Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_297.001 p2b_297.044 Als der starke Sohn des Kalew p2b_297.002 Zu dem Felsenthor gelangt war p2b_297.003 Vor die Thür des Schattenreiches, p2b_297.004 Rief von oben eine Stimme: p2b_297.005 "Schlage mit der Faust den Felsen!" p2b_297.006 Und die schwere Hand erhebend p2b_297.007 Schlug er mit der Faust den Felsen, p2b_297.008 Daß sie spaltend tief hineindrang: p2b_297.009 Und die Rechte blieb gefangen. p2b_297.010 Dort auf seinem Rosse reitet p2b_297.011 Heute noch der Kalewide p2b_297.012 Handgefesselt an dem Felsen, p2b_297.013 Und bewacht am Höllenthore, p2b_297.014 And'rer Fesseln, selbst gefesselt. p2b_297.015 Höllengeister suchen emsig p2b_297.016 Doppelt angebranntes Kienholz, p2b_297.017 Um die Ketten zu zerbröckeln, p2b_297.018 Um die Fesseln zu zerreißen, p2b_297.019 Deren Ringe um die Julzeit p2b_297.020 Schrumpfen ein zu Härchendicke. p2b_297.021 Aber ruft der Hahn im Frührot p2b_297.022 Von des alten Vaters Thoren p2b_297.023 Um das Julfest anzukünden: p2b_297.024 Werden jener Kette Glieder p2b_297.025 Alle plötzlich wieder dicker. p2b_297.026 Kalew's Sohn versucht die Rechte p2b_297.027 Mit Gewalt von Zeit zu Zeiten p2b_297.028 Aus der Felsenwand zu reißen, p2b_297.029 Und mit Schütteln und mit Rütteln p2b_297.030 Macht den Boden er erbeben p2b_297.031 Und die Hügel zitternd schwanken, p2b_297.032 Und das Meer fängt an zu schäumen; p2b_297.033 Doch ihn hält die Hand von Mana: p2b_297.034 Daß der Wächter nicht vom Thore, p2b_297.035 Der Beschützer nicht entweiche. p2b_297.036 Einmal wird die Zeit beginnen, p2b_297.037 Wo die Späne von zwei Seiten p2b_297.038 Jn gewalt'gen Flammen brennen, p2b_297.039 Und die off'nen Gluten schmelzen p2b_297.040 Dann die Hand auch von dem Felsen. p2b_297.041 Dann kehrt Kalew auf die Erde, p2b_297.042 Seinem Volke Glück zu bringen, p2b_297.043 Eine neue Zeit der Esten. c. Das Volks-Epos der Lappen. Noch freier als Kreuzwald p2b_297.045 p2b_297.049 p2b_297.001 p2b_297.044 Als der starke Sohn des Kalew p2b_297.002 Zu dem Felsenthor gelangt war p2b_297.003 Vor die Thür des Schattenreiches, p2b_297.004 Rief von oben eine Stimme: p2b_297.005 „Schlage mit der Faust den Felsen!“ p2b_297.006 Und die schwere Hand erhebend p2b_297.007 Schlug er mit der Faust den Felsen, p2b_297.008 Daß sie spaltend tief hineindrang: p2b_297.009 Und die Rechte blieb gefangen. p2b_297.010 Dort auf seinem Rosse reitet p2b_297.011 Heute noch der Kalewide p2b_297.012 Handgefesselt an dem Felsen, p2b_297.013 Und bewacht am Höllenthore, p2b_297.014 And'rer Fesseln, selbst gefesselt. p2b_297.015 Höllengeister suchen emsig p2b_297.016 Doppelt angebranntes Kienholz, p2b_297.017 Um die Ketten zu zerbröckeln, p2b_297.018 Um die Fesseln zu zerreißen, p2b_297.019 Deren Ringe um die Julzeit p2b_297.020 Schrumpfen ein zu Härchendicke. p2b_297.021 Aber ruft der Hahn im Frührot p2b_297.022 Von des alten Vaters Thoren p2b_297.023 Um das Julfest anzukünden: p2b_297.024 Werden jener Kette Glieder p2b_297.025 Alle plötzlich wieder dicker. p2b_297.026 Kalew's Sohn versucht die Rechte p2b_297.027 Mit Gewalt von Zeit zu Zeiten p2b_297.028 Aus der Felsenwand zu reißen, p2b_297.029 Und mit Schütteln und mit Rütteln p2b_297.030 Macht den Boden er erbeben p2b_297.031 Und die Hügel zitternd schwanken, p2b_297.032 Und das Meer fängt an zu schäumen; p2b_297.033 Doch ihn hält die Hand von Mana: p2b_297.034 Daß der Wächter nicht vom Thore, p2b_297.035 Der Beschützer nicht entweiche. p2b_297.036 Einmal wird die Zeit beginnen, p2b_297.037 Wo die Späne von zwei Seiten p2b_297.038 Jn gewalt'gen Flammen brennen, p2b_297.039 Und die off'nen Gluten schmelzen p2b_297.040 Dann die Hand auch von dem Felsen. p2b_297.041 Dann kehrt Kalew auf die Erde, p2b_297.042 Seinem Volke Glück zu bringen, p2b_297.043 Eine neue Zeit der Esten. c. 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Bertram in Bearbeitung der vom Pastor <lb n="p2b_297.046"/> Fjelder in Lappmarken 1850 aus Volksmund aufgezeichneten Sagen <lb n="p2b_297.047"/> der Lappen zu einem einheitlichen Volks-Epos verfahren, das den <lb n="p2b_297.048"/> Titel führt: <hi rendition="#g">Peivash Parn<hi rendition="#aq">é</hi>h, die Sonnensöhne.</hi> (55 Seiten.)</p> <p><lb n="p2b_297.049"/> Er bringt Sachen, von denen das Original absolut nichts bietet, wenn <lb n="p2b_297.050"/> er sich auch dem Ton desselben durch Verschmelzung von Allitteration, Assonanz </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [297/0319]
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im Kalewipoeg ist Dr. Bertram in Bearbeitung der vom Pastor p2b_297.046
Fjelder in Lappmarken 1850 aus Volksmund aufgezeichneten Sagen p2b_297.047
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Titel führt: Peivash Parnéh, die Sonnensöhne. (55 Seiten.)
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/319>, abgerufen am 23.07.2024. |