p2b_396.001 Nacht, mein Liebster! Geh nun schlafen und heile deine Hand, und geh nicht p2b_396.002 mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor keinem als nur vor dir.
p2b_396.003 Damit huschte sie durch die Thür und verschwand in den Schatten der p2b_396.004 Mauer. Er aber sah noch lange durchs Fenster, aufs Meer hinaus, über dem p2b_396.005 alle Sterne zu schwanken schienen.
p2b_396.006 Als der kleine Padre Curato das nächste Mal aus dem Beichtstuhl kam, p2b_396.007 in dem Laurella lange gekniet hatte, lächelte er still in sich hinein. Wer p2b_396.008 hätte gedacht, sagte er bei sich selbst, daß Gott sich so schnell dieses wunderlichen p2b_396.009 Herzens erbarmen würde? Und ich machte mir noch Vorwürfe, daß ich p2b_396.010 den Dämon Eigensinn nicht härter bedräut hatte. Aber unsere Augen sind p2b_396.011 kurzsichtig für die Wege des Himmels. Nun so segne sie der Herr und lasse p2b_396.012 mich's erleben, daß mich Laurellas ältester Bube einmal an seines Vaters Statt p2b_396.013 übers Meer fährt! Ei ei ei! L'Arrabbiata!" (Schluß der Novelle.)
p2b_396.014 3. Aus Durch Leid zu Freud von L. A. Weinzierl. (Frauennovelle.)
p2b_396.015 Ortmann, welcher fortan an jedem Abend einige Viertelstunden mit p2b_396.016 Hildegarde zu verplaudern pflegte, brachte auch die Bücher, welche ihr vorgelesen p2b_396.017 wurden.
p2b_396.018 "Jch müßte mich arg irren," sagte er, als er drei Bände von verschiedener p2b_396.019 Größe, doch alle von mäßiger Dicke nur, aus den Taschen seines p2b_396.020 Rockes zum Vorschein brachte, "wenn Sie mir nicht warmen Dank zollen p2b_396.021 würden für diese Bücher. Dies kleine Büchlein hier schließt eine Fülle köstlichen p2b_396.022 Humors in sich; unter seinem Einfluß wird man geneigt, Welt und p2b_396.023 Leben als lustige Komödie - wohlgemerkt nicht als Farce! - anzusehen. Es p2b_396.024 ist Scheffels Liederbuch Gaudeamus. Jn dem zweiten Bande, in Hebbels p2b_396.025 Nibelungen-Trilogie, finden Sie als Gegensatz markerschütternde Tragik."
p2b_396.026 "Jch kenne das Werk," sagte Hildegarde, "und ich teile Jhre Bewunderung p2b_396.027 dafür, ja, vielleicht werden Sie finden, daß ich zu weit darin gehe. Oft p2b_396.028 schon bin ich meines ketzerischen Geschmacks wegen gescholten worden, aber p2b_396.029 doch muß ich bekennen, daß mir die Nibelungen erst in dem Hebbelschen Ausschnitt p2b_396.030 Genuß bereiten ..."
p2b_396.031 "Nun, wenn auch nicht reumütig, sehen Sie bei diesem Geständnis doch p2b_396.032 gehörig zerknirscht aus. Das ist immer etwas! Übrigens finde ich diese Jhre p2b_396.033 Ansicht nicht unbegreiflich."
p2b_396.034 "Etwas vor allem macht mir die Hebbelsche Tragödie - wie soll ich p2b_396.035 nur sagen? - "angenehm" ist da kein richtiges Wort, und doch muß ich es p2b_396.036 gebrauchen, - daß der Dichter trotz des grausen Schlusses uns versöhnt entläßt, p2b_396.037 denn wir empfangen den Eindruck der Notwendigkeit eines solchen: die p2b_396.038 alte Zeit, das alte Geschlecht, welches nicht zu verzeihen vermochte, mußte p2b_396.039 untergehen, damit das neue, dessen Hauptgesetz nicht mehr die Rache war, sich p2b_396.040 geltend machen konnte. Jn den Schlußworten Dietrichs von Bern: "Jm Namen p2b_396.041 Dessen, der am Kreuz erblich!" mit denen er die zu schwer gewordene Krone p2b_396.042 von König Etzels Haupte nimmt - bringt der Dichter zum Ausdruck, daß p2b_396.043 die Liebe fortan und nicht mehr der Haß herrschen sollte."
