Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_260.001 Die Lilien im Mummelsee, von Aug. Schnezler. p2b_260.002 Jm Mummelsee, im dunkeln See, p2b_260.003 Da blüh'n der Lilien viele; p2b_260.004 Sie wiegen sich, sie biegen sich, p2b_260.005 Dem losen Wind zum Spiele. p2b_260.006 Doch wenn die Nacht herniedersinkt, p2b_260.007 Der volle Mond am Himmel blinkt, p2b_260.008 Entsteigen sie dem Bade p2b_260.009 Als Jungfern an's Gestade. p2b_260.010 Es braust der Wind, es saust das Rohr p2b_260.011 Die Melodie zum Tanze; p2b_260.012 Die Lilienmädchen schlingen sich p2b_260.013 Als wie zu einem Kranze, p2b_260.014 Und schweben leis' umher im Kreis, p2b_260.015 Gesichter weiß, Gewänder weiß, p2b_260.016 Bis ihre bleichen Wangen p2b_260.017 Mit zarter Röte prangen. p2b_260.018 Es braust der Sturm, es saust das Rohr, p2b_260.019 Es pfeift im Tannenwalde; p2b_260.020 Die Wolken zieh'n am Monde hin, p2b_260.021 Die Schatten auf der Halde; p2b_260.022 Und auf und ab durch's nasse Gras, p2b_260.023 Dreht sich der Reigen ohne Maß, p2b_260.024 Und immer lauter schwellen p2b_260.025 An's Ufer an die Wellen. p2b_260.026 Da hebt ein Arm sich aus der Flut, p2b_260.027 Die Riesenfaust geballet, p2b_260.028 Ein triefend Haupt dann, schilfbekränzt, p2b_260.029 Von langem Bart umwallet, p2b_260.030 Und eine Donnerstimme schallt, p2b_260.031 Daß im Gebirg' es wiederhallt: p2b_260.032 "Zurück in eure Wogen, p2b_260.033 Jhr Lilien ungezogen!" p2b_260.034 Da stockt der Tanz - die Mädchen schrei'n p2b_260.035 Und werden immer blässer: p2b_260.036 "Der Vater ruft! puh! Morgenluft! p2b_260.037 Zurück in das Gewässer!" - p2b_260.038 Die Nebel steigen aus dem Thal, p2b_260.039 Es dämmert schon der Morgenstrahl, p2b_260.040 Und Lilien schwanken wieder p2b_260.041 Jm Wasser auf und nieder. p2b_260.042 Litteratur des Märchens. p2b_260.046 p2b_260.001 Die Lilien im Mummelsee, von Aug. 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Morgenluft! p2b_260.037 Zurück in das Gewässer!“ ─ p2b_260.038 Die Nebel steigen aus dem Thal, p2b_260.039 Es dämmert schon der Morgenstrahl, p2b_260.040 Und Lilien schwanken wieder p2b_260.041 Jm Wasser auf und nieder. p2b_260.042 Litteratur des Märchens. p2b_260.046 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0282" n="260"/> <lb n="p2b_260.001"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die Lilien im Mummelsee, von Aug. 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Die Lilien im Mummelsee, von Aug. Schnezler.
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Jhr Lilien ungezogen!“
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Da stockt der Tanz ─ die Mädchen schrei'n p2b_260.035
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Zurück in das Gewässer!“ ─ p2b_260.038
Die Nebel steigen aus dem Thal, p2b_260.039
Es dämmert schon der Morgenstrahl, p2b_260.040
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Jm Wasser auf und nieder.
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Vgl. Mörikes Die Geister am Mummelsee. Für ein Beispiel eines Märchens p2b_260.043
in Prosa verweisen wir auf die allbekannten Kinder- und Hausmärchen der p2b_260.044
Gebr. Grimm.
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Litteratur des Märchens.
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Des Märchens Heimat ist der Orient, vor allem Jndien, Persien, Arabien. p2b_260.047
Nach Europa kam es wahrscheinlich aus Arabien, als sich um 711 n. Chr.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/282>, abgerufen am 23.07.2024. |