Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.
p3b_146.001 p3b_146.006 p3b_146.008 p3b_146.009 Lösung. Von E. Mörike. p3b_146.014Der jüngsten in dem weit gepriesnen Schwesternchor p3b_146.015 Heilkräft'ger Nymphen unsres lieben Vaterlands, p3b_146.016 Die wunderthätig im bescheidnen Tempel wohnt, p3b_146.017 Sich selber still weissagend einen herrlichern; p3b_146.018 Jn deren schon verlorne Gunst du leise mich p3b_146.019 An deiner priesterlichen Hand zurückgeführt: p3b_146.020 Heut' in der frühsten Morgenstunde goß ich ihr p3b_146.021 Die Opfermilch, die reine, an der Schwelle aus, p3b_146.022 Und schenkte dankbar ein krystallen Weihgefäß. p3b_146.023 Sie aber, rauschend in der Tiefe, sprach dies Wort: p3b_146.024 Bring meinem Diener, deinem Freunde, den Pokal, p3b_146.025 Mit jenes Gottes Feuergabe voll gefüllt, p3b_146.026 Der meinen Berg mit seinen heiligen Ranken schmückt, p3b_146.027 Obwohl er meine Lippen zu berühren scheut. p3b_146.028 § 58. Wirkliches Lehrgedicht. (Vgl. Poetik II, 219.) p3b_146.029 p3b_146.030 p3b_146.035
p3b_146.001 p3b_146.006 p3b_146.008 p3b_146.009 Lösung. Von E. Mörike. p3b_146.014Der jüngsten in dem weit gepriesnen Schwesternchor p3b_146.015 Heilkräft'ger Nymphen unsres lieben Vaterlands, p3b_146.016 Die wunderthätig im bescheidnen Tempel wohnt, p3b_146.017 Sich selber still weissagend einen herrlichern; p3b_146.018 Jn deren schon verlorne Gunst du leise mich p3b_146.019 An deiner priesterlichen Hand zurückgeführt: p3b_146.020 Heut' in der frühsten Morgenstunde goß ich ihr p3b_146.021 Die Opfermilch, die reine, an der Schwelle aus, p3b_146.022 Und schenkte dankbar ein krystallen Weihgefäß. p3b_146.023 Sie aber, rauschend in der Tiefe, sprach dies Wort: p3b_146.024 Bring meinem Diener, deinem Freunde, den Pokal, p3b_146.025 Mit jenes Gottes Feuergabe voll gefüllt, p3b_146.026 Der meinen Berg mit seinen heiligen Ranken schmückt, p3b_146.027 Obwohl er meine Lippen zu berühren scheut. p3b_146.028 § 58. Wirkliches Lehrgedicht. (Vgl. Poetik II, 219.) p3b_146.029 p3b_146.030 p3b_146.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0172" n="146"/><lb n="p3b_146.001"/> Zukunft prophezeit: │ goß ich in frühester Tagesstunde │ Opfermilch <lb n="p3b_146.002"/> aus │ und schenkte ihr ein krystallenes Weihegefäß. │ Jn der Tiefe <lb n="p3b_146.003"/> rauschend, sprach sie: │ Meinem Diener bringe den Pokal │ gefüllt <lb n="p3b_146.004"/> mit der Gabe jenes Gottes, │ der meinen Berg mit seinen Reben <lb n="p3b_146.005"/> schmückt, │ obwohl er meine Lippen nicht zu berühren wagt. │</hi> </p> <p><lb n="p3b_146.006"/> 3. Die antiken Bilder und Namen und die langen rhythmischen Reihen <lb n="p3b_146.007"/> weisen auf den neuen Senarius hin, dem ursprünglichen attischen Trimeter.</p> <p><lb n="p3b_146.008"/> 4. Wegen der fortlaufenden Rede möge derselbe reimlos sein.</p> <p><lb n="p3b_146.009"/> 5. Bei dem einzelnen Senare ist die wechselnde weibliche Cäsur zu beachten, <lb n="p3b_146.010"/> durch welche die nunmehr mit einer Arsis beginnende zweite Vershälfte <lb n="p3b_146.011"/> fallende Tendenz erhält, eine Abwechselung, welche ein Schönheitsmittel <lb n="p3b_146.012"/> des Verses ist.</p> <lb n="p3b_146.013"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung. Von</hi> E. <hi rendition="#g">Mörike.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_146.014"/> <lg> <l>Der jüngsten in dem weit gepriesnen Schwesternchor</l> <lb n="p3b_146.015"/> <l>Heilkräft'ger Nymphen unsres lieben Vaterlands,</l> <lb n="p3b_146.016"/> <l>Die wunderthätig im bescheidnen Tempel wohnt,</l> <lb n="p3b_146.017"/> <l>Sich selber still weissagend einen herrlichern;</l> <lb n="p3b_146.018"/> <l>Jn deren schon verlorne Gunst du leise mich</l> <lb n="p3b_146.019"/> <l>An deiner priesterlichen Hand zurückgeführt:</l> <lb n="p3b_146.020"/> <l>Heut' in der frühsten Morgenstunde goß ich ihr</l> <lb n="p3b_146.021"/> <l>Die Opfermilch, die reine, an der Schwelle aus,</l> <lb n="p3b_146.022"/> <l>Und schenkte dankbar ein krystallen Weihgefäß.</l> <lb n="p3b_146.023"/> <l>Sie aber, rauschend in der Tiefe, sprach dies Wort:</l> <lb n="p3b_146.024"/> <l>Bring meinem Diener, deinem Freunde, den Pokal,</l> <lb n="p3b_146.025"/> <l>Mit jenes Gottes Feuergabe voll gefüllt,</l> <lb n="p3b_146.026"/> <l>Der meinen Berg mit seinen heiligen Ranken schmückt,</l> <lb n="p3b_146.027"/> <l>Obwohl er meine Lippen zu berühren scheut.