Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_390.001 § 124. Zur Entstehungs-Geschichte des Gleichklangs im p1b_390.002 allgemeinen. p1b_390.003 p1b_390.006 p1b_390.008 p1b_390.010 p1b_390.016 p1b_390.019 p1b_390.021 Wißt ihr, Perser, wie es kam, p1b_390.024
Daß der Reim den Ursprung nahm? p1b_390.025 Auf dem Sassanidenthron p1b_390.026 Saß der große Schah Behram. p1b_390.027 Seines Thrones Edelstein p1b_390.028 War die Sklavin Dilaram. p1b_390.029 Wann mit Lust er sprach zu ihr, p1b_390.030 Hörte sie ihn ohne Gram. p1b_390.031 Nachzutönen drängt' es sie p1b_390.032 Jedes Wort, das sie vernahm. p1b_390.033 Wie sein Wort gemessen war, p1b_390.034 Maß sie ihres ebensam. p1b_390.035 Und wie er die Rede schloß, p1b_390.036 Schloß sie ihre wundersam. p1b_390.037 Dilaram! so schloß er stets; p1b_390.038 Und stets schloß sie: Schah Behram. p1b_390.039 Und so war der Reim entblüht, p1b_390.040 Wie der Held zur Huldin kam. p1b_390.041 Darum, Perser, achten wir p1b_390.042 Nicht den Reim für leeren Kram, p1b_390.043 Lied, das ohne Reime fliegt, p1b_390.044 Jst an beiden Schwingen lahm. p1b_390.045 Darum, Perser, nenn' ich mich p1b_390.046 Freimund Reimar ohne Scham. p1b_390.001 § 124. Zur Entstehungs-Geschichte des Gleichklangs im p1b_390.002 allgemeinen. p1b_390.003 p1b_390.006 p1b_390.008 p1b_390.010 p1b_390.016 p1b_390.019 p1b_390.021 Wißt ihr, Perser, wie es kam, p1b_390.024
Daß der Reim den Ursprung nahm? p1b_390.025 Auf dem Sassanidenthron p1b_390.026 Saß der große Schah Behram. p1b_390.027 Seines Thrones Edelstein p1b_390.028 War die Sklavin Dilaram. p1b_390.029 Wann mit Lust er sprach zu ihr, p1b_390.030 Hörte sie ihn ohne Gram. p1b_390.031 Nachzutönen drängt' es sie p1b_390.032 Jedes Wort, das sie vernahm. p1b_390.033 Wie sein Wort gemessen war, p1b_390.034 Maß sie ihres ebensam. p1b_390.035 Und wie er die Rede schloß, p1b_390.036 Schloß sie ihre wundersam. p1b_390.037 Dilaram! so schloß er stets; p1b_390.038 Und stets schloß sie: Schah Behram. p1b_390.039 Und so war der Reim entblüht, p1b_390.040 Wie der Held zur Huldin kam. p1b_390.041 Darum, Perser, achten wir p1b_390.042 Nicht den Reim für leeren Kram, p1b_390.043 Lied, das ohne Reime fliegt, p1b_390.044 Jst an beiden Schwingen lahm. p1b_390.045 Darum, Perser, nenn' ich mich p1b_390.046 Freimund Reimar ohne Scham. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0424" n="390"/> </div> <div n="2"> <lb n="p1b_390.001"/> <head> <hi rendition="#c">§ 124. Zur Entstehungs-Geschichte des Gleichklangs im <lb n="p1b_390.002"/> allgemeinen.</hi> </head> <p><lb n="p1b_390.003"/> 1. Über die erste Entstehung des Gleichklangs ─ beziehungsweise <lb n="p1b_390.004"/> des Vollreims ─ lassen sich wissenschaftlich verbürgte Angaben nicht <lb n="p1b_390.005"/> machen.</p> <p><lb n="p1b_390.006"/> 2. Einzelne leiten ihn von den Persern her, andere von den <lb n="p1b_390.007"/> Hebräern, wieder andere von den Arabern.</p> <p><lb n="p1b_390.008"/> 3. Jedenfalls entwickelte er sich als Naturnotwendigkeit unserer <lb n="p1b_390.009"/> accentuierenden Sprache von selbst.</p> <p><lb n="p1b_390.010"/> 1. Die Griechen, welche wir als Vorbilder geschichtlicher dichterischer Form <lb n="p1b_390.011"/> verehren, haben den Gleichklang als Kunstmittel nicht angewandt. Sie hatten <lb n="p1b_390.012"/> kein Bedürfnis für denselben. Jhnen genügte der Versrhythmus, der sich im <lb n="p1b_390.013"/> Wechsel von Kürzen und Längen manifestierte. Jm Lateinischen ist die Anwendung <lb n="p1b_390.014"/> des Reims als sog. Leoninischer Reim bekannt (vom Kanonikus Leo, <lb n="p1b_390.015"/> der um 1160 Hexameter und Pentameter reimte. Vgl. S. 354 d. B.).</p> <p><lb n="p1b_390.016"/> Die Chinesen mit ihren einsilbigen, des Rhythmus schwer fähigen Wörtern <lb n="p1b_390.017"/> sind das einzige Volk, welches den Reim mindestens 2000 Jahre vor Chr. <lb n="p1b_390.018"/> Geburt gebrauchte.</p> <p><lb n="p1b_390.019"/> 2. Ebenso findet sich der Reim in der ältesten persischen Litteratur, weshalb <lb n="p1b_390.020"/> einige meinen, der deutsche Reim rühre von den Persern her.</p> <p><lb n="p1b_390.021"/> Rückert sagt hinsichtlich der Entstehung des persischen Reimes als eines <lb n="p1b_390.022"/> „Nachtönens“ oder Echos:</p> <lb n="p1b_390.023"/> <lg> <l>Wißt ihr, Perser, wie es kam,</l> <lb n="p1b_390.024"/> <l>Daß der Reim den Ursprung nahm?