Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_534.001 p1b_534.004 p1b_534.005 Was hätt' ich, könnt' den Baldachin ich breiten p1b_534.009 Und ehrte äußerlich die Außenwelt, p1b_534.010 Und schüfe Großes für die Ewigkeiten, p1b_534.011 Das kürzer dauert, als Ruin zerfällt? p1b_534.012 Sah ich's doch: Form- und Gunstanbeter büßen p1b_534.013 Durch zuviel Zins ihr Alles, mehr noch, ein; p1b_534.014 Verlieren reine Luft um falsche Süßen - p1b_534.015 Glückspilze, stürzend in der Jagd nach Schein! p1b_534.016 Nein! laß mich treu in deinem Herzen leben, p1b_534.017 Nimm meine Gabe - arm doch frei - die sich p1b_534.018 Nichts Andres beimischt und nichts kennt, als Geben, p1b_534.019 Sich gegenseitig geben, mich für dich! p1b_534.020 Fort! feiler Kläger! Treue Seelen achten p1b_534.021 Am mindsten Dein, wenn sie am tiefsten schmachten. p1b_534.022 Soll über Dir ein Baldachin sich breiten? p1b_534.024 Soll ich mit Prangen äußerlich Dir dienen, p1b_534.025 Gebäude gründen wie für Ewigkeiten, p1b_534.026 Die doch gar bald zerfallen in Ruinen? p1b_534.027 Hab' ich nicht in so prunkender Gebahrung p1b_534.028 Schönheitverehrer Alles opfern sehn? p1b_534.029 Sie tauschten Süßigkeit für schlichte Nahrung, p1b_534.030 Und noch im Anschaun war's um sie geschehn! p1b_534.031 Nein, Dir im Jnnern laß mich dienstbar sein! p1b_534.032 Laß meine arme, aber freie Gabe p1b_534.033 Dir bloß im Austausch unsrer Herzen weihn, p1b_534.034 Gieb dich für mich und Alles was ich habe! p1b_534.035 Heb' Dich hinweg, Verleumder! wahre Treu' p1b_534.036 Trotzt der Verleumdung ohne Furcht und Scheu. p1b_534.037 p1b_534.001 p1b_534.004 p1b_534.005 Was hätt' ich, könnt' den Baldachin ich breiten p1b_534.009 Und ehrte äußerlich die Außenwelt, p1b_534.010 Und schüfe Großes für die Ewigkeiten, p1b_534.011 Das kürzer dauert, als Ruin zerfällt? p1b_534.012 Sah ich's doch: Form- und Gunstanbeter büßen p1b_534.013 Durch zuviel Zins ihr Alles, mehr noch, ein; p1b_534.014 Verlieren reine Luft um falsche Süßen ─ p1b_534.015 Glückspilze, stürzend in der Jagd nach Schein! p1b_534.016 Nein! laß mich treu in deinem Herzen leben, p1b_534.017 Nimm meine Gabe ─ arm doch frei ─ die sich p1b_534.018 Nichts Andres beimischt und nichts kennt, als Geben, p1b_534.019 Sich gegenseitig geben, mich für dich! p1b_534.020 Fort! feiler Kläger! Treue Seelen achten p1b_534.021 Am mindsten Dein, wenn sie am tiefsten schmachten. p1b_534.022 Soll über Dir ein Baldachin sich breiten? p1b_534.024 Soll ich mit Prangen äußerlich Dir dienen, p1b_534.025 Gebäude gründen wie für Ewigkeiten, p1b_534.026 Die doch gar bald zerfallen in Ruinen? p1b_534.027 Hab' ich nicht in so prunkender Gebahrung p1b_534.028 Schönheitverehrer Alles opfern sehn? p1b_534.029 Sie tauschten Süßigkeit für schlichte Nahrung, p1b_534.030 Und noch im Anschaun war's um sie geschehn! p1b_534.031 Nein, Dir im Jnnern laß mich dienstbar sein! p1b_534.032 Laß meine arme, aber freie Gabe p1b_534.033 Dir bloß im Austausch unsrer Herzen weihn, p1b_534.034 Gieb dich für mich und Alles was ich habe! p1b_534.035 Heb' Dich hinweg, Verleumder! wahre Treu' p1b_534.036 Trotzt der Verleumdung ohne Furcht und Scheu. p1b_534.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0568" n="534"/><lb n="p1b_534.001"/> vor Allem <hi rendition="#g">Fr. 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Er <lb n="p1b_534.038"/> räumt der Shakespeareschen Sonettenform, die mit der romanischen nur die <lb n="p1b_534.039"/> 14 Zeilen gemein hat, einen Vorzug ein und meint, daß sie „einfach und <lb n="p1b_534.040"/> anspruchlos“ am besten unserer reim- und klangarmen (?) Sprache entspreche. <lb n="p1b_534.041"/> „Jm Englischen ─ so schreibt er uns ─ sind die Reime wie die Mehrzahl <lb n="p1b_534.042"/> der Worte kurz; weibliche bilden die Ausnahme. Demgemäß hat der Übersetzer <lb n="p1b_534.043"/> die Freiheit, die meist einsilbigen englischen Reime männlich oder weiblich <lb n="p1b_534.044"/> zu übersetzen, und diese Freiheit haben sich alle Übersetzer der Shakespeare= <lb n="p1b_534.045"/> Sonette zu Nutzen gemacht. Bei Bodenstedt z. B. finden sich ganz männliche <lb n="p1b_534.046"/> und ganz weibliche, auch zur Hälfte oder um ein Viertel männlich gereimte <lb n="p1b_534.047"/> Sonette u. s. w. Jch wählte nur <hi rendition="#g">Eine</hi> Form, weil ich dachte, die Sonette <lb n="p1b_534.048"/> würden sich so leichter lesen, nachdem der Rhythmus schnell ins Gefühl übergegangen. </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [534/0568]
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vor Allem Fr. Rückert, dessen ähnlich gemischtem Talente er besonders entsprach: p1b_534.002
─ alle modernen Sonettendichter des heutigen Deutschlands p1b_534.003
sind mehr oder weniger bei Rückert in die Schule gegangen.
