Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_163.001 p2b_163.007 p2b_163.011 p2b_163.013 p2b_163.016 p2b_163.020 p2b_163.027 p2b_163.030 A. Tierfabel. p2b_163.032a. Mit Epimythium. p2b_163.033Das Schäfchen und der Dornstrauch, von Hagedorn. p2b_163.034 Ein Schäfchen kroch in dicke Hecken, p2b_163.035 p2b_163.038Dem rauhen Regen zu entgehn. p2b_163.036 Hier konnt' es freilich trocken stehn; p2b_163.037 Allein die Wolle blieb ihm stecken. [Abbildung] p2b_163.039 Beglückt ist, den dies Schaf belehrt. p2b_163.040
Bethörte Hadrer, laßt euch raten: p2b_163.041 Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten, p2b_163.042 Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert. p2b_163.001 p2b_163.007 p2b_163.011 p2b_163.013 p2b_163.016 p2b_163.020 p2b_163.027 p2b_163.030 A. Tierfabel. p2b_163.032a. Mit Epimythium. p2b_163.033Das Schäfchen und der Dornstrauch, von Hagedorn. p2b_163.034 Ein Schäfchen kroch in dicke Hecken, p2b_163.035 p2b_163.038Dem rauhen Regen zu entgehn. p2b_163.036 Hier konnt' es freilich trocken stehn; p2b_163.037 Allein die Wolle blieb ihm stecken. [Abbildung] p2b_163.039 Beglückt ist, den dies Schaf belehrt. p2b_163.040
Bethörte Hadrer, laßt euch raten: p2b_163.041 Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten, p2b_163.042 Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0185" n="163"/><lb n="p2b_163.001"/> den Fabeln auf ein Ereignis und befleißigte sich der äsopischen Kürze. Jn <lb n="p2b_163.002"/> seinen eigenen Fabeln vom Jahre 1759 sucht er irgend einen moralischen <lb n="p2b_163.003"/> Kern aus der Tierwelt zur Anschauung zu bringen ohne besondere Nutzanwendung: <lb n="p2b_163.004"/> ohne Epimythium. Seine Nachfolger, die ihm zum Teil in Anwendung <lb n="p2b_163.005"/> der Prosa folgten, haben ebenfalls dem Leser die moralische Nutzanwendung <lb n="p2b_163.006"/> überlassen.</p> <p><lb n="p2b_163.007"/> 6. Fröhlich († 1865) gab der Fabel eine neue Wendung, indem er sie <lb n="p2b_163.008"/> aus dem Gebiet der Epik dem der Lyrik näherte, die Wirklichkeit weniger verstandesmäßig <lb n="p2b_163.009"/> als gemütlich auffaßte und seinen Fabeln, bei denen er die sittliche <lb n="p2b_163.010"/> Bedeutung in die Handlung legte, poetische Form ohne Epimythium verlieh.</p> <p><lb n="p2b_163.011"/> 7. Von vielen alten Fabeln blieb nur ein kurzer Rest übrig, den man <lb n="p2b_163.012"/> <hi rendition="#g">Sprichwort</hi> nennt.</p> <p><lb n="p2b_163.013"/> Somit ist das Sprichwort einer paläontologischen Betrachtung fähig und <lb n="p2b_163.014"/> wert. Es ist eine Art versteinertes Knochengerüste früherer, in Vergessenheit <lb n="p2b_163.015"/> geratener Fabeln.</p> <p><lb n="p2b_163.016"/> 8. Bezüglich der Form der Fabel ist metrische Gestaltung der Prosa vorzuziehen. <lb n="p2b_163.017"/> Lessing hat nach seinem eigenen Geständnisse nur deshalb Prosa <lb n="p2b_163.018"/> gewählt, weil er befürchtete, Reim und Silbenmaß werden hie und da dem <lb n="p2b_163.019"/> naiven Ausdruck entgegen treten oder ihn ─ den Meister ─ meistern.</p> <p><lb n="p2b_163.020"/> 9. Man kann die Fabel einteilen in <hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">theoretische</hi> (Verstand bildende), <lb n="p2b_163.021"/> <hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">sittliche</hi> (Willen bestimmende), welche beide Arten ein Ereignis in <lb n="p2b_163.022"/> der Natur als Gesetz darstellen für die allgemeine Weltordnung, der auch der <lb n="p2b_163.023"/> Mensch gehorchen muß; die Geschichte der Fabel zeigt hier, <hi rendition="#g">wie es in der <lb n="p2b_163.024"/> Welt geht;</hi> <hi rendition="#aq">c</hi>. <hi rendition="#g">Schicksalsfabeln,</hi> welche das Walten einer höheren <lb n="p2b_163.025"/> Macht im Erdenleben als Nemesis zeigen; die Lehre der Fabel heißt sodann: <lb n="p2b_163.026"/> <hi rendition="#g">so mußte es kommen; das sind die Folgen.</hi></p> <p><lb n="p2b_163.027"/> Sonst teilt man die Fabeln noch ein: in ernste und in humoristische <lb n="p2b_163.028"/> Fabeln; ferner in Fabeln mit angehängtem Epimythium und ohne ein solches; <lb n="p2b_163.029"/> endlich in Tierfabeln und solche, welche leblose Gegenstände redend einführen.