Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_345.001 Sie haben das Herz aus der Brust mir genommen, p1b_345.004 Und haben's gelegt in ein Grab, p1b_345.005 Das Leben ist mir abhanden gekommen, p1b_345.006 Es ist mir gegangen hinab. p1b_345.007 Es wütet der Sturm mit entsetzlicher Macht p1b_345.009 Die Windmühl schwankt, das Gebälk erkracht, p1b_345.010 Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.) p1b_345.011 p1b_345.014Zerschellt ist der Mühle zerbrechlicher Bau, p1b_345.012 Und Wogen von Sand bedecken die Au', p1b_345.013 Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.) (Chamisso.) p1b_345.015 p1b_345.016 p1b_345.018 "Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege? p1b_345.020 p1b_345.023Dich, treuste der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge. p1b_345.021 Ja! mähst du die Wiese mir ab von jetzt in drei Tagen, p1b_345.022 Nicht dürft' ich den Sohn dir, den einzigen, länger versagen." (Uhland, Die Mähderin.) p1b_345.024 p1b_345.025 p1b_345.029 Die Luft ward sanfter; ein Teppich mit wilder Kühnheit aus Stauden p1b_345.031 p1b_345.036Und Blumen und Saaten gewebt, bekleidete Thäler und Hügel, p1b_345.032 Nun fielen Schatten vom Buchbaum herab; harmonische Lieder p1b_345.033 Erfüllten den dämmernden Hain. Die Sonne beschaute die Bäche; p1b_345.034 Die Bäche führeten Funken. Gerüche flossen im Luftraum; p1b_345.035 Und jeden schlafenden Nachhall erweckte die Flöte der Hirten. (Aus Kleists Frühling.) p1b_345.037 p1b_345.038 p1b_345.001 Sie haben das Herz aus der Brust mir genommen, p1b_345.004 Und haben's gelegt in ein Grab, p1b_345.005 Das Leben ist mir abhanden gekommen, p1b_345.006 Es ist mir gegangen hinab. p1b_345.007 Es wütet der Sturm mit entsetzlicher Macht p1b_345.009 Die Windmühl schwankt, das Gebälk erkracht, p1b_345.010 Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.) p1b_345.011 p1b_345.014Zerschellt ist der Mühle zerbrechlicher Bau, p1b_345.012 Und Wogen von Sand bedecken die Au', p1b_345.013 Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.) (Chamisso.) p1b_345.015 p1b_345.016 p1b_345.018 „Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege? p1b_345.020 p1b_345.023Dich, treuste der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge. p1b_345.021 Ja! mähst du die Wiese mir ab von jetzt in drei Tagen, p1b_345.022 Nicht dürft' ich den Sohn dir, den einzigen, länger versagen.“ (Uhland, Die Mähderin.) p1b_345.024 p1b_345.025 p1b_345.029 Die Luft ward sanfter; ein Teppich mit wilder Kühnheit aus Stauden p1b_345.031 p1b_345.036Und Blumen und Saaten gewebt, bekleidete Thäler und Hügel, p1b_345.032 Nun fielen Schatten vom Buchbaum herab; harmonische Lieder p1b_345.033 Erfüllten den dämmernden Hain. Die Sonne beschaute die Bäche; p1b_345.034 Die Bäche führeten Funken. Gerüche flossen im Luftraum; p1b_345.035 Und jeden schlafenden Nachhall erweckte die Flöte der Hirten. 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Fünftaktige anapästische Verse (anapästische Fünftakter).</p> <p><lb n="p1b_345.016"/> Der fünftaktige Anapäst findet sich in unserer Litteratur nur selten. <lb n="p1b_345.017"/> Er hat meist hyperkatalektischen Schluß.</p> <p> <lb n="p1b_345.018"/> <hi rendition="#g">Beispiel:</hi> </p> <lb n="p1b_345.019"/> <lg> <l>„Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege?</l> <lb n="p1b_345.020"/> <l>Dich, treuste der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge.</l> <lb n="p1b_345.021"/> <l>Ja! mähst du die Wiese mir ab von jetzt in drei Tagen,</l> <lb n="p1b_345.022"/> <l>Nicht dürft' ich den Sohn dir, den einzigen, länger versagen.“</l> </lg> <lb n="p1b_345.023"/> <p> <hi rendition="#right">(Uhland, Die Mähderin.)</hi> </p> </div> <div n="4"> <p><lb n="p1b_345.024"/> 6. Sechstaktige anapästische Verse (anapästische Sechstakter).</p> <p><lb n="p1b_345.025"/> Der daktylische Hexameter mit fallendem Rhythmus wird zum <lb n="p1b_345.026"/> anapästischen Hexameter mit steigendem Rhythmus, wenn er einen Auftakt <lb n="p1b_345.027"/> erhält. Von sämmtlichen derartigen Bildungen nimmt Ewald <lb n="p1b_345.028"/> Christian <hi rendition="#g">von Kleists</hi> Frühling eine hervorragende Stelle ein.