Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_314.001 I. Rolands Tod. p2b_314.004Tirade 24. Drauf Genelon: "Für mich wirst du nicht gehen; p2b_314.005 p2b_314.011Du bist mein Mann nicht, noch bin ich dein Lehensherr. p2b_314.006 Karl giebt Befehl, daß seinen Dienst ich thue: p2b_314.007 Nach Saragossa geh ich zu Marsilies. p2b_314.008 Doch einen schlechten Streich will ich vollbringen, p2b_314.009 Daran ich diesen großen Zorn mag kühlen." p2b_314.010 Bei diesem Wort hub Roland an zu lachen. " 25. Als Genelon den Grafen lachen sah, p2b_314.012 p2b_314.018Um weniges zersprang er da vor Ärger p2b_314.013 Und nicht viel fehlte, daß er kam von Sinnen. p2b_314.014 Er sprach zu Graf Roland: "Euch lieb ich gar nicht. p2b_314.015 Jhr habet falschen Rat auf mich gewandt. p2b_314.016 Gerechter Kaiser, seht, hier steh' ich vor Euch, p2b_314.017 Erfüllen will ich, was Jhr mir befohlen." " 144. Als Roland das verfluchte Volk ersah, p2b_314.019 p2b_314.026Das eine schwärzre Farbe hat als Tinte p2b_314.020 Und gar nichts Weißes an sich, als die Zähne, p2b_314.021 Da sprach der Graf: "Das weiß ich nun in Wahrheit: p2b_314.022 Daß, wie mich dünkt, wir heut noch alle sterben. p2b_314.023 Haut ein, Franzosen! Jch befehl's euch an." - p2b_314.024 Sprach Oliver: "Schmach auf den Säumigsten!" p2b_314.025 Bei diesen Worten hau'n die Franken ein. " 156. Der Graf Roland, der schlug sich ritterlich, p2b_314.027 p2b_314.042Doch heiß ist ihm sein Leib und schweißbenetzt, p2b_314.028 Und große Qual und Schmerz hat er im Haupte, p2b_314.029 Die Schläfenader sprang ihm, als er blies; p2b_314.030 Doch wissen wollt er, ob der Kaiser nahe, p2b_314.031 Er nahm sein Horn und blies mit schwachem Ton. p2b_314.032 Da hielt der Kaiser an und hört' es wohl: p2b_314.033 "Jhr Herren," sprach er, "Unheil widerfährt uns: p2b_314.034 Roland, mein Neffe, geht uns heut verloren: p2b_314.035 Er lebt nicht lange mehr, ich hör's am Blasen. p2b_314.036 Wer zu ihm will, der reite fort im Flug! p2b_314.037 Die Hörner blast, so viel im Heere sind." p2b_314.038 Und sechzigtausend blasen sie so laut, p2b_314.039 Es dröhnt der Berg, es wiederhallt das Thal. p2b_314.040 Die Heiden hören's, ihnen deucht's kein Scherz, p2b_314.041 Der eine sprach zum andern: "Karl ist nahe!" " 175. Da fühlt Roland, daß seine Zeit vorbei; p2b_314.043
Er sitzt gen Spanien auf spitzem Hügel, p2b_314.044 Und mit der einen Hand schlug er die Brust. p2b_314.045 "Erbarm' dich, Herr, um deiner Tugend willen p2b_314.046 Der vielen Sünden alle groß und klein, p2b_314.047 Die ich beging vom Tag, da ich geboren, p2b_314.048 Bis diesen Tag, wo ich mein Ziel erreicht!" p2b_314.049 Er hebt zu Gott empor den rechten Handschuh, p2b_314.050 Vom Himmel steigen Engel zu ihm nieder. p2b_314.001 I. Rolands Tod. p2b_314.004Tirade 24. Drauf Genelon: „Für mich wirst du nicht gehen; p2b_314.005 p2b_314.011Du bist mein Mann nicht, noch bin ich dein Lehensherr. p2b_314.006 Karl giebt Befehl, daß seinen Dienst ich thue: p2b_314.007 Nach Saragossa geh ich zu Marsilies. p2b_314.008 Doch einen schlechten Streich will ich vollbringen, p2b_314.009 Daran ich diesen großen Zorn mag kühlen.