p2b_152.002 1. Eine kleine Elegie, die sogar etwas Unbedeutendes, Kleinliches p2b_152.003 zum Gegenstand haben kann (indem sie z. B. ein Tierchen beklagt), p2b_152.004 heißt Nänie.
p2b_152.005 2. Sonst versteht man darunter noch Lobgedichte zu Ehren Verstorbener, p2b_152.006 sowie kleine Klagelieder, kleine Elegien.
p2b_152.007 1. Die Nänien (Neniae, Naeniae) entsprachen in der römischen Litteratur p2b_152.008 den Threnoi (threnoi) der Griechen nur in Hinsicht auf die Veranlassung. Sie p2b_152.009 waren zuweilen Klagelieder. So nannten die alten Römer besonders das Klagegeheul p2b_152.010 gedungener Weiber bei Begräbnissen Nänia. Dieses war gewöhnlich ganz p2b_152.011 sinnlos und ohne Zusammenhang. Auch ein kindisches Lied oder ein Wiegengesang p2b_152.012 wurde von ihnen Nänie genannt.
p2b_152.013 2. Jn der Regel aber waren die Nänien Lieder zum Ruhm der Gestorbenen. p2b_152.014 Man sang sie bei Gastmählern und Leichenfeierlichkeiten, und begleitete sie mit p2b_152.015 der Flöte. (Vgl. Niebuhr, röm. Geschichte S. 146. 1853.)
p2b_152.016 Ähnliche Loblieder hatten auch die Hebräer (z. B. "das Lied, das David p2b_152.017 redete vor dem Herrn, als ihn der Herr errettet hatte von der Hand aller p2b_152.018 seiner Feinde", sowie 1. Chron. 17., ferner Richter 5., ein Lied der Debora p2b_152.019 nach dem Siege über Sissera).
p2b_152.020 Neben diesen Lobgesängen hatten die Hebräer auch ihre Threnen, z. B. p2b_152.021 das Klagelied Davids auf Saul und Jonathan. Die Klagelieder Jeremias p2b_152.022 mit ihrem politischen Jnhalt (solchen hatten auch die ältesten griechischen Elegien) p2b_152.023 und mit ihrem Gefühls-Ausdruck der Wehmut, des Schmerzes, die in der p2b_152.024 griechischen und lateinischen Übersetzung Threnos (threnos) genannt werden, p2b_152.025 sind für diese Bezeichnung nicht episch genug.
p2b_152.026 Bei den Deutschen ist Nänie ein kleines Klagelied. Ramler hat Nänien p2b_152.027 auf den Tod einer Wachtel sowie auf den einer Nachtigall gedichtet. Schiller p2b_152.028 setzt nicht selten ohne weiteres Nenie für Elegie.
p2b_152.029 Beispiel der Nänie:
p2b_152.030
Nenie von Schiller.
p2b_152.031
Auch das Schöne muß sterben, das Menschen und Götter bezwinget!p2b_152.032 Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.p2b_152.033 Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,p2b_152.034 Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.p2b_152.035 Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,p2b_152.036 Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.p2b_152.037 Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,p2b_152.038 Wenn er, am skäischen Thor fallend, sein Schicksal erfüllt.p2b_152.039 Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,p2b_152.040 Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.p2b_152.041 Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,p2b_152.042 Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.p2b_152.043 Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,p2b_152.044 Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.
p2b_152.001
§ 76. Nänie.
p2b_152.002 1. Eine kleine Elegie, die sogar etwas Unbedeutendes, Kleinliches p2b_152.003 zum Gegenstand haben kann (indem sie z. B. ein Tierchen beklagt), p2b_152.004 heißt Nänie.
p2b_152.005 2. Sonst versteht man darunter noch Lobgedichte zu Ehren Verstorbener, p2b_152.006 sowie kleine Klagelieder, kleine Elegien.
p2b_152.007 1. Die Nänien (Neniae, Naeniae) entsprachen in der römischen Litteratur p2b_152.008 den Threnoi (θρῆνοι) der Griechen nur in Hinsicht auf die Veranlassung. Sie p2b_152.009 waren zuweilen Klagelieder. So nannten die alten Römer besonders das Klagegeheul p2b_152.010 gedungener Weiber bei Begräbnissen Nänia. Dieses war gewöhnlich ganz p2b_152.011 sinnlos und ohne Zusammenhang. Auch ein kindisches Lied oder ein Wiegengesang p2b_152.012 wurde von ihnen Nänie genannt.