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der Shakespearschen „Southampton-Sonette“ des talentvollen Übersetzers p1b_534.007
Fritz Krauß in Zürich (Leipz., Engelmann, 1872, S. 177):
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Was hätt' ich, könnt' den Baldachin ich breiten p1b_534.009
Und ehrte äußerlich die Außenwelt, p1b_534.010
Und schüfe Großes für die Ewigkeiten, p1b_534.011
Das kürzer dauert, als Ruin zerfällt? p1b_534.012
Sah ich's doch: Form- und Gunstanbeter büßen p1b_534.013
Durch zuviel Zins ihr Alles, mehr noch, ein; p1b_534.014
Verlieren reine Luft um falsche Süßen ─ p1b_534.015
Glückspilze, stürzend in der Jagd nach Schein! p1b_534.016
Nein! laß mich treu in deinem Herzen leben, p1b_534.017
Nimm meine Gabe ─ arm doch frei ─ die sich p1b_534.018
Nichts Andres beimischt und nichts kennt, als Geben, p1b_534.019
Sich gegenseitig geben, mich für dich! p1b_534.020
Fort! feiler Kläger! Treue Seelen achten p1b_534.021
Am mindsten Dein, wenn sie am tiefsten schmachten.
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Jn der Übersetzung Bodenstedts (Werke VIII. 174) lautet dieses Sonett:
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Soll über Dir ein Baldachin sich breiten? p1b_534.024
Soll ich mit Prangen äußerlich Dir dienen, p1b_534.025
Gebäude gründen wie für Ewigkeiten, p1b_534.026
Die doch gar bald zerfallen in Ruinen? p1b_534.027
Hab' ich nicht in so prunkender Gebahrung p1b_534.028
Schönheitverehrer Alles opfern sehn? p1b_534.029
Sie tauschten Süßigkeit für schlichte Nahrung, p1b_534.030
Und noch im Anschaun war's um sie geschehn! p1b_534.031
Nein, Dir im Jnnern laß mich dienstbar sein! p1b_534.032
Laß meine arme, aber freie Gabe p1b_534.033
Dir bloß im Austausch unsrer Herzen weihn, p1b_534.034
Gieb dich für mich und Alles was ich habe! p1b_534.035
Heb' Dich hinweg, Verleumder! wahre Treu' p1b_534.036
Trotzt der Verleumdung ohne Furcht und Scheu.
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Krauß hielt sich bei seiner Übersetzung streng an das Original. Er p1b_534.038
räumt der Shakespeareschen Sonettenform, die mit der romanischen nur die p1b_534.039
14 Zeilen gemein hat, einen Vorzug ein und meint, daß sie „einfach und p1b_534.040
anspruchlos“ am besten unserer reim- und klangarmen (?) Sprache entspreche. p1b_534.041
„Jm Englischen ─ so schreibt er uns ─ sind die Reime wie die Mehrzahl p1b_534.042
der Worte kurz; weibliche bilden die Ausnahme. Demgemäß hat der Übersetzer p1b_534.043
die Freiheit, die meist einsilbigen englischen Reime männlich oder weiblich p1b_534.044
zu übersetzen, und diese Freiheit haben sich alle Übersetzer der Shakespeare= p1b_534.045
Sonette zu Nutzen gemacht. Bei Bodenstedt z. B. finden sich ganz männliche p1b_534.046
und ganz weibliche, auch zur Hälfte oder um ein Viertel männlich gereimte p1b_534.047
Sonette u. s. w. Jch wählte nur Eine Form, weil ich dachte, die Sonette p1b_534.048
würden sich so leichter lesen, nachdem der Rhythmus schnell ins Gefühl übergegangen.
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