</p> <p> <lb n="p1b_345.029"/> <hi rendition="#g">Beispiel:</hi> </p> <lb n="p1b_345.030"/> <lg> <l>Die Luft ward sanfter; ein Teppich mit wilder Kühnheit aus Stauden</l> <lb n="p1b_345.031"/> <l>Und Blumen und Saaten gewebt, bekleidete Thäler und Hügel,</l> <lb n="p1b_345.032"/> <l>Nun fielen Schatten vom Buchbaum herab; harmonische Lieder</l> <lb n="p1b_345.033"/> <l>Erfüllten den dämmernden Hain. Die Sonne beschaute die Bäche;</l> <lb n="p1b_345.034"/> <l>Die Bäche führeten Funken. 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Zīn-<metamark function="metEmph" place="superlinear">⏑</metamark>-<metamark function="metEmph" place="superlinear">⏑</metamark>kēn). Manche Gelehrte haben seine </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0379]
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(Die beiden dreigliedrigen Perioden dieser Strophe schließen je mit einem p1b_345.002
katalektischen Viertakter ab.)
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Sie haben das Herz aus der Brust mir genommen, p1b_345.004
Und haben's gelegt in ein Grab, p1b_345.005
Das Leben ist mir abhanden gekommen, p1b_345.006
Es ist mir gegangen hinab.
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b. Anapästensystem.
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Es wütet der Sturm mit entsetzlicher Macht p1b_345.009
Die Windmühl schwankt, das Gebälk erkracht, p1b_345.010
Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.)
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Zerschellt ist der Mühle zerbrechlicher Bau, p1b_345.012
Und Wogen von Sand bedecken die Au', p1b_345.013
Hilf, Himmel, erbarme dich unser! (Schlußvers.)
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(Chamisso.)
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5. Fünftaktige anapästische Verse (anapästische Fünftakter).
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Der fünftaktige Anapäst findet sich in unserer Litteratur nur selten. p1b_345.017
Er hat meist hyperkatalektischen Schluß.
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Beispiel:
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„Guten Morgen, Marie! so frühe schon rüstig und rege? p1b_345.020
Dich, treuste der Mägde, dich machet die Liebe nicht träge. p1b_345.021
Ja! mähst du die Wiese mir ab von jetzt in drei Tagen, p1b_345.022
Nicht dürft' ich den Sohn dir, den einzigen, länger versagen.“
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(Uhland, Die Mähderin.)
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6. Sechstaktige anapästische Verse (anapästische Sechstakter).
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Der daktylische Hexameter mit fallendem Rhythmus wird zum p1b_345.026
anapästischen Hexameter mit steigendem Rhythmus, wenn er einen Auftakt p1b_345.027
erhält. Von sämmtlichen derartigen Bildungen nimmt Ewald p1b_345.028
Christian von Kleists Frühling eine hervorragende Stelle ein.
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Beispiel:
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Die Luft ward sanfter; ein Teppich mit wilder Kühnheit aus Stauden p1b_345.031
Und Blumen und Saaten gewebt, bekleidete Thäler und Hügel, p1b_345.032
Nun fielen Schatten vom Buchbaum herab; harmonische Lieder p1b_345.033
Erfüllten den dämmernden Hain. Die Sonne beschaute die Bäche; p1b_345.034
Die Bäche führeten Funken. Gerüche flossen im Luftraum; p1b_345.035
Und jeden schlafenden Nachhall erweckte die Flöte der Hirten.
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(Aus Kleists Frühling.)
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7. Siebentaktige anapästische Verse (anapästische Siebentakter).
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Häufige Verwendung in der poetischen Litteratur fand der hyperkatalektische p1b_345.039
siebentaktige Anapäst, den man als achttaktigen katalektischen p1b_345.040
Anapäst ─ als den sog. aristophanischen Tetrameter ─ p1b_345.041
auffassen kann, und dies besonders dann, wenn die Hebung des siebenten p1b_345.042
Takts unter Hinzurechnung der Pause über die beiden Thesen des p1b_345.043
achten Takts hinüber angehalten wird, so daß die letzte Silbe wieder p1b_345.044
in die Arsis kommt (z. B. Zīn-⏑-⏑kēn). Manche Gelehrte haben seine
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