Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_132.001 II. Lyrik der Begeisterung. p2b_132.002§ 70. Die verschiedenen Formen der Begeisterungslyrik p2b_132.003 und das Gemeinsame derselben. p2b_132.004 p2b_132.019 p2b_132.026 p2b_132.029 selten verschmäht die Lyrik des Aufschwungs unsere deutschen Kunstmittel, deutschen p2b_132.035 Rhythmus und Reim, wohl aber entlehnt sie ihrer Abstammung gemäß häufig p2b_132.036 die antiken Metren und den antiken Rhythmus. p2b_132.037 p2b_132.001 II. Lyrik der Begeisterung. p2b_132.002§ 70. Die verschiedenen Formen der Begeisterungslyrik p2b_132.003 und das Gemeinsame derselben. p2b_132.004 p2b_132.019 p2b_132.026 p2b_132.029 selten verschmäht die Lyrik des Aufschwungs unsere deutschen Kunstmittel, deutschen p2b_132.035 Rhythmus und Reim, wohl aber entlehnt sie ihrer Abstammung gemäß häufig p2b_132.036 die antiken Metren und den antiken Rhythmus. p2b_132.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0154" n="132"/> <lb n="p2b_132.001"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>. Lyrik der Begeisterung.</hi> </head> <lb n="p2b_132.002"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 70. Die verschiedenen Formen der Begeisterungslyrik <lb n="p2b_132.003"/> und das Gemeinsame derselben.</hi> </head> <p><lb n="p2b_132.004"/> Die Lyrik der Begeisterung hat folgende Formen: <lb n="p2b_132.005"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">a</hi>. Ode, <lb n="p2b_132.006"/><hi rendition="#aq">b</hi>. Lyrische Rhapsodie, <lb n="p2b_132.007"/><hi rendition="#aq">c</hi>. Hymnus, <lb n="p2b_132.008"/><hi rendition="#aq">d</hi>. Dithyrambus, <lb n="p2b_132.009"/><hi rendition="#aq">e</hi>. Elegie.</hi> <lb n="p2b_132.010"/> Da sämtliche hierhergehörige Formen durch die Römer und <lb n="p2b_132.011"/> Griechen zu uns gelangten, so unterscheiden sie sich nach Stoff, Sprache <lb n="p2b_132.012"/> und Schwung des Ausdrucks von unserem sangbaren Liede. Dieses <lb n="p2b_132.013"/> repräsentiert die Lyrik für jeden Stand und jeden Bildungsgrad. Die <lb n="p2b_132.014"/> obigen Formen dagegen wenden sich an die höchst gebildeten Kreise. <lb n="p2b_132.015"/> Sie sind die Lyrik der Gebildeten. Man kann sagen: Das Lied in <lb n="p2b_132.016"/> seinem höchsten Schwung wird zur Ode und zum Dithyrambus, das <lb n="p2b_132.017"/> geistliche zur Hymne oder zur lyrischen Rhapsodie, das elegische Lied <lb n="p2b_132.018"/> zur Elegie.</p> <p><lb n="p2b_132.019"/> Die Abstammung der obigen Formen bedingt einen auf das Erhabene, <lb n="p2b_132.020"/> Majestätische, Feierliche, Große gerichteten, durch Phantasie und gedankliche <lb n="p2b_132.021"/> Thätigkeit geschaffenen ernsten Gegenstand, der durch die Subjektivität des Dichters <lb n="p2b_132.022"/> lyrische Umhüllung annimmt. Man erhält den Eindruck, als sei das Vorbild <lb n="p2b_132.023"/> der Griechen die Veranlassung zu einer den Dichter erfassenden Berauschung <lb n="p2b_132.024"/> und Begeisterung, zu einer Herbeiziehung der gewagtesten Bilder und des höchsten <lb n="p2b_132.025"/> Schwungs der Darstellung.</p> <p><lb n="p2b_132.026"/> Das Lied geht mit seinem leichten, auf den Wellen des Gefühls geschaukelten <lb n="p2b_132.027"/> Stoff den direkten Weg vom Herzen zum Herzen: die Lyrik des <lb n="p2b_132.028"/> Aufschwungs wählt den Weg durch den Kopf zum Herzen.</p> <p><lb n="p2b_132.029"/> Die Folge ist ein gegensätzliches Verhalten zum Lied. Während das Lied <lb n="p2b_132.030"/> einfache Darstellungsform, leichte fließende Sprache und allgemein verständliche <lb n="p2b_132.031"/> Bilder und Ausdrucksformen wählt, <anchor xml:id="p2b019"/>gefällt sich die Lyrik des Aufschwungs in den <lb n="p2b_132.032"/> kühnsten, nicht so leicht verständlichen Metaphern, in den verschlungensten Jnversionen <lb n="p2b_132.033"/> und im wohlberechneten künstlerisch gewundenen Bau der Rede. <anchor xml:id="p2b020"/> <note targetEnd="#p2b020" type="metapher" ana="#m1-0-1-2 #m1-2-5 #m1-4-2" target="#p2b019"> Werkgr.: Lyrik des Aufschwungs</note> Nicht <lb n="p2b_132.034"/> selten verschmäht die Lyrik des Aufschwungs unsere deutschen Kunstmittel, deutschen <lb n="p2b_132.035"/> Rhythmus und Reim, wohl aber entlehnt sie ihrer Abstammung gemäß häufig <lb n="p2b_132.036"/> die antiken Metren und den antiken Rhythmus.</p> <p><lb n="p2b_132.037"/> Sanfte Gefühle, anmutende, allgemein verständliche Ausdrucksweise, weniger <lb n="p2b_132.038"/> feierliche Stoffe, Harmlosigkeit, naive Munterkeit sind der Charakter des Liedes; <lb n="p2b_132.039"/> die Formen des Aufschwungs verlangen die edelste, erhabenste Sprache: die <lb n="p2b_132.040"/> Göttersprache. Nicht allmählich ─ wie im Lied ─ erhebt sich hier das Gefühl, <lb n="p2b_132.041"/> sondern plötzlich, voll ungestümen Feuers. Man vgl. zum Beleg des Unterschieds </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0154]
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II. Lyrik der Begeisterung. p2b_132.002
§ 70. Die verschiedenen Formen der Begeisterungslyrik p2b_132.003
und das Gemeinsame derselben. p2b_132.004
Die Lyrik der Begeisterung hat folgende Formen: p2b_132.005
a. Ode, p2b_132.006
b. Lyrische Rhapsodie, p2b_132.007
c. Hymnus, p2b_132.008
d. Dithyrambus, p2b_132.009
e. Elegie. p2b_132.010
Da sämtliche hierhergehörige Formen durch die Römer und p2b_132.011
Griechen zu uns gelangten, so unterscheiden sie sich nach Stoff, Sprache p2b_132.012
und Schwung des Ausdrucks von unserem sangbaren Liede. Dieses p2b_132.013
repräsentiert die Lyrik für jeden Stand und jeden Bildungsgrad. Die p2b_132.014
obigen Formen dagegen wenden sich an die höchst gebildeten Kreise. p2b_132.015
Sie sind die Lyrik der Gebildeten. Man kann sagen: Das Lied in p2b_132.016
seinem höchsten Schwung wird zur Ode und zum Dithyrambus, das p2b_132.017
geistliche zur Hymne oder zur lyrischen Rhapsodie, das elegische Lied p2b_132.018
zur Elegie.
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Die Abstammung der obigen Formen bedingt einen auf das Erhabene, p2b_132.020
Majestätische, Feierliche, Große gerichteten, durch Phantasie und gedankliche p2b_132.021
Thätigkeit geschaffenen ernsten Gegenstand, der durch die Subjektivität des Dichters p2b_132.022
lyrische Umhüllung annimmt. Man erhält den Eindruck, als sei das Vorbild p2b_132.023
der Griechen die Veranlassung zu einer den Dichter erfassenden Berauschung p2b_132.024
und Begeisterung, zu einer Herbeiziehung der gewagtesten Bilder und des höchsten p2b_132.025
Schwungs der Darstellung.
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Das Lied geht mit seinem leichten, auf den Wellen des Gefühls geschaukelten p2b_132.027
Stoff den direkten Weg vom Herzen zum Herzen: die Lyrik des p2b_132.028
Aufschwungs wählt den Weg durch den Kopf zum Herzen.
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Die Folge ist ein gegensätzliches Verhalten zum Lied. Während das Lied p2b_132.030
einfache Darstellungsform, leichte fließende Sprache und allgemein verständliche p2b_132.031
Bilder und Ausdrucksformen wählt, gefällt sich die Lyrik des Aufschwungs in den p2b_132.032
kühnsten, nicht so leicht verständlichen Metaphern, in den verschlungensten Jnversionen p2b_132.033
und im wohlberechneten künstlerisch gewundenen Bau der Rede. Werkgr.: Lyrik des Aufschwungs Nicht p2b_132.034
selten verschmäht die Lyrik des Aufschwungs unsere deutschen Kunstmittel, deutschen p2b_132.035
Rhythmus und Reim, wohl aber entlehnt sie ihrer Abstammung gemäß häufig p2b_132.036
die antiken Metren und den antiken Rhythmus.
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Sanfte Gefühle, anmutende, allgemein verständliche Ausdrucksweise, weniger p2b_132.038
feierliche Stoffe, Harmlosigkeit, naive Munterkeit sind der Charakter des Liedes; p2b_132.039
die Formen des Aufschwungs verlangen die edelste, erhabenste Sprache: die p2b_132.040
Göttersprache. Nicht allmählich ─ wie im Lied ─ erhebt sich hier das Gefühl, p2b_132.041
sondern plötzlich, voll ungestümen Feuers. Man vgl. zum Beleg des Unterschieds
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