p2b_396.044 "Herrscht sie etwa jetzt im neunzehnten Jahrhundert?"
p2b_396.001 Nacht, mein Liebster! Geh nun schlafen und heile deine Hand, und geh nicht p2b_396.002 mit mir, denn ich fürchte mich nicht, vor keinem als nur vor dir.
p2b_396.003 Damit huschte sie durch die Thür und verschwand in den Schatten der p2b_396.004 Mauer. Er aber sah noch lange durchs Fenster, aufs Meer hinaus, über dem p2b_396.005 alle Sterne zu schwanken schienen.
p2b_396.006 Als der kleine Padre Curato das nächste Mal aus dem Beichtstuhl kam, p2b_396.007 in dem Laurella lange gekniet hatte, lächelte er still in sich hinein. Wer p2b_396.008 hätte gedacht, sagte er bei sich selbst, daß Gott sich so schnell dieses wunderlichen p2b_396.009 Herzens erbarmen würde? Und ich machte mir noch Vorwürfe, daß ich p2b_396.010 den Dämon Eigensinn nicht härter bedräut hatte. Aber unsere Augen sind p2b_396.011 kurzsichtig für die Wege des Himmels. Nun so segne sie der Herr und lasse p2b_396.012 mich's erleben, daß mich Laurellas ältester Bube einmal an seines Vaters Statt p2b_396.013 übers Meer fährt! Ei ei ei! L'Arrabbiata!“ (Schluß der Novelle.)
p2b_396.014 3. Aus Durch Leid zu Freud von L. A. Weinzierl. (Frauennovelle.)
p2b_396.015 Ortmann, welcher fortan an jedem Abend einige Viertelstunden mit p2b_396.016 Hildegarde zu verplaudern pflegte, brachte auch die Bücher, welche ihr vorgelesen p2b_396.017 wurden.
p2b_396.018 „Jch müßte mich arg irren,“ sagte er, als er drei Bände von verschiedener p2b_396.019 Größe, doch alle von mäßiger Dicke nur, aus den Taschen seines p2b_396.020 Rockes zum Vorschein brachte, „wenn Sie mir nicht warmen Dank zollen p2b_396.021 würden für diese Bücher. Dies kleine Büchlein hier schließt eine Fülle köstlichen p2b_396.022 Humors in sich; unter seinem Einfluß wird man geneigt, Welt und p2b_396.023 Leben als lustige Komödie ─ wohlgemerkt nicht als Farce! ─ anzusehen. Es p2b_396.024 ist Scheffels Liederbuch Gaudeamus. Jn dem zweiten Bande, in Hebbels p2b_396.025 Nibelungen-Trilogie, finden Sie als Gegensatz markerschütternde Tragik.“
p2b_396.026 „Jch kenne das Werk,“ sagte Hildegarde, „und ich teile Jhre Bewunderung p2b_396.027 dafür, ja, vielleicht werden Sie finden, daß ich zu weit darin gehe. Oft p2b_396.028 schon bin ich meines ketzerischen Geschmacks wegen gescholten worden, aber p2b_396.029 doch muß ich bekennen, daß mir die Nibelungen erst in dem Hebbelschen Ausschnitt p2b_396.030 Genuß bereiten ...“
p2b_396.031 „Nun, wenn auch nicht reumütig, sehen Sie bei diesem Geständnis doch p2b_396.032 gehörig zerknirscht aus. Das ist immer etwas! Übrigens finde ich diese Jhre p2b_396.033 Ansicht nicht unbegreiflich.“
p2b_396.034 „Etwas vor allem macht mir die Hebbelsche Tragödie ─ wie soll ich p2b_396.035 nur sagen? ─ „angenehm“ ist da kein richtiges Wort, und doch muß ich es p2b_396.036 gebrauchen, ─ daß der Dichter trotz des grausen Schlusses uns versöhnt entläßt, p2b_396.037 denn wir empfangen den Eindruck der Notwendigkeit eines solchen: die p2b_396.038 alte Zeit, das alte Geschlecht, welches nicht zu verzeihen vermochte, mußte p2b_396.039 untergehen, damit das neue, dessen Hauptgesetz nicht mehr die Rache war, sich p2b_396.040 geltend machen konnte. Jn den Schlußworten Dietrichs von Bern: „Jm Namen p2b_396.041 Dessen, der am Kreuz erblich!“ mit denen er die zu schwer gewordene Krone p2b_396.042 von König Etzels Haupte nimmt ─ bringt der Dichter zum Ausdruck, daß p2b_396.043 die Liebe fortan und nicht mehr der Haß herrschen sollte.“
