Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_111.001 p3b_111.002 Lösung. Von Hermann Lingg. p3b_111.020Theodorich vernimmt mit Schmerz und Trauer p3b_111.021 p3b_111.028Des Toten Preis, aus seinen Augen bricht p3b_111.022 Die Thräne vor, und ihn ergreift ein Schauer, p3b_111.023 Als sprächen Himmelsstimmen sein Gericht. p3b_111.024 Er seufzt aus tiefster Brust, und an die Mauer p3b_111.025 Der Säule birgt er weinend sein Gesicht, p3b_111.026 Dann legt er ab Geschmeid und Goldgefunkel, p3b_111.027 Und eilt allein hinaus in Nacht und Dunkel. Durch eines Klosters Hof zur gleichen Stunde p3b_111.029 p3b_111.036Rief's in der nächsten Nacht: "Auf! wenn ihr schlieft, p3b_111.030 Herbei, ihr Mönche, mit dem Schlüsselbunde! p3b_111.031 Schließt auf das Thor, ich bin es, den ihr rieft!" p3b_111.032 Theodorich trat ein, vor ihm im Grunde p3b_111.033 Vor einer Nische lag ein Grab vertieft. p3b_111.034 "Der ist es," sprach ein Mönch, "der sich erboten Mit seiner Hilfe trugen sie zur Stätte p3b_111.037
Des Odoakers Leichnam, und allein, p3b_111.038 Als ob er ihm was abzubitten hätte, p3b_111.039 Bog jener lang sich über ihn herein. p3b_111.001 p3b_111.002 Lösung. Von Hermann Lingg. p3b_111.020Theodorich vernimmt mit Schmerz und Trauer p3b_111.021 p3b_111.028Des Toten Preis, aus seinen Augen bricht p3b_111.022 Die Thräne vor, und ihn ergreift ein Schauer, p3b_111.023 Als sprächen Himmelsstimmen sein Gericht. p3b_111.024 Er seufzt aus tiefster Brust, und an die Mauer p3b_111.025 Der Säule birgt er weinend sein Gesicht, p3b_111.026 Dann legt er ab Geschmeid und Goldgefunkel, p3b_111.027 Und eilt allein hinaus in Nacht und Dunkel. Durch eines Klosters Hof zur gleichen Stunde p3b_111.029 p3b_111.036Rief's in der nächsten Nacht: „Auf! wenn ihr schlieft, p3b_111.030 Herbei, ihr Mönche, mit dem Schlüsselbunde! p3b_111.031 Schließt auf das Thor, ich bin es, den ihr rieft!“ p3b_111.032 Theodorich trat ein, vor ihm im Grunde p3b_111.033 Vor einer Nische lag ein Grab vertieft. p3b_111.034 „Der ist es,“ sprach ein Mönch, „der sich erboten Mit seiner Hilfe trugen sie zur Stätte p3b_111.037
Des Odoakers Leichnam, und allein, p3b_111.038 Als ob er ihm was abzubitten hätte, p3b_111.039 Bog jener lang sich über ihn herein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0137" n="111"/> <p> <lb n="p3b_111.001"/> <hi rendition="#g">Aufgabe.<space dim="horizontal"/>Theodorichs Reue.</hi> </p> <p><lb n="p3b_111.002"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> 1. Mit tiefem Schmerz hört Theodorich den Preis des Toten, <lb n="p3b_111.003"/> aus seinen Augen brechen Thränen, ihn erfaßt ein Grauen, als wenn er gerichtet <lb n="p3b_111.004"/> worden wäre. Er seufzt tief und birgt sein weinendes Gesicht an die <lb n="p3b_111.005"/> Mauer der Säule, dann legt er sein königliches Geschmeide ab und eilt hinaus <lb n="p3b_111.006"/> in die finstere Nacht. ‖ 2. Jm Hofe eines Klosters vernahm man in der nämlichen <lb n="p3b_111.007"/> Stunde der folgenden Nacht den Ruf: „Steht auf, ihr Mönche, öffnet <lb n="p3b_111.008"/> das Thor, hier bin ich, nach dem ihr geschickt habt.“ Theodorich trat ein, vor <lb n="p3b_111.009"/> einer Nische lag ein vertieftes Grab. Ein Mönch sprach zu den übrigen: „Dieser <lb n="p3b_111.010"/> hat sich erboten, den Toten einzumauern.“ ‖ 3. Sie trugen mit seiner Hilfe <lb n="p3b_111.011"/> Odoakers Leichnam zur Gruft hinab, und allein, wie wenn er ihm etwas <lb n="p3b_111.012"/> abzubitten hätte, bog sich Theodorich über ihn. Dann schloß er den marmornen <lb n="p3b_111.013"/> Sarg, ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein zum stillen Haus und bei <lb n="p3b_111.014"/> ihm saß der Mönch mit der Leuchte in der Hand. ‖ 4. Als am andern Morgen <lb n="p3b_111.015"/> die Gebetglocke ertönte, trat Theodorich aus dem Kirchengang und horchte <lb n="p3b_111.016"/> auf dem Marmorblock der letzten Stufe nach dem Klang derselben. Dann strich <lb n="p3b_111.017"/> er sich den Schweiß von der Stirn, ein tiefer Ernst lag auf seinen Zügen; <lb n="p3b_111.018"/> da flog vor allem Volke ein Adler über ihn hinweg. ‖</p> <lb n="p3b_111.019"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Lösung. Von Hermann Lingg.