</l> </lg> </div> <div n="3"> <lb n="p3b_146.028"/> <head> <hi rendition="#c">§ 58. Wirkliches Lehrgedicht. (Vgl. Poetik <hi rendition="#aq">II</hi>, 219.)</hi> </head> <p> <lb n="p3b_146.029"/> <hi rendition="#g">Aufgabe. Gedicht für einen Wohlthätigkeitszweck.</hi> </p> <p><lb n="p3b_146.030"/> 1. <hi rendition="#g">Disposition.</hi> Ein Gedicht zum Besten eines Asylvereins für Obdachlose <lb n="p3b_146.031"/> ist zu bilden, welches in seiner Einleitung den grimmig kalten Winter <lb n="p3b_146.032"/> mit seinen eisigen Ostwinden, Schneestürmen und Nordlichtern in der Absicht <lb n="p3b_146.033"/> schildert, in seinem Hauptteil die Hilfsbedürftigkeit der Obdachlosen zu malen, <lb n="p3b_146.034"/> Wahrheiten auszusprechen und schließlich zur wohlthätigen Liebe aufzufordern.</p> <p><lb n="p3b_146.035"/> 2. Die der Religion, der Moral und dem Leben entstammenden Gedanken <lb n="p3b_146.036"/> dieser Disposition ergeben sich von selbst. Wir breiten sie dem Anfänger wie <lb n="p3b_146.037"/> eine Paraphrase aus; der geübtere, kühne Kunstjünger mag sich dieselben selbst <lb n="p3b_146.038"/> schaffen.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0172]
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Zukunft prophezeit: │ goß ich in frühester Tagesstunde │ Opfermilch p3b_146.002
aus │ und schenkte ihr ein krystallenes Weihegefäß. │ Jn der Tiefe p3b_146.003
rauschend, sprach sie: │ Meinem Diener bringe den Pokal │ gefüllt p3b_146.004
mit der Gabe jenes Gottes, │ der meinen Berg mit seinen Reben p3b_146.005
schmückt, │ obwohl er meine Lippen nicht zu berühren wagt. │
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3. Die antiken Bilder und Namen und die langen rhythmischen Reihen p3b_146.007
weisen auf den neuen Senarius hin, dem ursprünglichen attischen Trimeter.
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4. Wegen der fortlaufenden Rede möge derselbe reimlos sein.
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5. Bei dem einzelnen Senare ist die wechselnde weibliche Cäsur zu beachten, p3b_146.010
durch welche die nunmehr mit einer Arsis beginnende zweite Vershälfte p3b_146.011
fallende Tendenz erhält, eine Abwechselung, welche ein Schönheitsmittel p3b_146.012
des Verses ist.
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Lösung. Von E. Mörike.
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Der jüngsten in dem weit gepriesnen Schwesternchor p3b_146.015
Heilkräft'ger Nymphen unsres lieben Vaterlands, p3b_146.016
Die wunderthätig im bescheidnen Tempel wohnt, p3b_146.017
Sich selber still weissagend einen herrlichern; p3b_146.018
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An deiner priesterlichen Hand zurückgeführt: p3b_146.020
Heut' in der frühsten Morgenstunde goß ich ihr p3b_146.021
Die Opfermilch, die reine, an der Schwelle aus, p3b_146.022
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Sie aber, rauschend in der Tiefe, sprach dies Wort: p3b_146.024
Bring meinem Diener, deinem Freunde, den Pokal, p3b_146.025
Mit jenes Gottes Feuergabe voll gefüllt, p3b_146.026
Der meinen Berg mit seinen heiligen Ranken schmückt, p3b_146.027
Obwohl er meine Lippen zu berühren scheut.
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§ 58. Wirkliches Lehrgedicht. (Vgl. Poetik II, 219.) p3b_146.029
Aufgabe. Gedicht für einen Wohlthätigkeitszweck.
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1. Disposition. Ein Gedicht zum Besten eines Asylvereins für Obdachlose p3b_146.031
ist zu bilden, welches in seiner Einleitung den grimmig kalten Winter p3b_146.032
mit seinen eisigen Ostwinden, Schneestürmen und Nordlichtern in der Absicht p3b_146.033
schildert, in seinem Hauptteil die Hilfsbedürftigkeit der Obdachlosen zu malen, p3b_146.034
Wahrheiten auszusprechen und schließlich zur wohlthätigen Liebe aufzufordern.
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2. Die der Religion, der Moral und dem Leben entstammenden Gedanken p3b_146.036
dieser Disposition ergeben sich von selbst. Wir breiten sie dem Anfänger wie p3b_146.037
eine Paraphrase aus; der geübtere, kühne Kunstjünger mag sich dieselben selbst p3b_146.038
schaffen.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/172>, abgerufen am 16.02.2025. |