p2b_152.013 2. Jn der Regel aber waren die Nänien Lieder zum Ruhm der Gestorbenen. p2b_152.014 Man sang sie bei Gastmählern und Leichenfeierlichkeiten, und begleitete sie mit p2b_152.015 der Flöte. (Vgl. Niebuhr, röm. Geschichte S. 146. 1853.)
p2b_152.016 Ähnliche Loblieder hatten auch die Hebräer (z. B. „das Lied, das David p2b_152.017 redete vor dem Herrn, als ihn der Herr errettet hatte von der Hand aller p2b_152.018 seiner Feinde“, sowie 1. Chron. 17., ferner Richter 5., ein Lied der Debora p2b_152.019 nach dem Siege über Sissera).
p2b_152.020 Neben diesen Lobgesängen hatten die Hebräer auch ihre Threnen, z. B. p2b_152.021 das Klagelied Davids auf Saul und Jonathan. Die Klagelieder Jeremias p2b_152.022 mit ihrem politischen Jnhalt (solchen hatten auch die ältesten griechischen Elegien) p2b_152.023 und mit ihrem Gefühls-Ausdruck der Wehmut, des Schmerzes, die in der p2b_152.024 griechischen und lateinischen Übersetzung Threnos (θρῆνος) genannt werden, p2b_152.025 sind für diese Bezeichnung nicht episch genug.
p2b_152.026 Bei den Deutschen ist Nänie ein kleines Klagelied. Ramler hat Nänien p2b_152.027 auf den Tod einer Wachtel sowie auf den einer Nachtigall gedichtet. Schiller p2b_152.028 setzt nicht selten ohne weiteres Nenie für Elegie.
p2b_152.029 Beispiel der Nänie:
p2b_152.030
Nenie von Schiller.
p2b_152.031
Auch das Schöne muß sterben, das Menschen und Götter bezwinget!p2b_152.032 Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.p2b_152.033 Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,p2b_152.034 Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.p2b_152.035 Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,p2b_152.036 Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.p2b_152.037 Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,p2b_152.038 Wenn er, am skäischen Thor fallend, sein Schicksal erfüllt.p2b_152.039 Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,p2b_152.040 Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.p2b_152.041 Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,p2b_152.042 Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.p2b_152.043 Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich,p2b_152.044 Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.
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§ 76. Nänie. p2b_152.002
1. Eine kleine Elegie, die sogar etwas Unbedeutendes, Kleinliches p2b_152.003
zum Gegenstand haben kann (indem sie z. B. ein Tierchen beklagt), p2b_152.004
heißt Nänie.
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2. Sonst versteht man darunter noch Lobgedichte zu Ehren Verstorbener, p2b_152.006
sowie kleine Klagelieder, kleine Elegien.
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1. Die Nänien (Neniae, Naeniae) entsprachen in der römischen Litteratur p2b_152.008
den Threnoi (θρῆνοι) der Griechen nur in Hinsicht auf die Veranlassung. Sie p2b_152.009
waren zuweilen Klagelieder. So nannten die alten Römer besonders das Klagegeheul p2b_152.010
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2. Jn der Regel aber waren die Nänien Lieder zum Ruhm der Gestorbenen. p2b_152.014
Man sang sie bei Gastmählern und Leichenfeierlichkeiten, und begleitete sie mit p2b_152.015
der Flöte. (Vgl. Niebuhr, röm. Geschichte S. 146. 1853.)
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Ähnliche Loblieder hatten auch die Hebräer (z. B. „das Lied, das David p2b_152.017
redete vor dem Herrn, als ihn der Herr errettet hatte von der Hand aller p2b_152.018
seiner Feinde“, sowie 1. Chron. 17., ferner Richter 5., ein Lied der Debora p2b_152.019
nach dem Siege über Sissera).
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Neben diesen Lobgesängen hatten die Hebräer auch ihre Threnen, z. B. p2b_152.021
das Klagelied Davids auf Saul und Jonathan. Die Klagelieder Jeremias p2b_152.022
mit ihrem politischen Jnhalt (solchen hatten auch die ältesten griechischen Elegien) p2b_152.023
und mit ihrem Gefühls-Ausdruck der Wehmut, des Schmerzes, die in der p2b_152.024
griechischen und lateinischen Übersetzung Threnos (θρῆνος) genannt werden, p2b_152.025
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Bei den Deutschen ist Nänie ein kleines Klagelied. Ramler hat Nänien p2b_152.027
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Beispiel der Nänie:
p2b_152.030
Nenie von Schiller.
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Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter, p2b_152.038
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Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt. p2b_152.043
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich, p2b_152.044
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/174>, abgerufen am 23.07.2024.
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