Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_402.001 Sie sint so sama chuani selb so thie romani p1b_402.006 (Aus Otfrieds Krist I, 59 u. 60.) p1b_402.010 p1b_402.014 Sunufatarungos iro saro rihtun p1b_402.019 Sohn und Vater zusammen ihre Panzer richteten p1b_402.020 garutun se iro gaudhamun, gurtun ih siro suert ana p1b_402.021 Bereiteten sich ihre Schlachtkleider, gürteten sich ihre Schwerter an. p1b_402.022 Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltju ritun p1b_402.023 Die Helden über die Ringe (Panzerhemden), da sie zum Kampfe ritten. p1b_402.024 Hiltibraht gimahalta, her was heroro man, p1b_402.025 Hiltibracht sprach, er war der hehrere Mann p1b_402.026 ferahes frotoro; her fragen gistuont p1b_402.027 lebensverständiger; er zu fragen begann p1b_402.028 fohem wortum p1b_402.029 mit wenigen Worten p1b_402.030 hwer sin fater wari fireo in folche. p1b_402.031 wer sein Vater wäre, der Führer im Volke. p1b_402.032 mit gerau scal man geba infahan. p1b_402.039
Mit dem Gere soll der Mann die Gabe empfangen. p1b_402.001 Siè sint so sáma chuani sélb so thie románi p1b_402.006 (Aus Otfrieds Krist I, 59 u. 60.) p1b_402.010 p1b_402.014 Sunufatarungôs irô saro rihtun p1b_402.019 Sohn und Vater zusammen ihre Panzer richteten p1b_402.020 garutun sê irô gûdhamun, gurtun ih sirô suert ana p1b_402.021 Bereiteten sich ihre Schlachtkleider, gürteten sich ihre Schwerter an. p1b_402.022 Helidôs, ubar hringâ, dô siê to derô hiltju ritun p1b_402.023 Die Helden über die Ringe (Panzerhemden), da sie zum Kampfe ritten. p1b_402.024 Hiltibraht gimahalta, her was hêrôro man, p1b_402.025 Hiltibracht sprach, er war der hehrere Mann p1b_402.026 ferahes frôtôro; her frâgên gistuont p1b_402.027 lebensverständiger; er zu fragen begann p1b_402.028 fôhêm wortum p1b_402.029 mit wenigen Worten p1b_402.030 hwer sin fater wari fireô in folche. p1b_402.031 wer sein Vater wäre, der Führer im Volke. p1b_402.032 mit gêrû scal man geba infâhan. p1b_402.039
Mit dem Gere soll der Mann die Gabe empfangen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0436" n="402"/> <p><lb n="p1b_402.001"/> 6. Wie die Allitteration als versregelndes Kunstmittel mit Bewußtsein <lb n="p1b_402.002"/> schon bei den ältesten deutschen Litteraturwerken benützt wurde, ist leicht nachweislich. <lb n="p1b_402.003"/> Man bediente sich dabei der meist aus 8 Hebungen bestehenden <lb n="p1b_402.004"/> Langzeile (Otfriedsche Strophe vgl. § 68), z. B.</p> <lb n="p1b_402.005"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Siè sint so sáma chuani<space dim="horizontal"/>sélb so thie románi <lb n="p1b_402.006"/> ni thárf man thaz, ouh rédinon, thaz kríachi in thes giwídaron</hi>. <lb n="p1b_402.007"/> (Sie sind eben so kühn, selbst wie die Römer, <lb n="p1b_402.008"/> nicht darf man dazu reden, daß Griechen sie darin übertreffen.)</hi> </p> <lb n="p1b_402.009"/> <p> <hi rendition="#right">(Aus Otfrieds Krist <hi rendition="#aq">I</hi>, 59 u. 60.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_402.010"/> Diese Strophe war durch Jncisionen geteilt, und nur die Allitteration <lb n="p1b_402.011"/> hielt sie zusammen, indem sie meist im ersten Bruchstück zweimal, im zweiten <lb n="p1b_402.012"/> einmal den gleichen Anfangsbuchstaben brachte. Ausnahmen von dieser Regel <lb n="p1b_402.013"/> gab es genug.</p> <p><lb n="p1b_402.014"/> Wir wählen noch ein anderes Beispiel aus dem ältesten deutschen Gedichte, <lb n="p1b_402.015"/> dem Hildebrandsliede, in welchem der Kampf des Sohnes mit seinem <lb n="p1b_402.016"/> unbekannten Vater ─ ähnlich wie in Rückerts Rostem und Suhrab ─ erzählt <lb n="p1b_402.017"/> wird.</p> <lb n="p1b_402.018"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Sunufatarungôs irô saro rihtun</hi> </l> <lb n="p1b_402.019"/> <l>Sohn und Vater zusammen ihre Panzer richteten</l> <lb n="p1b_402.020"/> <l> <hi rendition="#aq">garutun sê irô gûdhamun, gurtun ih sirô suert ana</hi> </l> <lb n="p1b_402.021"/> <l>Bereiteten sich ihre Schlachtkleider, gürteten sich ihre Schwerter an.