</p> <p> <lb n="p2b_163.030"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Fabel.</hi> </p> <lb n="p2b_163.031"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">A</hi>. <hi rendition="#g">Tierfabel</hi>.</hi> </head> <lb n="p2b_163.032"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">a</hi>. Mit Epimythium.</hi> </p> <lb n="p2b_163.033"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Das Schäfchen und der Dornstrauch, von Hagedorn.</hi> </hi> </p> <lb n="p2b_163.034"/> <lg> <l> Ein Schäfchen kroch in dicke Hecken,</l> <lb n="p2b_163.035"/> <l>Dem rauhen Regen zu entgehn.</l> <lb n="p2b_163.036"/> <l>Hier konnt' es freilich trocken stehn;</l> <lb n="p2b_163.037"/> <l>Allein die Wolle blieb ihm stecken.</l> </lg> <lb n="p2b_163.038"/> <figure/> <lb n="p2b_163.039"/> <lg> <l> Beglückt ist, den dies Schaf belehrt.</l> <lb n="p2b_163.040"/> <l>Bethörte Hadrer, laßt euch raten:</l> <lb n="p2b_163.041"/> <l>Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten,</l> <lb n="p2b_163.042"/> <l>Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0185]
p2b_163.001
den Fabeln auf ein Ereignis und befleißigte sich der äsopischen Kürze. Jn p2b_163.002
seinen eigenen Fabeln vom Jahre 1759 sucht er irgend einen moralischen p2b_163.003
Kern aus der Tierwelt zur Anschauung zu bringen ohne besondere Nutzanwendung: p2b_163.004
ohne Epimythium. Seine Nachfolger, die ihm zum Teil in Anwendung p2b_163.005
der Prosa folgten, haben ebenfalls dem Leser die moralische Nutzanwendung p2b_163.006
überlassen.
p2b_163.007
6. Fröhlich († 1865) gab der Fabel eine neue Wendung, indem er sie p2b_163.008
aus dem Gebiet der Epik dem der Lyrik näherte, die Wirklichkeit weniger verstandesmäßig p2b_163.009
als gemütlich auffaßte und seinen Fabeln, bei denen er die sittliche p2b_163.010
Bedeutung in die Handlung legte, poetische Form ohne Epimythium verlieh.
p2b_163.011
7. Von vielen alten Fabeln blieb nur ein kurzer Rest übrig, den man p2b_163.012
Sprichwort nennt.
p2b_163.013
Somit ist das Sprichwort einer paläontologischen Betrachtung fähig und p2b_163.014
wert. Es ist eine Art versteinertes Knochengerüste früherer, in Vergessenheit p2b_163.015
geratener Fabeln.
p2b_163.016
8. Bezüglich der Form der Fabel ist metrische Gestaltung der Prosa vorzuziehen. p2b_163.017
Lessing hat nach seinem eigenen Geständnisse nur deshalb Prosa p2b_163.018
gewählt, weil er befürchtete, Reim und Silbenmaß werden hie und da dem p2b_163.019
naiven Ausdruck entgegen treten oder ihn ─ den Meister ─ meistern.
p2b_163.020
9. Man kann die Fabel einteilen in a. theoretische (Verstand bildende), p2b_163.021
b. sittliche (Willen bestimmende), welche beide Arten ein Ereignis in p2b_163.022
der Natur als Gesetz darstellen für die allgemeine Weltordnung, der auch der p2b_163.023
Mensch gehorchen muß; die Geschichte der Fabel zeigt hier, wie es in der p2b_163.024
Welt geht; c. Schicksalsfabeln, welche das Walten einer höheren p2b_163.025
Macht im Erdenleben als Nemesis zeigen; die Lehre der Fabel heißt sodann: p2b_163.026
so mußte es kommen; das sind die Folgen.
p2b_163.027
Sonst teilt man die Fabeln noch ein: in ernste und in humoristische p2b_163.028
Fabeln; ferner in Fabeln mit angehängtem Epimythium und ohne ein solches; p2b_163.029
endlich in Tierfabeln und solche, welche leblose Gegenstände redend einführen.
p2b_163.030
Beispiele der Fabel.
p2b_163.031
A. Tierfabel. p2b_163.032
a. Mit Epimythium.
p2b_163.033
Das Schäfchen und der Dornstrauch, von Hagedorn.
p2b_163.034
Ein Schäfchen kroch in dicke Hecken, p2b_163.035
Dem rauhen Regen zu entgehn. p2b_163.036
Hier konnt' es freilich trocken stehn; p2b_163.037
Allein die Wolle blieb ihm stecken.
p2b_163.038
[Abbildung]
p2b_163.039
Beglückt ist, den dies Schaf belehrt. p2b_163.040
Bethörte Hadrer, laßt euch raten: p2b_163.041
Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten, p2b_163.042
Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |