rendition="#g">Pindar.</hi>) Die Einbürgerung der durch Klopstock vermittelten <hi rendition="#g">Odenmaße</hi> <lb n="p3b_190.030"/> stellte oft unüberwindliche Anforderungen an den Übersetzer und erinnerte <lb n="p3b_190.031"/> unwillkürlich an Cicero's Ansicht, daß Maße von allzu großer Künstlichkeit dem <lb n="p3b_190.032"/> Ohre als regellos und wieder wie bloße Prosa erscheinen. Bei <hi rendition="#g">Pindar,</hi> der <lb n="p3b_190.033"/> sich häufig von der natürlichen Redeweise entfernt und sich nicht selten in <lb n="p3b_190.034"/> Schnörkel und Zieraten verliert, waren die Schwierigkeiten in Hinsicht auf Metrum, <lb n="p3b_190.035"/> Sprache, Charakter und Gegenstand früher kaum zu bewältigen, weshalb wohl <lb n="p3b_190.036"/> die älteste Übersetzung (1771) und auch spätere Versuche die Prosa wählten. <lb n="p3b_190.037"/> Man hielt ─ nicht mit Unrecht ─ Pindars Oden für ein Analogon zu dem, <lb n="p3b_190.038"/> was man in der bildenden Kunst den hieratischen Stil nennt, und meinte, es <lb n="p3b_190.039"/> herrsche in ihnen ein traditionelles Element vor, das ihnen eine Steifheit und <lb n="p3b_190.040"/> Schwerfälligkeit auferlege, die zum würdevollen Charakter zu gehören scheine, <lb n="p3b_190.041"/> die aber ─ weil sie das allgemein Gültige entbehre ─ keine Übertragung <lb n="p3b_190.042"/> in eine andere Sprache zulasse. Trotzdem fand Pindar die bekannten Übersetzer <lb n="p3b_190.043"/> <hi rendition="#g">Thiersch</hi> (1820), <hi rendition="#g">Mommsen</hi> (1846), <hi rendition="#g">Ludwig</hi> und L. F. <hi rendition="#g">Schnitzer</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0216]
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b. Griechische Lyrik. Den Begriff der griechischen Lyrik, welche teilweise p3b_190.002
nur durch die, in Goethe's Vorbild begründete Ermutigung übersetzbar p3b_190.003
wurde, nehmen wir hier im weitesten Sinne. Die griechische Lyrik hat sich p3b_190.004
in der Stufenfolge von Elegie, Jambus und Melos entwickelt. Es ist daher p3b_190.005
auch der Jnhalt der Anthologie und des Epigramms hier zu erwähnen.
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(Elegiker.) Die elegischen Dichter der Hellenen ließ E. Weber bereits p3b_190.007
1826 erscheinen, indem er Passows Vorarbeiten benützte, wobei er freilich p3b_190.008
weniger den künstlerischen Anforderungen Goethe's, als denen der Philologen p3b_190.009
genügte. 1827 machte R. Naumann (Prenzlau) einen Versuch, der geringe p3b_190.010
Beachtung fand u. s. w.
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(Anthologie.) Dichterisch schwungvoll und in Goethe'schem Deutsch hat p3b_190.012
uns Herder das griechische Epigramm übertragen (vgl. Deutsche Blumenlese p3b_190.013
1785). Zwar zeigt er noch bedenkliche prosodische Mängel; auch hat er p3b_190.014
sogar die beiden Daktylen im letzten Hemistichium des Pentameters vernachlässigt; p3b_190.015
aber seine Epigramme verbinden griechischen Geist mit größerer Freiheit p3b_190.016
in der Form.
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An seine Weise sucht sich Fr. Jacobs (in „Tempe“ 1803, verbessert p3b_190.018
in „Leben und Kunst der Alten“ 1824) anzuschließen; er bedient sich mancher p3b_190.019
Freiheiten, indem er die Namen verändert, vom Satzbau abweicht u. a. m., p3b_190.020
doch ist er in seiner deutschen Prosodik, die nicht einmal die Länge der Stammsilben p3b_190.021
beachtet, hinter ihm zurückgeblieben. Herder blieb Muster für alle späteren p3b_190.022
Anthologie-Übersetzer bis in die Neuzeit: für Gottl. Regis (1856), wie p3b_190.023
für Weber und Thudichum, welche 1869 die vollständige Sammlung herausgaben.
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Stücke von Sappho, Alcäus u. s. w. finden wir auch in der Anthologie. p3b_190.026
Als neueste, glückliche Übersetzung der Lieder der Sappho verdient Geibels p3b_190.027
Klass. Liederbuch Erwähnung. (Bezüglich der lyrischen oder melischen Partien p3b_190.028
im Drama verweisen wir auf die betreffenden Abschnitte.)
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(Pindar.) Die Einbürgerung der durch Klopstock vermittelten Odenmaße p3b_190.030
stellte oft unüberwindliche Anforderungen an den Übersetzer und erinnerte p3b_190.031
unwillkürlich an Cicero's Ansicht, daß Maße von allzu großer Künstlichkeit dem p3b_190.032
Ohre als regellos und wieder wie bloße Prosa erscheinen. Bei Pindar, der p3b_190.033
sich häufig von der natürlichen Redeweise entfernt und sich nicht selten in p3b_190.034
Schnörkel und Zieraten verliert, waren die Schwierigkeiten in Hinsicht auf Metrum, p3b_190.035
Sprache, Charakter und Gegenstand früher kaum zu bewältigen, weshalb wohl p3b_190.036
die älteste Übersetzung (1771) und auch spätere Versuche die Prosa wählten. p3b_190.037
Man hielt ─ nicht mit Unrecht ─ Pindars Oden für ein Analogon zu dem, p3b_190.038
was man in der bildenden Kunst den hieratischen Stil nennt, und meinte, es p3b_190.039
herrsche in ihnen ein traditionelles Element vor, das ihnen eine Steifheit und p3b_190.040
Schwerfälligkeit auferlege, die zum würdevollen Charakter zu gehören scheine, p3b_190.041
die aber ─ weil sie das allgemein Gültige entbehre ─ keine Übertragung p3b_190.042
in eine andere Sprache zulasse. Trotzdem fand Pindar die bekannten Übersetzer p3b_190.043
Thiersch (1820), Mommsen (1846), Ludwig und L. F. Schnitzer
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