p2b_071.004 1. Jedes lyrische, ein sanftes Gefühl darstellende Gedicht, dessen p2b_071.005 eigentliche und ursprüngliche Bestimmung ist, gesungen zu werden,p2b_071.006 und das man als den lebendigen poetischen Ausdruck einer individuellen p2b_071.007 Stimmung des Gemüts betrachten kann, nennt man ein Lied.
p2b_071.008 2. Die erste Form des Liedes war das seit Herder sog. Volkslied. p2b_071.009 Wir teilen daher die Lieder ein: in Volkslieder und Kunstlieder.
p2b_071.010 1. Das Lied ist die wesentliche Form und die Blüte aller Lyrik; in ihm p2b_071.011 ist die Jndividualität und Subjektivität des Dichters am unvermitteltsten ausgeprägt. p2b_071.012 "Daz liet" war in seiner ursprünglichsten Form eine einzelne p2b_071.013 Gesangsstrophe. Zur Bezeichnung mehrerer Gesangsstrophen bediente man sich p2b_071.014 des Plurals "diu liet" (nicht zu verwechseln mit lit == Glied).
p2b_071.015 Vor allen andern Völkern haben die Deutschen den größten Reichtum an p2b_071.016 herrlichen Liedern aufzuweisen. Dies hat seinen Grund teilweise darin, daß p2b_071.017 der Deutsche die Weisen und Arten vieler fremder Völker abgelauscht hat.
p2b_071.018 Die Franzosen kennen das eigentliche Lied nicht und haben dafür auch p2b_071.019 kein Wort, weshalb sie jetzt für diese Gattung das deutsche Wort "Lied" aufgenommen p2b_071.020 haben.
p2b_071.021 2. Dem Volkslied stellt sich das Kunstlied gegenüber. Dieses nahm p2b_071.022 ursprünglich die Gestalt des Minneliedes an. Darauf folgte das Meistersängerlied. p2b_071.023 Luther pflegte das geistliche Lied, und Opitz gab uns das Lied mit p2b_071.024 gelehrtem Anstrich: das Sprachlied im Gegensatz zum Singlied.p2b_071.025 Durch Klopstock erhielt das Lied klassischen Charakter. Goethe war es, welcher p2b_071.026 das Lied auf die höchste Höhe hob.
p2b_071.027 Die strophische Einteilung des Liedes hat bewirkt, daß man auch erzählende p2b_071.028 Gedichte (z. B. das Nibelungenlied und Hildebrandlied &c.) fälschlich als Lieder p2b_071.029 bezeichnet, was vielleicht noch dadurch veranlaßt wurde, daß diese Gedichte p2b_071.030 gesangsweise vorgetragen wurden, also die rhythmische Form des Liedes hatten. p2b_071.031 Auch Schillers Lied von der Glocke ist ein didaktisches Gedicht und kein Lied p2b_071.032 im eigentlichen Sinn u. s. w.
p2b_071.033 Nach dem ruhigeren oder gesteigerten oder reflektierenden Gemütsausdruck p2b_071.034 ließe sich diese Einteilung auch in folgendes Schema fassen:
p2b_071.035
A. Lyrik ruhiger Empfindung == Lied, geselliges Lied, geistliches p2b_071.036 Lied, und fremde Formen.
C. Lyrik der Reflexion == Elegisches Lied, Elegie.
p2b_071.040 Die Einteilung der lyrischen Poesie ist bei den verschiedenen Litterarhistorikern p2b_071.041 je nach den Ausgangspunkten verschieden. Der Ästhetiker Vischer
p2b_071.001
I. Formen ruhiger Empfindung.
p2b_071.002
Das Lied und seine Formen.
p2b_071.003
§ 49. Begriff und Einteilung.
p2b_071.004 1. Jedes lyrische, ein sanftes Gefühl darstellende Gedicht, dessen p2b_071.005 eigentliche und ursprüngliche Bestimmung ist, gesungen zu werden,p2b_071.006 und das man als den lebendigen poetischen Ausdruck einer individuellen p2b_071.007 Stimmung des Gemüts betrachten kann, nennt man ein Lied.
p2b_071.008 2. Die erste Form des Liedes war das seit Herder sog. Volkslied. p2b_071.009 Wir teilen daher die Lieder ein: in Volkslieder und Kunstlieder.
p2b_071.010 1. Das Lied ist die wesentliche Form und die Blüte aller Lyrik; in ihm p2b_071.011 ist die Jndividualität und Subjektivität des Dichters am unvermitteltsten ausgeprägt. p2b_071.012 „Daz liet“ war in seiner ursprünglichsten Form eine einzelne p2b_071.013 Gesangsstrophe. Zur Bezeichnung mehrerer Gesangsstrophen bediente man sich p2b_071.014 des Plurals „diu liet“ (nicht zu verwechseln mit lit == Glied).