</l> <lb n="p1b_390.025"/> <l>Auf dem Sassanidenthron</l> <lb n="p1b_390.026"/> <l>Saß der große <hi rendition="#g">Schah Behram.</hi></l> <lb n="p1b_390.027"/> <l>Seines Thrones Edelstein</l> <lb n="p1b_390.028"/> <l>War die Sklavin <hi rendition="#g">Dilaram.</hi></l> <lb n="p1b_390.029"/> <l>Wann mit Lust er sprach zu ihr,</l> <lb n="p1b_390.030"/> <l>Hörte sie ihn ohne Gram.</l> <lb n="p1b_390.031"/> <l>Nachzutönen drängt' es sie</l> <lb n="p1b_390.032"/> <l>Jedes Wort, das sie vernahm.</l> <lb n="p1b_390.033"/> <l>Wie sein Wort gemessen war,</l> <lb n="p1b_390.034"/> <l>Maß sie ihres ebensam.</l> <lb n="p1b_390.035"/> <l>Und wie er die Rede schloß,</l> <lb n="p1b_390.036"/> <l>Schloß sie ihre wundersam.</l> <lb n="p1b_390.037"/> <l><hi rendition="#g">Dilaram!</hi> so schloß er stets;</l> <lb n="p1b_390.038"/> <l>Und stets schloß sie: <hi rendition="#g">Schah Behram.</hi></l> <lb n="p1b_390.039"/> <l> <hi rendition="#g">Und so war der Reim entblüht,</hi> </l> <lb n="p1b_390.040"/> <l> <hi rendition="#g">Wie der Held zur Huldin kam.</hi> </l> <lb n="p1b_390.041"/> <l>Darum, Perser, achten wir</l> <lb n="p1b_390.042"/> <l> <hi rendition="#g">Nicht den Reim für leeren Kram,</hi> </l> <lb n="p1b_390.043"/> <l> <hi rendition="#g">Lied, das ohne Reime fliegt,</hi> </l> <lb n="p1b_390.044"/> <l> <hi rendition="#g">Jst an beiden Schwingen lahm.</hi> </l> <lb n="p1b_390.045"/> <l>Darum, Perser, nenn' ich mich</l> <lb n="p1b_390.046"/> <l>Freimund Reimar ohne Scham.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0424]
p1b_390.001
§ 124. Zur Entstehungs-Geschichte des Gleichklangs im p1b_390.002
allgemeinen. p1b_390.003
1. Über die erste Entstehung des Gleichklangs ─ beziehungsweise p1b_390.004
des Vollreims ─ lassen sich wissenschaftlich verbürgte Angaben nicht p1b_390.005
machen.
p1b_390.006
2. Einzelne leiten ihn von den Persern her, andere von den p1b_390.007
Hebräern, wieder andere von den Arabern.
p1b_390.008
3. Jedenfalls entwickelte er sich als Naturnotwendigkeit unserer p1b_390.009
accentuierenden Sprache von selbst.
p1b_390.010
1. Die Griechen, welche wir als Vorbilder geschichtlicher dichterischer Form p1b_390.011
verehren, haben den Gleichklang als Kunstmittel nicht angewandt. Sie hatten p1b_390.012
kein Bedürfnis für denselben. Jhnen genügte der Versrhythmus, der sich im p1b_390.013
Wechsel von Kürzen und Längen manifestierte. Jm Lateinischen ist die Anwendung p1b_390.014
des Reims als sog. Leoninischer Reim bekannt (vom Kanonikus Leo, p1b_390.015
der um 1160 Hexameter und Pentameter reimte. Vgl. S. 354 d. B.).
p1b_390.016
Die Chinesen mit ihren einsilbigen, des Rhythmus schwer fähigen Wörtern p1b_390.017
sind das einzige Volk, welches den Reim mindestens 2000 Jahre vor Chr. p1b_390.018
Geburt gebrauchte.
p1b_390.019
2. Ebenso findet sich der Reim in der ältesten persischen Litteratur, weshalb p1b_390.020
einige meinen, der deutsche Reim rühre von den Persern her.
p1b_390.021
Rückert sagt hinsichtlich der Entstehung des persischen Reimes als eines p1b_390.022
„Nachtönens“ oder Echos:
p1b_390.023
Wißt ihr, Perser, wie es kam, p1b_390.024
Daß der Reim den Ursprung nahm? p1b_390.025
Auf dem Sassanidenthron p1b_390.026
Saß der große Schah Behram. p1b_390.027
Seines Thrones Edelstein p1b_390.028
War die Sklavin Dilaram. p1b_390.029
Wann mit Lust er sprach zu ihr, p1b_390.030
Hörte sie ihn ohne Gram. p1b_390.031
Nachzutönen drängt' es sie p1b_390.032
Jedes Wort, das sie vernahm. p1b_390.033
Wie sein Wort gemessen war, p1b_390.034
Maß sie ihres ebensam. p1b_390.035
Und wie er die Rede schloß, p1b_390.036
Schloß sie ihre wundersam. p1b_390.037
Dilaram! so schloß er stets; p1b_390.038
Und stets schloß sie: Schah Behram. p1b_390.039
Und so war der Reim entblüht, p1b_390.040
Wie der Held zur Huldin kam. p1b_390.041
Darum, Perser, achten wir p1b_390.042
Nicht den Reim für leeren Kram, p1b_390.043
Lied, das ohne Reime fliegt, p1b_390.044
Jst an beiden Schwingen lahm. p1b_390.045
Darum, Perser, nenn' ich mich p1b_390.046
Freimund Reimar ohne Scham.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |