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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Beispiele:

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a. Klingender Reim.

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Lasset uns zählen, p1b_643.004
Welch's sind unsre Bundsgenossen, p1b_643.005
Damit wir seh'n unverdrossen, p1b_643.006
Ob's uns kann fehlen.

(Rückert.)

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b. Stumpfer Reim.

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Das ist der Tag des Herrn. p1b_643.009
Jch bin allein auf weiter Flur; p1b_643.010
Noch Eine Morgenglocke nur, p1b_643.011
Nun Stille nah und fern.
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(Uhland. Vgl. auch Rückerts Trostspruch.)

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c. Steigende Reimung.

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Schlacht, du brichst an! p1b_643.015
Grüßt sie in freudigem Kreise, p1b_643.016
Laut nach germanischer Weise; p1b_643.017
Brüder, heran!

(Körner.)

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(Vgl. hierzu Haller Die Klugheit sieht den Sturm in fernen Wolken drohen &c. p1b_643.019
Ebenso Goethes Rettung.)

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d. Fallende Reimung.

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Zuweilen dünkt es mich, als trübe p1b_643.022
Geheime Sehnsucht deinen Blick - p1b_643.023
Jch kenn' es wohl dein Mißgeschick: p1b_643.024
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe.
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(Heine. Vgl. hierzu Goethes Vorklage.)

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7. a a b a. (Persische Vierzeilenstrophe.)

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Dieses Schema, dem wir in der fremden Form der persischen Vierzeile p1b_643.028
(§ 183 und 184) begegneten, ist besonders von Rückert gepflegt worden. p1b_643.029
Beispiele s. § 183 sowie Rückerts Ges. Ausg. I. 583.

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8. a b a c. (Rückerts Kynaststrophe.)

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Diese Form finden wir einzig und allein bei Fr. Rückert. Das unten p1b_643.032
folgende Beispiel zeigt des Dichters eminent gebildeten Sinn für die Feinheiten p1b_643.033
der Strophik. a a sind zwei Nibelungenverse, b enthält 5 Jamben; die p1b_643.034
strophenabschließende Zeile bringt für Markierung des Schlusses einen um weitere p1b_643.035
2 Jamben verkürzten Refrain.

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Beispiel:

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Sie sprach: Jch will nicht sitzen im stillen Kämmerlein, p1b_643.038
Das Fräulein Kunigunde von Kynast! p1b_643.039
Jch will zur Jagd ausreiten, zu Rosse sitzt sich's fein. p1b_643.040
Das Fräulein Kunigunde!

(Rückert.)

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Beispiele:

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a. Klingender Reim.

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Lasset uns zählen, p1b_643.004
Welch's sind unsre Bundsgenossen, p1b_643.005
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Ob's uns kann fehlen.

(Rückert.)

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b. Stumpfer Reim.

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(Uhland. Vgl. auch Rückerts Trostspruch.)

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(Vgl. hierzu Haller Die Klugheit sieht den Sturm in fernen Wolken drohen &c. p1b_643.019
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Dieses Schema, dem wir in der fremden Form der persischen Vierzeile p1b_643.028
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Diese Form finden wir einzig und allein bei Fr. Rückert. Das unten p1b_643.032
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/677>, abgerufen am 26.06.2024.