Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_278.001 p2b_278.007 p2b_278.011 p2b_278.014 p2b_278.015 Singe vom heillosen Zorn des Achill, des Peleiden, o Göttin, p2b_278.019 Der unermeßliches Leid den Achäern stiftete, Scharen p2b_278.020 Mutiger Seelen der Helden als Beute dem Hades dahinwarf; p2b_278.021 Hunden hingegen zum Fraß und jeglichem Vogel der Lüfte p2b_278.022 Preis ihre Leichname gab. So geschah, was beschlossen bei Zeus war, p2b_278.023 Seit nun einmal die zwei, Agamemnon der Männergebieter p2b_278.024 Und der erhabne Achill, sich verfeindet hatten in Zwietracht. p2b_278.025 Den Feldherrn sing' ich und die frommen Waffen, p2b_278.027 So des Erlösers hohes Grab befreit. p2b_278.028 Viel führt' er aus, was Geist und Arm geschaffen, p2b_278.029 Viel duldet' er im glorreich kühnen Streit. p2b_278.030 Und fruchtlos droht die Hölle, fruchtlos raffen p2b_278.031 Sich Asien auf und Libyen, kampfbereit; p2b_278.032 Denn Gottes Huld führt zu den heil'gen Fahnen p2b_278.033 Jhm die Gefährten heim von irren Bahnen. p2b_278.034 "Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung." p2b_278.036 O Muse, die mit welken Lorbeerkronen p2b_278.040
Nie auf dem Helikon die Stirn umflicht, p2b_278.041 Doch die im Himmel, wo die Sel'gen wohnen, p2b_278.042 Strahlt mit des Sternenkranzes ew'gem Licht: p2b_278.043 Hauch' in die Brust mir Glut aus Himmelszonen! p2b_278.044 Erleuchte du mein Lied und zürne nicht, p2b_278.045 Füg' ich zur Wahrheit Zier, schmück' ich bisweilen p2b_278.046 Mit andrem, als nur deinem Reiz die Zeilen. p2b_278.001 p2b_278.007 p2b_278.011 p2b_278.014 p2b_278.015 Singe vom heillosen Zorn des Achill, des Peleiden, o Göttin, p2b_278.019 Der unermeßliches Leid den Achäern stiftete, Scharen p2b_278.020 Mutiger Seelen der Helden als Beute dem Hades dahinwarf; p2b_278.021 Hunden hingegen zum Fraß und jeglichem Vogel der Lüfte p2b_278.022 Preis ihre Leichname gab. So geschah, was beschlossen bei Zeus war, p2b_278.023 Seit nun einmal die zwei, Agamemnon der Männergebieter p2b_278.024 Und der erhabne Achill, sich verfeindet hatten in Zwietracht. p2b_278.025 Den Feldherrn sing' ich und die frommen Waffen, p2b_278.027 So des Erlösers hohes Grab befreit. p2b_278.028 Viel führt' er aus, was Geist und Arm geschaffen, p2b_278.029 Viel duldet' er im glorreich kühnen Streit. p2b_278.030 Und fruchtlos droht die Hölle, fruchtlos raffen p2b_278.031 Sich Asien auf und Libyen, kampfbereit; p2b_278.032 Denn Gottes Huld führt zu den heil'gen Fahnen p2b_278.033 Jhm die Gefährten heim von irren Bahnen. p2b_278.034 „Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung.“ p2b_278.036 O Muse, die mit welken Lorbeerkronen p2b_278.040
Nie auf dem Helikon die Stirn umflicht, p2b_278.041 Doch die im Himmel, wo die Sel'gen wohnen, p2b_278.042 Strahlt mit des Sternenkranzes ew'gem Licht: p2b_278.043 Hauch' in die Brust mir Glut aus Himmelszonen! p2b_278.044 Erleuchte du mein Lied und zürne nicht, p2b_278.045 Füg' ich zur Wahrheit Zier, schmück' ich bisweilen p2b_278.046 Mit andrem, als nur deinem Reiz die Zeilen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0300" n="278"/><lb n="p2b_278.001"/> Reimstrophe, worauf die Nibelungenstrophe folgte: also durchweg Accentverse <lb n="p2b_278.002"/> mit beliebigen Thesen. Wieland wandte im Oberon die von ihm frei bearbeitete <lb n="p2b_278.003"/> Oktave an. (Bd. <hi rendition="#aq">I</hi> 552.) Auch Schiller empfahl die Oktave für ein <lb n="p2b_278.004"/> modernes Epos. (Bd. <hi rendition="#aq">I</hi> S. 551.) Neuere Dichter wählen den Alexandriner <lb n="p2b_278.005"/> oder auch (Kastropp im Kain) den jambischen Fünftakter. W. Jordan hat <lb n="p2b_278.006"/> herrliche deutsche Accentverse mit 4 Hebungen angewandt (Bd. <hi rendition="#aq">I</hi> S. 380) u. s. w.</p> <p><lb n="p2b_278.007"/> Das Nationalmetrum der Serben ist der trochäische Fünftakter mit fester <lb n="p2b_278.008"/> Cäsur hinter dem 2. Trochäus. Die romanischen Völker bedienten sich des <lb n="p2b_278.009"/> Dekasyllabus und des Alexandriners. Tasso und Ariosto wandten die mehr <lb n="p2b_278.010"/> lyrisch verwertete Oktave (<hi rendition="#aq">ottave rime</hi>) an.</p> <p><lb n="p2b_278.011"/> 7. Die extensive Ausdehnung des Epos macht Abschnitte nötig, welche <lb n="p2b_278.012"/> bei verschiedenen Dichtern verschieden benannt sind, z. B. bei den alten Griechen <lb n="p2b_278.013"/> Rhapsodien, im Mittelhochdeutschen Aventiuren, in der Neuzeit Gesänge.</p> <p><lb n="p2b_278.014"/> Als Bestandteile, zugleich als Schmuck, sind in den Epen ersichtlich:</p> <p><lb n="p2b_278.015"/><hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">Das Proömium</hi> (<foreign xml:lang="grc">προοίμιον</foreign> == der Eingang), oder der Hinweis <lb n="p2b_278.016"/> auf Bedeutung und Charakter der Handlung gleich am Anfange. Als Beispiel <lb n="p2b_278.017"/> vgl. Homer (Jlias, übersetzt von W. Jordan):</p> <lb n="p2b_278.018"/> <lg> <l>Singe vom heillosen Zorn des Achill, des Peleiden, o Göttin,</l> <lb n="p2b_278.019"/> <l>Der unermeßliches Leid den Achäern stiftete, Scharen</l> <lb n="p2b_278.020"/> <l>Mutiger Seelen der Helden als Beute dem Hades dahinwarf;</l> <lb n="p2b_278.021"/> <l>Hunden hingegen zum Fraß und jeglichem Vogel der Lüfte</l> <lb n="p2b_278.022"/> <l>Preis ihre Leichname gab. So geschah, was beschlossen bei Zeus war,</l> <lb n="p2b_278.023"/> <l>Seit nun einmal die zwei, Agamemnon der Männergebieter</l> <lb n="p2b_278.024"/> <l>Und der erhabne Achill, sich verfeindet hatten in Zwietracht.</l> </lg> <p><lb n="p2b_278.025"/> Oder Torquato Tasso (Befreites Jerusalem, übersetzt von Gries):</p> <lb n="p2b_278.026"/> <lg> <l>Den Feldherrn sing' ich und die frommen Waffen,</l> <lb n="p2b_278.027"/> <l>So des Erlösers hohes Grab befreit.</l> <lb n="p2b_278.028"/> <l>Viel führt' er aus, was Geist und Arm geschaffen,</l> <lb n="p2b_278.029"/> <l>Viel duldet' er im glorreich kühnen Streit.</l> <lb n="p2b_278.030"/> <l>Und fruchtlos droht die Hölle, fruchtlos raffen</l> <lb n="p2b_278.031"/> <l>Sich Asien auf und Libyen, kampfbereit;</l> <lb n="p2b_278.032"/> <l>Denn Gottes Huld führt zu den heil'gen Fahnen</l> <lb n="p2b_278.033"/> <l>Jhm die Gefährten heim von irren Bahnen.</l> </lg> <p><lb n="p2b_278.034"/> Oder Klopstock (Messias):</p> <lb n="p2b_278.035"/> <lg> <l>„Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung.“</l> </lg> <p><lb n="p2b_278.036"/><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Die Jnvokation,</hi> oder die Anrufung eines höheren Wesens oder <lb n="p2b_278.037"/> der Musen, die dem Dichter bei seinem schwierigen Beginnen helfen mögen; <lb n="p2b_278.038"/> z. B. Torquato Tasso (Befreites Jerusalem, <hi rendition="#aq">I</hi>. Ges. 2. Strophe):</p> <lb n="p2b_278.039"/> <lg> <l>O Muse, die mit welken Lorbeerkronen</l> <lb n="p2b_278.040"/> <l>Nie auf dem Helikon die Stirn umflicht,</l> <lb n="p2b_278.041"/> <l>Doch die im Himmel, wo die Sel'gen wohnen,</l> <lb n="p2b_278.042"/> <l>Strahlt mit des Sternenkranzes ew'gem Licht:</l> <lb n="p2b_278.043"/> <l>Hauch' in die Brust mir Glut aus Himmelszonen!</l> <lb n="p2b_278.044"/> <l>Erleuchte du mein Lied und zürne nicht,</l> <lb n="p2b_278.045"/> <l>Füg' ich zur Wahrheit Zier, schmück' ich bisweilen</l> <lb n="p2b_278.046"/> <l>Mit andrem, als nur deinem Reiz die Zeilen.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0300]
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Reimstrophe, worauf die Nibelungenstrophe folgte: also durchweg Accentverse p2b_278.002
mit beliebigen Thesen. Wieland wandte im Oberon die von ihm frei bearbeitete p2b_278.003
Oktave an. (Bd. I 552.) Auch Schiller empfahl die Oktave für ein p2b_278.004
modernes Epos. (Bd. I S. 551.) Neuere Dichter wählen den Alexandriner p2b_278.005
oder auch (Kastropp im Kain) den jambischen Fünftakter. W. Jordan hat p2b_278.006
herrliche deutsche Accentverse mit 4 Hebungen angewandt (Bd. I S. 380) u. s. w.
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Das Nationalmetrum der Serben ist der trochäische Fünftakter mit fester p2b_278.008
Cäsur hinter dem 2. Trochäus. Die romanischen Völker bedienten sich des p2b_278.009
Dekasyllabus und des Alexandriners. Tasso und Ariosto wandten die mehr p2b_278.010
lyrisch verwertete Oktave (ottave rime) an.
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7. Die extensive Ausdehnung des Epos macht Abschnitte nötig, welche p2b_278.012
bei verschiedenen Dichtern verschieden benannt sind, z. B. bei den alten Griechen p2b_278.013
Rhapsodien, im Mittelhochdeutschen Aventiuren, in der Neuzeit Gesänge.
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Als Bestandteile, zugleich als Schmuck, sind in den Epen ersichtlich:
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a. Das Proömium (προοίμιον == der Eingang), oder der Hinweis p2b_278.016
auf Bedeutung und Charakter der Handlung gleich am Anfange. Als Beispiel p2b_278.017
vgl. Homer (Jlias, übersetzt von W. Jordan):
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Der unermeßliches Leid den Achäern stiftete, Scharen p2b_278.020
Mutiger Seelen der Helden als Beute dem Hades dahinwarf; p2b_278.021
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Oder Torquato Tasso (Befreites Jerusalem, übersetzt von Gries):
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„Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung.“
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b. Die Jnvokation, oder die Anrufung eines höheren Wesens oder p2b_278.037
der Musen, die dem Dichter bei seinem schwierigen Beginnen helfen mögen; p2b_278.038
z. B. Torquato Tasso (Befreites Jerusalem, I. Ges. 2. Strophe):
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O Muse, die mit welken Lorbeerkronen p2b_278.040
Nie auf dem Helikon die Stirn umflicht, p2b_278.041
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Mit andrem, als nur deinem Reiz die Zeilen.
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