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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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von Romanen berufen ist, Bildner und Lehrer der Nation zu sein; er hat die p2b_349.002
Aufgabe sein Volk zu begeistern, zu veredeln.

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Sein Herz muß an allem, was Menschenbrust erhebt, sich erwärmen, die p2b_349.004
Schicksale und die Entwickelungsstadien seiner Nation müssen ihn begeistern, die p2b_349.005
Bedürfnisse seines Jahrhunderts müssen ihm klar vor der Seele stehen und p2b_349.006
ihn in seinem Schaffen leiten. Ohne in Tendenz und Lehre überzugehen, muß p2b_349.007
der Roman reflektieren, was der Dichter als Repräsentant des Jahrhunderts p2b_349.008
fühlt, ja, der gute Roman muß den vollen Jnhalt der Zeit auf anmutige Weise p2b_349.009
mit der Empfindung und dem Bewußtsein der Nation vermitteln: eine grandiose p2b_349.010
Forderung, durch deren Ausführung der Roman - Reales und Jdeales p2b_349.011
verschmelzend - ebenbürtig neben das Drama tritt, ja als Prosa-Epos für p2b_349.012
unsere Zeit dieselbe hohe Mission erreicht, welche das poetische Volksepos für p2b_349.013
eine frühere Epoche hatte.

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§ 127. Verhältnis des Romans zum Epos.

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1. Der Roman ist aus dem Epos hervorgegangen und später an p2b_349.016
seine Stelle getreten, obwohl er sich von dessen Anforderungen an Wohllaut p2b_349.017
und poetischen Rhythmus emanzipiert hat.

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2. Er unterscheidet sich vom Epos in wesentlichen Stücken, vor p2b_349.019
allem durch seine Prosa-Form, durch seine Stoffe und seine Helden.

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1. Der Roman, den man eine Zwitterart zwischen poetischer und prosaischer p2b_349.021
Darstellung nennen könnte (die Grenzgattung zwischen Poesie und Prosa), p2b_349.022
war ursprünglich weiter nichts, als das in Prosa aufgelöste Epos, die Analyse, p2b_349.023
Übersetzung, Nacherzählung, Umbildung des metrischen Epos: das Prosa-Epos p2b_349.024
(§ 142. XII). Das Aufblühen des Romans fällt mit dem Niedergang des p2b_349.025
Epos zusammen.

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2. Beweist nun auch der Ursprung des Romans dessen enge Verwandtschaft p2b_349.027
mit dem Epos, mit dem er mindestens Jnhalt und Zweck gemeinschaftlich p2b_349.028
hat, so unterschied er sich doch in der Folge von ihm:

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a. Durch seine für ihn passende Prosaform: für ihn passend, p2b_349.030
weil der Rhythmus alles in Gold verwandelt, im Roman aber auch taubes p2b_349.031
Gestein nötig ist und die kleinen und kleinsten Züge in der Physiognomie des p2b_349.032
Menschen nicht darum unentbehrlich sind, weil sie klein und unbedeutend sind, p2b_349.033
sondern weil unsere realistische Anschauung sie verlangt, und weil die volksmäßigen p2b_349.034
Helden des prosaischen Kulturepos des Romans den künstlerischen p2b_349.035
Rahmen des Heldenepos mit seinen auch in der Sprachweise vornehmen Helden p2b_349.036
nicht brauchen können, vielmehr die gewöhnliche Sprache des Lebens verlangen, p2b_349.037
dem sie angehören. (Nur ganz ausnahmsweise hat der Roman metrische Form. p2b_349.038
Vgl. Fr. v. Schacks Ebenbürtig, und Karl Becks makamenartigen Janko. p2b_349.039
I 593, Sprachprobe: I 596.)

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b. Durch seinen weniger wichtigen Gegenstand. Das Kulturgemälde p2b_349.041
des Epos hat es mit großen Volksinteressen, Völkerkampf &c. zu thun. p2b_349.042
Es rollt Weltschicksale auf, während der Roman Privatgeschichten mitteilt.

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von Romanen berufen ist, Bildner und Lehrer der Nation zu sein; er hat die p2b_349.002
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§ 127. Verhältnis des Romans zum Epos.

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1. Der Roman ist aus dem Epos hervorgegangen und später an p2b_349.016
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/371>, abgerufen am 22.11.2024.