p2b_071.015 Vor allen andern Völkern haben die Deutschen den größten Reichtum an p2b_071.016 herrlichen Liedern aufzuweisen. Dies hat seinen Grund teilweise darin, daß p2b_071.017 der Deutsche die Weisen und Arten vieler fremder Völker abgelauscht hat.
p2b_071.018 Die Franzosen kennen das eigentliche Lied nicht und haben dafür auch p2b_071.019 kein Wort, weshalb sie jetzt für diese Gattung das deutsche Wort „Lied“ aufgenommen p2b_071.020 haben.
p2b_071.021 2. Dem Volkslied stellt sich das Kunstlied gegenüber. Dieses nahm p2b_071.022 ursprünglich die Gestalt des Minneliedes an. Darauf folgte das Meistersängerlied. p2b_071.023 Luther pflegte das geistliche Lied, und Opitz gab uns das Lied mit p2b_071.024 gelehrtem Anstrich: das Sprachlied im Gegensatz zum Singlied.p2b_071.025 Durch Klopstock erhielt das Lied klassischen Charakter. Goethe war es, welcher p2b_071.026 das Lied auf die höchste Höhe hob.
p2b_071.027 Die strophische Einteilung des Liedes hat bewirkt, daß man auch erzählende p2b_071.028 Gedichte (z. B. das Nibelungenlied und Hildebrandlied &c.) fälschlich als Lieder p2b_071.029 bezeichnet, was vielleicht noch dadurch veranlaßt wurde, daß diese Gedichte p2b_071.030 gesangsweise vorgetragen wurden, also die rhythmische Form des Liedes hatten. p2b_071.031 Auch Schillers Lied von der Glocke ist ein didaktisches Gedicht und kein Lied p2b_071.032 im eigentlichen Sinn u. s. w.
p2b_071.033 Nach dem ruhigeren oder gesteigerten oder reflektierenden Gemütsausdruck p2b_071.034 ließe sich diese Einteilung auch in folgendes Schema fassen:
p2b_071.035
A. Lyrik ruhiger Empfindung == Lied, geselliges Lied, geistliches p2b_071.036 Lied, und fremde Formen.
C. Lyrik der Reflexion == Elegisches Lied, Elegie.
p2b_071.040 Die Einteilung der lyrischen Poesie ist bei den verschiedenen Litterarhistorikern p2b_071.041 je nach den Ausgangspunkten verschieden. Der Ästhetiker Vischer
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I. Formen ruhiger Empfindung. p2b_071.002
Das Lied und seine Formen. p2b_071.003
§ 49. Begriff und Einteilung. p2b_071.004
1. Jedes lyrische, ein sanftes Gefühl darstellende Gedicht, dessen p2b_071.005
eigentliche und ursprüngliche Bestimmung ist, gesungen zu werden, p2b_071.006
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Stimmung des Gemüts betrachten kann, nennt man ein Lied.
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2. Die erste Form des Liedes war das seit Herder sog. Volkslied. p2b_071.009
Wir teilen daher die Lieder ein: in Volkslieder und Kunstlieder.
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1. Das Lied ist die wesentliche Form und die Blüte aller Lyrik; in ihm p2b_071.011
ist die Jndividualität und Subjektivität des Dichters am unvermitteltsten ausgeprägt. p2b_071.012
„Daz liet“ war in seiner ursprünglichsten Form eine einzelne p2b_071.013
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Vor allen andern Völkern haben die Deutschen den größten Reichtum an p2b_071.016
herrlichen Liedern aufzuweisen. Dies hat seinen Grund teilweise darin, daß p2b_071.017
der Deutsche die Weisen und Arten vieler fremder Völker abgelauscht hat.
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kein Wort, weshalb sie jetzt für diese Gattung das deutsche Wort „Lied“ aufgenommen p2b_071.020
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2. Dem Volkslied stellt sich das Kunstlied gegenüber. Dieses nahm p2b_071.022
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Durch Klopstock erhielt das Lied klassischen Charakter. Goethe war es, welcher p2b_071.026
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gesangsweise vorgetragen wurden, also die rhythmische Form des Liedes hatten. p2b_071.031
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p2b_071.035
A. Lyrik ruhiger Empfindung == Lied, geselliges Lied, geistliches p2b_071.036
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B. Lyrik begeisterter Empfindung == Ode, lyrische Rhapsodie, p2b_071.038
Dithyrambe, Hymne.
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C. Lyrik der Reflexion == Elegisches Lied, Elegie.
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Die Einteilung der lyrischen Poesie ist bei den verschiedenen Litterarhistorikern p2b_071.041
je nach den Ausgangspunkten verschieden. Der Ästhetiker Vischer
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/93>, abgerufen am 23.06.2024.
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