Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_315.001 p2b_315.014II. Die Rache. p2b_315.002Tirade 293. Die Baiern kamen und die Alemannen, p2b_315.003 Die Poitevins, Bretonen und Normannen, p2b_315.004 Vor allen aber raten die Franzosen, p2b_315.005 Daß Genelon mit Wunderqualen sterbe. p2b_315.006 Da führte man herbei vier starke Rosse, p2b_315.007 Vier Knechte aber treiben sie zum Lauf p2b_315.008 Nach einer Stute, die im Felde weidet. p2b_315.009 Jhm werden alle Nerven ausgespannt p2b_315.010 Und alle Glieder aus dem Leib gerissen; p2b_315.011 Das klare Blut strömt durch das grüne Gras. p2b_315.012 Genelon starb als überwies'ner Schurke; p2b_315.013 Wer andere verrät, soll nicht frohlocken! V. Der rasende Roland von L. Ariosto (+ 1533) ist ein p2b_315.015 p2b_315.018 p2b_315.023 p2b_315.026 Erster Gesang. p2b_315.0291. p2b_315.030 Die Frauen, Ritter, Waffen und Amuren, p2b_315.031 p2b_315.038Die Courtoisie besing' ich und den Mut p2b_315.032 Der Tage, da die Mohren überfuhren p2b_315.033 Aus Afrika, gehetzt von Zornesglut, p2b_315.034 Und Trauer lag auf Frankreichs schönen Fluren p2b_315.035 Durch Agramante's jugendliche Wut, p2b_315.036 Der seinen Vater wollt' in blut'gen Bächen p2b_315.037 An König Karl, dem röm'schen Kaiser, rächen. 2. p2b_315.039 Jm selben Zug will ich von Roland singen, p2b_315.040
Was nie in Reim noch Prosa ward erhört, p2b_315.041 Wie ihm der Liebe Pfeil gelähmt die Schwingen, p2b_315.042 Den Weisen bis zur Raserei bethört, p2b_315.043 Wenn diese, die mich hält in gleichen Schlingen, p2b_315.044 Mir mehr und mehr mein bißchen Witz verstört, p2b_315.045 Sich mir so viel zu lassen will bequemen, p2b_315.046 Als eben reicht zu meinem Unternehmen. p2b_315.001 p2b_315.014II. Die Rache. p2b_315.002Tirade 293. Die Baiern kamen und die Alemannen, p2b_315.003 Die Poitevins, Bretonen und Normannen, p2b_315.004 Vor allen aber raten die Franzosen, p2b_315.005 Daß Genelon mit Wunderqualen sterbe. p2b_315.006 Da führte man herbei vier starke Rosse, p2b_315.007 Vier Knechte aber treiben sie zum Lauf p2b_315.008 Nach einer Stute, die im Felde weidet. p2b_315.009 Jhm werden alle Nerven ausgespannt p2b_315.010 Und alle Glieder aus dem Leib gerissen; p2b_315.011 Das klare Blut strömt durch das grüne Gras. p2b_315.012 Genelon starb als überwies'ner Schurke; p2b_315.013 Wer andere verrät, soll nicht frohlocken! V. Der rasende Roland von L. Ariosto († 1533) ist ein p2b_315.015 p2b_315.018 p2b_315.023 p2b_315.026 Erster Gesang. p2b_315.0291. p2b_315.030 Die Frauen, Ritter, Waffen und Amuren, p2b_315.031 p2b_315.038Die Courtoisie besing' ich und den Mut p2b_315.032 Der Tage, da die Mohren überfuhren p2b_315.033 Aus Afrika, gehetzt von Zornesglut, p2b_315.034 Und Trauer lag auf Frankreichs schönen Fluren p2b_315.035 Durch Agramante's jugendliche Wut, p2b_315.036 Der seinen Vater wollt' in blut'gen Bächen p2b_315.037 An König Karl, dem röm'schen Kaiser, rächen. 2. p2b_315.039 Jm selben Zug will ich von Roland singen, p2b_315.040
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II. Die Rache.
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Tirade 293.
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romantisches Epos in 46 Gesängen, das für sein Jahrhundert so hoch p2b_315.016
bedeutend war, wie sein glänzendes Vorbild: Ovids geistvolle „Metamorphosen“ p2b_315.017
für das ihrige.
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Während Ovid in Bildern, die mit Verwandlungen endigen, von der p2b_315.019
Urbildung der Welt an durch die mythische Zeit und alle Weltalter hindurch p2b_315.020
bis zu Julius Cäsar führt, giebt Ariosto Episoden aus dem Sagenkreise Karls p2b_315.021
des Großen und schildert in anmutigen Erzählungen das Rittertum nach seiner p2b_315.022
glänzendsten Außenseite.
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Wegen seiner schalkhaften, erheiternden Manier und Ausdrucksweise und p2b_315.024
des sonst durch das Ganze waltenden Humors könnte man dieses altromantische p2b_315.025
Epos auch zu den humoristischen Epen zählen.
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Probe aus Ariost's Der rasende Roland. (Übers. von Herm. p2b_315.027
Kurtz. 3 Bändchen. Stuttgart 1840─1841.)
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Erster Gesang.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/337>, abgerufen am 17.07.2024. |