p2b_396.044 „Herrscht sie etwa jetzt im neunzehnten Jahrhundert?“
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Nacht, mein Liebster! Geh nun schlafen und heile deine Hand, und geh nicht p2b_396.002
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Damit huschte sie durch die Thür und verschwand in den Schatten der p2b_396.004
Mauer. Er aber sah noch lange durchs Fenster, aufs Meer hinaus, über dem p2b_396.005
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hätte gedacht, sagte er bei sich selbst, daß Gott sich so schnell dieses wunderlichen p2b_396.009
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den Dämon Eigensinn nicht härter bedräut hatte. Aber unsere Augen sind p2b_396.011
kurzsichtig für die Wege des Himmels. Nun so segne sie der Herr und lasse p2b_396.012
mich's erleben, daß mich Laurellas ältester Bube einmal an seines Vaters Statt p2b_396.013
übers Meer fährt! Ei ei ei! L'Arrabbiata!“ (Schluß der Novelle.)
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Ortmann, welcher fortan an jedem Abend einige Viertelstunden mit p2b_396.016
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„Jch müßte mich arg irren,“ sagte er, als er drei Bände von verschiedener p2b_396.019
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Rockes zum Vorschein brachte, „wenn Sie mir nicht warmen Dank zollen p2b_396.021
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Nibelungen-Trilogie, finden Sie als Gegensatz markerschütternde Tragik.“
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„Jch kenne das Werk,“ sagte Hildegarde, „und ich teile Jhre Bewunderung p2b_396.027
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Genuß bereiten ...“
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„Nun, wenn auch nicht reumütig, sehen Sie bei diesem Geständnis doch p2b_396.032
gehörig zerknirscht aus. Das ist immer etwas! Übrigens finde ich diese Jhre p2b_396.033
Ansicht nicht unbegreiflich.“
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„Etwas vor allem macht mir die Hebbelsche Tragödie ─ wie soll ich p2b_396.035
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gebrauchen, ─ daß der Dichter trotz des grausen Schlusses uns versöhnt entläßt, p2b_396.037
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alte Zeit, das alte Geschlecht, welches nicht zu verzeihen vermochte, mußte p2b_396.039
untergehen, damit das neue, dessen Hauptgesetz nicht mehr die Rache war, sich p2b_396.040
geltend machen konnte. Jn den Schlußworten Dietrichs von Bern: „Jm Namen p2b_396.041
Dessen, der am Kreuz erblich!“ mit denen er die zu schwer gewordene Krone p2b_396.042
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die Liebe fortan und nicht mehr der Haß herrschen sollte.“
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/418>, abgerufen am 23.11.2024.
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