“ p2b_314.010 Bei diesem Wort hub Roland an zu lachen. „ 25. Als Genelon den Grafen lachen sah, p2b_314.012 p2b_314.018Um weniges zersprang er da vor Ärger p2b_314.013 Und nicht viel fehlte, daß er kam von Sinnen. p2b_314.014 Er sprach zu Graf Roland: „Euch lieb ich gar nicht. p2b_314.015 Jhr habet falschen Rat auf mich gewandt. p2b_314.016 Gerechter Kaiser, seht, hier steh' ich vor Euch, p2b_314.017 Erfüllen will ich, was Jhr mir befohlen.“ „ 144. Als Roland das verfluchte Volk ersah, p2b_314.019 p2b_314.026Das eine schwärzre Farbe hat als Tinte p2b_314.020 Und gar nichts Weißes an sich, als die Zähne, p2b_314.021 Da sprach der Graf: „Das weiß ich nun in Wahrheit: p2b_314.022 Daß, wie mich dünkt, wir heut noch alle sterben. p2b_314.023 Haut ein, Franzosen! Jch befehl's euch an.“ ─ p2b_314.024 Sprach Oliver: „Schmach auf den Säumigsten!“ p2b_314.025 Bei diesen Worten hau'n die Franken ein. „ 156. Der Graf Roland, der schlug sich ritterlich, p2b_314.027 p2b_314.042Doch heiß ist ihm sein Leib und schweißbenetzt, p2b_314.028 Und große Qual und Schmerz hat er im Haupte, p2b_314.029 Die Schläfenader sprang ihm, als er blies; p2b_314.030 Doch wissen wollt er, ob der Kaiser nahe, p2b_314.031 Er nahm sein Horn und blies mit schwachem Ton. p2b_314.032 Da hielt der Kaiser an und hört' es wohl: p2b_314.033 „Jhr Herren,“ sprach er, „Unheil widerfährt uns: p2b_314.034 Roland, mein Neffe, geht uns heut verloren: p2b_314.035 Er lebt nicht lange mehr, ich hör's am Blasen. p2b_314.036 Wer zu ihm will, der reite fort im Flug! p2b_314.037 Die Hörner blast, so viel im Heere sind.“ p2b_314.038 Und sechzigtausend blasen sie so laut, p2b_314.039 Es dröhnt der Berg, es wiederhallt das Thal. p2b_314.040 Die Heiden hören's, ihnen deucht's kein Scherz, p2b_314.041 Der eine sprach zum andern: „Karl ist nahe!“ „ 175. Da fühlt Roland, daß seine Zeit vorbei; p2b_314.043
Er sitzt gen Spanien auf spitzem Hügel, p2b_314.044 Und mit der einen Hand schlug er die Brust. p2b_314.045 „Erbarm' dich, Herr, um deiner Tugend willen p2b_314.046 Der vielen Sünden alle groß und klein, p2b_314.047 Die ich beging vom Tag, da ich geboren, p2b_314.048 Bis diesen Tag, wo ich mein Ziel erreicht!“ p2b_314.049 Er hebt zu Gott empor den rechten Handschuh, p2b_314.050 Vom Himmel steigen Engel zu ihm nieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0336" n="314"/> <p><lb n="p2b_314.001"/><hi rendition="#g">Probe aus dem Rolandslied. (Übersetzt von</hi> W. <hi rendition="#g">Hertz, Stuttgart</hi> <lb n="p2b_314.002"/> 1861.)</p> <lb n="p2b_314.003"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">I</hi>. <hi rendition="#g">Rolands Tod.</hi></hi> </p> <lb n="p2b_314.004"/> <p rendition="#left">Tirade 24.</p> <lg> <l> Drauf Genelon: „Für mich wirst du nicht gehen;</l> <lb n="p2b_314.005"/> <l>Du bist mein Mann nicht, noch bin ich dein Lehensherr.</l> <lb n="p2b_314.006"/> <l>Karl giebt Befehl, daß seinen Dienst ich thue:</l> <lb n="p2b_314.007"/> <l>Nach Saragossa geh ich zu Marsilies.</l> <lb n="p2b_314.008"/> <l>Doch einen schlechten Streich will ich vollbringen,</l> <lb n="p2b_314.009"/> <l>Daran ich diesen großen Zorn mag kühlen.“</l> <lb n="p2b_314.010"/> <l>Bei diesem Wort hub Roland an zu lachen. </l> </lg> <lb n="p2b_314.011"/> <p rendition="#left">„ 25.</p> <lg> <l> Als Genelon den Grafen lachen sah,</l> <lb n="p2b_314.012"/> <l>Um weniges zersprang er da vor Ärger</l> <lb n="p2b_314.013"/> <l>Und nicht viel fehlte, daß er kam von Sinnen.</l> <lb n="p2b_314.014"/> <l>Er sprach zu Graf Roland: „Euch lieb ich gar nicht.</l> <lb n="p2b_314.015"/> <l>Jhr habet falschen Rat auf mich gewandt.</l> <lb n="p2b_314.016"/> <l>Gerechter Kaiser, seht, hier steh' ich vor Euch,</l> <lb n="p2b_314.017"/> <l>Erfüllen will ich, was Jhr mir befohlen.“ </l> </lg> <lb n="p2b_314.018"/> <p rendition="#left">„ 144.</p> <lg> <l> Als Roland das verfluchte Volk ersah,</l> <lb n="p2b_314.019"/> <l>Das eine schwärzre Farbe hat als Tinte</l> <lb n="p2b_314.020"/> <l>Und gar nichts Weißes an sich, als die Zähne,</l> <lb n="p2b_314.021"/> <l>Da sprach der Graf: „Das weiß ich nun in Wahrheit:</l> <lb n="p2b_314.022"/> <l>Daß, wie mich dünkt, wir heut noch alle sterben.</l> <lb n="p2b_314.023"/> <l>Haut ein, Franzosen! Jch befehl's euch an.“ ─</l> <lb n="p2b_314.024"/> <l>Sprach Oliver: „Schmach auf den Säumigsten!“</l> <lb n="p2b_314.025"/> <l>Bei diesen Worten hau'n die Franken ein. </l> </lg> <lb n="p2b_314.026"/> <p rendition="#left">„ 156.</p> <lg> <l> Der Graf Roland, der schlug sich ritterlich,</l> <lb n="p2b_314.027"/> <l>Doch heiß ist ihm sein Leib und schweißbenetzt,</l> <lb n="p2b_314.028"/> <l>Und große Qual und Schmerz hat er im Haupte,</l> <lb n="p2b_314.029"/> <l>Die Schläfenader sprang ihm, als er blies;</l> <lb n="p2b_314.030"/> <l>Doch wissen wollt er, ob der Kaiser nahe,</l> <lb n="p2b_314.031"/> <l>Er nahm sein Horn und blies mit schwachem Ton.</l> <lb n="p2b_314.032"/> <l>Da hielt der Kaiser an und hört' es wohl:</l> <lb n="p2b_314.033"/> <l>„Jhr Herren,“ sprach er, „Unheil widerfährt uns:</l> <lb n="p2b_314.034"/> <l>Roland, mein Neffe, geht uns heut verloren:</l> <lb n="p2b_314.035"/> <l>Er lebt nicht lange mehr, ich hör's am Blasen.</l> <lb n="p2b_314.036"/> <l>Wer zu ihm will, der reite fort im Flug!</l> <lb n="p2b_314.037"/> <l>Die Hörner blast, so viel im Heere sind.“</l> <lb n="p2b_314.038"/> <l>Und sechzigtausend blasen sie so laut,</l> <lb n="p2b_314.039"/> <l>Es dröhnt der Berg, es wiederhallt das Thal.</l> <lb n="p2b_314.040"/> <l>Die Heiden hören's, ihnen deucht's kein Scherz,</l> <lb n="p2b_314.041"/> <l>Der eine sprach zum andern: „Karl ist nahe!“ </l> </lg> <lb n="p2b_314.042"/> <p rendition="#left">„ 175.</p> <lg> <l> Da fühlt Roland, daß seine Zeit vorbei;</l> <lb n="p2b_314.043"/> <l>Er sitzt gen Spanien auf spitzem Hügel,</l> <lb n="p2b_314.044"/> <l>Und mit der einen Hand schlug er die Brust.</l> <lb n="p2b_314.045"/> <l>„Erbarm' dich, Herr, um deiner Tugend willen</l> <lb n="p2b_314.046"/> <l>Der vielen Sünden alle groß und klein,</l> <lb n="p2b_314.047"/> <l>Die ich beging vom Tag, da ich geboren,</l> <lb n="p2b_314.048"/> <l>Bis diesen Tag, wo ich mein Ziel erreicht!“</l> <lb n="p2b_314.049"/> <l>Er hebt zu Gott empor den rechten Handschuh,</l> <lb n="p2b_314.050"/> <l>Vom Himmel steigen Engel zu ihm nieder.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [314/0336]
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Probe aus dem Rolandslied. (Übersetzt von W. Hertz, Stuttgart p2b_314.002
1861.)
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I. Rolands Tod.
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Tirade 24.
Drauf Genelon: „Für mich wirst du nicht gehen; p2b_314.005
Du bist mein Mann nicht, noch bin ich dein Lehensherr. p2b_314.006
Karl giebt Befehl, daß seinen Dienst ich thue: p2b_314.007
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Daran ich diesen großen Zorn mag kühlen.“ p2b_314.010
Bei diesem Wort hub Roland an zu lachen.
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„ 25.
Als Genelon den Grafen lachen sah, p2b_314.012
Um weniges zersprang er da vor Ärger p2b_314.013
Und nicht viel fehlte, daß er kam von Sinnen. p2b_314.014
Er sprach zu Graf Roland: „Euch lieb ich gar nicht. p2b_314.015
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Gerechter Kaiser, seht, hier steh' ich vor Euch, p2b_314.017
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„ 144.
Als Roland das verfluchte Volk ersah, p2b_314.019
Das eine schwärzre Farbe hat als Tinte p2b_314.020
Und gar nichts Weißes an sich, als die Zähne, p2b_314.021
Da sprach der Graf: „Das weiß ich nun in Wahrheit: p2b_314.022
Daß, wie mich dünkt, wir heut noch alle sterben. p2b_314.023
Haut ein, Franzosen! Jch befehl's euch an.“ ─ p2b_314.024
Sprach Oliver: „Schmach auf den Säumigsten!“ p2b_314.025
Bei diesen Worten hau'n die Franken ein.
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„ 156.
Der Graf Roland, der schlug sich ritterlich, p2b_314.027
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Da hielt der Kaiser an und hört' es wohl: p2b_314.033
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Wer zu ihm will, der reite fort im Flug! p2b_314.037
Die Hörner blast, so viel im Heere sind.“ p2b_314.038
Und sechzigtausend blasen sie so laut, p2b_314.039
Es dröhnt der Berg, es wiederhallt das Thal. p2b_314.040
Die Heiden hören's, ihnen deucht's kein Scherz, p2b_314.041
Der eine sprach zum andern: „Karl ist nahe!“
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„ 175.
Da fühlt Roland, daß seine Zeit vorbei; p2b_314.043
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Und mit der einen Hand schlug er die Brust. p2b_314.045
„Erbarm' dich, Herr, um deiner Tugend willen p2b_314.046
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Bis diesen Tag, wo ich mein Ziel erreicht!“ p2b_314.049
Er hebt zu Gott empor den rechten Handschuh, p2b_314.050
Vom Himmel steigen Engel zu ihm nieder.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/336>, abgerufen am 17.07.2024. |