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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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die Mauren in Spanien niederließen. Durch die Troubadours nach Frankreich p2b_261.002
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gewordenen Märchen. Längere Zeit hielt diese Geschmacksrichtung an, p2b_261.005
und wir verdanken ihr die Verbreitung der Sammlungen novellistisch verarbeiteter p2b_261.006
Märchen von Perrault aus Frankreich (Contes de ma mere l'Oye) und der p2b_261.007
Gräfin d'Aulnoy, sowie der bald nachher erschienenen, wichtigen Sammlung p2b_261.008
orientalischer Märchen "Tausend und eine Nacht", die eine Berühmtheit erlangte, p2b_261.009
wie einst Homers Gesänge. Diese Sammlung erschien zuerst 1704 durch den p2b_261.010
Franzosen Galland in 12 Bänden (Les milles et une nuits) und veranlaßte p2b_261.011
spätere Dichtungen, wie Chamissos Abdallah, Platens Abassiden &c. Jhre p2b_261.012
Märchen befreunden mit den Wundern einer Geisterwelt, wie nur die kühne, p2b_261.013
morgenländische Phantasie sie schaffen konnte. Allegorien, Gleichnisse, Parabeln &c. p2b_261.014
sind als Staffage eingewebt, erzählende Menschen wechseln mit plaudernden p2b_261.015
Tieren, oder mit Wahrnehmungen aus der Pflanzenwelt und dem unorganischen p2b_261.016
Naturreiche, ferner mit Denksprüchen, Erfahrungssätzen, Lebensregeln, Rätseln. p2b_261.017
Die schönsten Märchen dieser Sammlung stammen wahrscheinlich aus der uralten p2b_261.018
Märchenheimat Jndien; in der Schilderung sinniger Liebe erkennt man p2b_261.019
den persischen Dichter, in der Schlichtheit naturkräftiger Bilder den Araber. p2b_261.020
Alles aber ist dem Leben des Arabers angepaßt. Die neuere Forschung läßt p2b_261.021
sie aus Ägypten stammen, wo man die zahlreichsten Handschriften auffand. p2b_261.022
Den Namen gab dieser Dichtung der im 9. Jahrh. alle Märchen sammelnde p2b_261.023
Dshehestavi (zur Bezeichnung ihrer Menge: tausend == sehr viele und darüber p2b_261.024
noch eines), nicht aber, wie häufig behauptet, Scheherazade, von der selbst ein p2b_261.025
Märchen erzählt, daß sie jede Nacht ein neues Märchen in Aussicht gestellt und p2b_261.026
dadurch ihren Gemahl - den Kalifen - veranlaßt habe, ihren Tod von Tag p2b_261.027
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Jn Deutschland sah es mit der eigenen, echt kindlichen, nationalen Märchenproduktion p2b_261.029
bis anfangs unseres Jahrhunderts sehr dürftig aus. Man griff p2b_261.030
von einer französischen Übersetzung zur anderen, legte diese aber wegen ihrer p2b_261.031
die Sittlichkeit verletzenden Anspielungen wieder zur Seite, um eigene Erfindungen p2b_261.032
an deren Stelle zu setzen. Aber diese ersten sog. Märchen sprachen durch p2b_261.033
ihre Beimischung von geschichtlichen und andern Beziehungen weit weniger an, p2b_261.034
als die französischen. Manche wimmelten von politischen und litterarischen Anspielungen, p2b_261.035
oder sie waren hauptsächlich durch ihren gemischten Stoff und dessen p2b_261.036
Ausbreitung abgeschmackt, häßlich, langweilig.

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Klatschfrauen abgehorchten, in origineller Weise weitererzählten Volksmärchen p2b_261.039
einen deutschen Litteraturzweig einleitete und veranlaßte), sowie durch die Gebrüder p2b_261.040
Grimm eine Wendung ein. Letztere haben das Verdienst, daß sie die p2b_261.041
im Munde des Volkes erhaltenen Märchen sammelten und uns sodann in ihren p2b_261.042
"Kinder- und Hausmärchen" als Kleinod hinterließen, das uns zeigt, wie die p2b_261.043
Phantasie unseres Volkes ursprünglich produzierte. Diese Märchen sind wie p2b_261.044
Fouques Undine und Chamissos Schlemihl in Prosa geschrieben.

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Vor 200 Jahren schwärmte man bei uns geradezu für die zum Modeartikel p2b_261.004
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/283>, abgerufen am 22.11.2024.