</l> <lb n="p1b_402.022"/> <l> <hi rendition="#aq">Helidôs, ubar hringâ, dô siê to derô hiltju ritun</hi> </l> <lb n="p1b_402.023"/> <l>Die Helden über die Ringe (Panzerhemden), da sie zum Kampfe ritten.</l> <lb n="p1b_402.024"/> <l><hi rendition="#aq">Hiltibraht gimahalta, her was hêrôro man</hi>,</l> <lb n="p1b_402.025"/> <l>Hiltibracht sprach, er war der hehrere Mann</l> <lb n="p1b_402.026"/> <l> <hi rendition="#aq">ferahes frôtôro; her frâgên gistuont</hi> </l> <lb n="p1b_402.027"/> <l>lebensverständiger; er zu fragen begann</l> <lb n="p1b_402.028"/> <l> <hi rendition="#aq">fôhêm wortum</hi> </l> <lb n="p1b_402.029"/> <l>mit wenigen Worten</l> <lb n="p1b_402.030"/> <l><hi rendition="#aq">hwer sin fater wari fireô in folche</hi>.</l> <lb n="p1b_402.031"/> <l>wer sein Vater wäre, der Führer im Volke.</l> </lg> <p><lb n="p1b_402.032"/> Man ersieht hieraus, wie durch die Allitteration die Versgrenze bemerklich <lb n="p1b_402.033"/> gemacht wurde und wie es schon die Alten verstanden, gewisse ─ selbstredend <lb n="p1b_402.034"/> durch den Sinn verbundene ─ Worte durch das gemeinsame Anfangszeichen <lb n="p1b_402.035"/> als zusammengehörig zu charakterisieren, wozu ihnen 3, 4, zuweilen nur 2 <lb n="p1b_402.036"/> Hauptvorstellungen ─ durch gleiche Anlaute hervorgehoben ─ genügten. Vgl. <lb n="p1b_402.037"/> hierfür noch den aus dem Hildebrandslied entlehnten Vers:</p> <lb n="p1b_402.038"/> <lg> <l><hi rendition="#aq">mit gêrû scal man geba infâhan</hi>.</l> <lb n="p1b_402.039"/> <l>Mit dem Gere soll der Mann die Gabe empfangen.</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [402/0436]
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6. Wie die Allitteration als versregelndes Kunstmittel mit Bewußtsein p1b_402.002
schon bei den ältesten deutschen Litteraturwerken benützt wurde, ist leicht nachweislich. p1b_402.003
Man bediente sich dabei der meist aus 8 Hebungen bestehenden p1b_402.004
Langzeile (Otfriedsche Strophe vgl. § 68), z. B.
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Siè sint so sáma chuani sélb so thie románi p1b_402.006
ni thárf man thaz, ouh rédinon, thaz kríachi in thes giwídaron. p1b_402.007
(Sie sind eben so kühn, selbst wie die Römer, p1b_402.008
nicht darf man dazu reden, daß Griechen sie darin übertreffen.)
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(Aus Otfrieds Krist I, 59 u. 60.)
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Diese Strophe war durch Jncisionen geteilt, und nur die Allitteration p1b_402.011
hielt sie zusammen, indem sie meist im ersten Bruchstück zweimal, im zweiten p1b_402.012
einmal den gleichen Anfangsbuchstaben brachte. Ausnahmen von dieser Regel p1b_402.013
gab es genug.
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Wir wählen noch ein anderes Beispiel aus dem ältesten deutschen Gedichte, p1b_402.015
dem Hildebrandsliede, in welchem der Kampf des Sohnes mit seinem p1b_402.016
unbekannten Vater ─ ähnlich wie in Rückerts Rostem und Suhrab ─ erzählt p1b_402.017
wird.
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wer sein Vater wäre, der Führer im Volke.
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Man ersieht hieraus, wie durch die Allitteration die Versgrenze bemerklich p1b_402.033
gemacht wurde und wie es schon die Alten verstanden, gewisse ─ selbstredend p1b_402.034
durch den Sinn verbundene ─ Worte durch das gemeinsame Anfangszeichen p1b_402.035
als zusammengehörig zu charakterisieren, wozu ihnen 3, 4, zuweilen nur 2 p1b_402.036
Hauptvorstellungen ─ durch gleiche Anlaute hervorgehoben ─ genügten. Vgl. p1b_402.037
hierfür noch den aus dem Hildebrandslied entlehnten Vers:
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Mit dem Gere soll der Mann die Gabe empfangen.
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