</hi> </hi> </p> <lb n="p3b_111.020"/> <lg> <l>Theodorich vernimmt mit Schmerz und Trauer</l> <lb n="p3b_111.021"/> <l>Des Toten Preis, aus seinen Augen bricht</l> <lb n="p3b_111.022"/> <l>Die Thräne vor, und ihn ergreift ein Schauer,</l> <lb n="p3b_111.023"/> <l>Als sprächen Himmelsstimmen sein Gericht.</l> <lb n="p3b_111.024"/> <l>Er seufzt aus tiefster Brust, und an die Mauer</l> <lb n="p3b_111.025"/> <l>Der Säule birgt er weinend sein Gesicht,</l> <lb n="p3b_111.026"/> <l>Dann legt er ab Geschmeid und Goldgefunkel,</l> <lb n="p3b_111.027"/> <l>Und eilt allein hinaus in Nacht und Dunkel. </l> </lg> <lb n="p3b_111.028"/> <lg> <l>Durch eines Klosters Hof zur gleichen Stunde</l> <lb n="p3b_111.029"/> <l>Rief's in der nächsten Nacht: „Auf! wenn ihr schlieft,</l> <lb n="p3b_111.030"/> <l>Herbei, ihr Mönche, mit dem Schlüsselbunde!</l> <lb n="p3b_111.031"/> <l>Schließt auf das Thor, ich bin es, den ihr rieft!“</l> <lb n="p3b_111.032"/> <l>Theodorich trat ein, vor ihm im Grunde</l> <lb n="p3b_111.033"/> <l>Vor einer Nische lag ein Grab vertieft.</l> <lb n="p3b_111.034"/> <l>„Der ist es,“ sprach ein Mönch, „der sich erboten</l> </lg> <lb n="p3b_111.036"/> <lg> <l>Mit seiner Hilfe trugen sie zur Stätte</l> <lb n="p3b_111.037"/> <l>Des Odoakers Leichnam, und allein,</l> <lb n="p3b_111.038"/> <l>Als ob er ihm was abzubitten hätte,</l> <lb n="p3b_111.039"/> <l>Bog jener lang sich über ihn herein.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0137]
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Aufgabe. Theodorichs Reue.
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Stoff. 1. Mit tiefem Schmerz hört Theodorich den Preis des Toten, p3b_111.003
aus seinen Augen brechen Thränen, ihn erfaßt ein Grauen, als wenn er gerichtet p3b_111.004
worden wäre. Er seufzt tief und birgt sein weinendes Gesicht an die p3b_111.005
Mauer der Säule, dann legt er sein königliches Geschmeide ab und eilt hinaus p3b_111.006
in die finstere Nacht. ‖ 2. Jm Hofe eines Klosters vernahm man in der nämlichen p3b_111.007
Stunde der folgenden Nacht den Ruf: „Steht auf, ihr Mönche, öffnet p3b_111.008
das Thor, hier bin ich, nach dem ihr geschickt habt.“ Theodorich trat ein, vor p3b_111.009
einer Nische lag ein vertieftes Grab. Ein Mönch sprach zu den übrigen: „Dieser p3b_111.010
hat sich erboten, den Toten einzumauern.“ ‖ 3. Sie trugen mit seiner Hilfe p3b_111.011
Odoakers Leichnam zur Gruft hinab, und allein, wie wenn er ihm etwas p3b_111.012
abzubitten hätte, bog sich Theodorich über ihn. Dann schloß er den marmornen p3b_111.013
Sarg, ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein zum stillen Haus und bei p3b_111.014
ihm saß der Mönch mit der Leuchte in der Hand. ‖ 4. Als am andern Morgen p3b_111.015
die Gebetglocke ertönte, trat Theodorich aus dem Kirchengang und horchte p3b_111.016
auf dem Marmorblock der letzten Stufe nach dem Klang derselben. Dann strich p3b_111.017
er sich den Schweiß von der Stirn, ein tiefer Ernst lag auf seinen Zügen; p3b_111.018
da flog vor allem Volke ein Adler über ihn hinweg. ‖
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Lösung. Von Hermann Lingg.
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Theodorich vernimmt mit Schmerz und Trauer p3b_111.021
Des Toten Preis, aus seinen Augen bricht p3b_111.022
Die Thräne vor, und ihn ergreift ein Schauer, p3b_111.023
Als sprächen Himmelsstimmen sein Gericht. p3b_111.024
Er seufzt aus tiefster Brust, und an die Mauer p3b_111.025
Der Säule birgt er weinend sein Gesicht, p3b_111.026
Dann legt er ab Geschmeid und Goldgefunkel, p3b_111.027
Und eilt allein hinaus in Nacht und Dunkel.
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Durch eines Klosters Hof zur gleichen Stunde p3b_111.029
Rief's in der nächsten Nacht: „Auf! wenn ihr schlieft, p3b_111.030
Herbei, ihr Mönche, mit dem Schlüsselbunde! p3b_111.031
Schließt auf das Thor, ich bin es, den ihr rieft!“ p3b_111.032
Theodorich trat ein, vor ihm im Grunde p3b_111.033
Vor einer Nische lag ein Grab vertieft. p3b_111.034
„Der ist es,“ sprach ein Mönch, „der sich erboten
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Mit seiner Hilfe trugen sie zur Stätte p3b_111.037
Des Odoakers Leichnam, und allein, p3b_111.038
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Bog jener lang sich über ihn herein.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/137>, abgerufen am 16.02.2025. |