p1b_221.001 diese halbrichtige antike Metrik nicht unmittelbar auf uns gekommen. Sie p1b_221.002 durchlief den Weg der römischen Dilettanten und Nachahmer. Diese waren die p1b_221.003 Muster des Mittelalters und gaben jener trostlosesten Epoche, welche Homer p1b_221.004 weit unter Virgil stellte, ihre Bildung. Jordan ruft aus: Wir haben uns p1b_221.005 allmählich an die Ungeheuerlichkeit der Wortstellung der römischen Dichter gewöhnt; p1b_221.006 man hat es uns so lange eingetrichtert, sie sei schön, bis wir daran p1b_221.007 glaubten. - Wir fügen hinzu: Wie sich der weiter gebildete ästhetische Sinn p1b_221.008 über die Gewöhnung an's Hergebrachte, und über die Autorität emporschwingt, p1b_221.009 so wird er sich endlich auch von den Abstraktionen der antiken Metriken emancipieren, p1b_221.010 - ja, er hat sich bereits davon losgerungen!
p1b_221.011 Wenn es wahr ist, was ein gewiegter Sprachforscher behauptet, daß es p1b_221.012 im Anfang unserer Sprache nur die drei einfachen Vokale i, a, uneben p1b_221.013 nur einfachen Konsonanten gegeben habe und Doppelkonsonanten p1b_221.014 wie Doppelvokale &c. erst später durch Silbenzusammenziehung entstanden seien, p1b_221.015 so ist schon dadurch bewiesen, daß ursprünglich von Quantität keine Rede sein p1b_221.016 konnte, dieselbe vielmehr erst später als etwas Künstliches aufkam. Jedenfalls p1b_221.017 entwickelten sich zuerst die allgemein musikalischen Gesetze: die phonetischen, p1b_221.018 melodischen, rhythmischen.
p1b_221.019 § 68. Accent und Quantität im Althochdeutschen.
p1b_221.020 1. Jm Althochdeutschen wurde neben dem Accente auch noch der p1b_221.021 Quantität eine gewisse Rücksichtnahme gewidmet.
p1b_221.022 2. Schon die Allitteration und die Assonanz beweisen das accentuierende p1b_221.023 Princip. Dasselbe erhielt gesteigerte Pflege durch Einführung p1b_221.024 des Reims und die damit verbundene Berücksichtigung der durch den p1b_221.025 Reim ausgezeichneten Silben.
p1b_221.026 1. Wenn im Althochdeutschen die hochtonige Silbe infolge ihres Vokals p1b_221.027 oder infolge der Position lang war, so kam wegen dieser Länge der nächste p1b_221.028 schwere Accent schon auf die nächstfolgende Silbe (z. B. ni giskeide; oder p1b_221.029 skalkon und werkon); wenn sie kurz war, so kam der Accent auf die zweitfolgende p1b_221.030 Silbe (z. B. sagene und klagene in den Nibelungen). Solche Wörter p1b_221.031 mochten geklungen haben wie die künstlichen Längen in den humoristischen p1b_221.032 Dichtungen Eichrodts, der z. B. im Hortus deliciarum reimt:
p1b_221.033
Also stehts im Buche Genesis,p1b_221.034 Das wir lesen, weil so schön es is,p1b_221.035 Wenn auch drin Kapitel stehnp1b_221.036 Mehr für die Erwachsenen.
p1b_221.037 Bei den Versen im Althochdeutschen, die oft mit einem Auftakt (Anakrusis) p1b_221.038 begannen, wurde nur nach Hebungen skandiert und konnten daher - wie obige p1b_221.039 Beispiele ersehen lassen - die Senkungen sogar einmal ganz fehlen. Wir
p1b_221.001 diese halbrichtige antike Metrik nicht unmittelbar auf uns gekommen. Sie p1b_221.002 durchlief den Weg der römischen Dilettanten und Nachahmer. Diese waren die p1b_221.003 Muster des Mittelalters und gaben jener trostlosesten Epoche, welche Homer p1b_221.004 weit unter Virgil stellte, ihre Bildung. Jordan ruft aus: Wir haben uns p1b_221.005 allmählich an die Ungeheuerlichkeit der Wortstellung der römischen Dichter gewöhnt; p1b_221.006 man hat es uns so lange eingetrichtert, sie sei schön, bis wir daran p1b_221.007 glaubten. ─ Wir fügen hinzu: Wie sich der weiter gebildete ästhetische Sinn p1b_221.008 über die Gewöhnung an's Hergebrachte, und über die Autorität emporschwingt, p1b_221.009 so wird er sich endlich auch von den Abstraktionen der antiken Metriken emancipieren, p1b_221.010 ─ ja, er hat sich bereits davon losgerungen!
p1b_221.011 Wenn es wahr ist, was ein gewiegter Sprachforscher behauptet, daß es p1b_221.012 im Anfang unserer Sprache nur die drei einfachen Vokale i, a, uneben p1b_221.013 nur einfachen Konsonanten gegeben habe und Doppelkonsonanten p1b_221.014 wie Doppelvokale &c. erst später durch Silbenzusammenziehung entstanden seien, p1b_221.015 so ist schon dadurch bewiesen, daß ursprünglich von Quantität keine Rede sein p1b_221.016 konnte, dieselbe vielmehr erst später als etwas Künstliches aufkam. Jedenfalls p1b_221.017 entwickelten sich zuerst die allgemein musikalischen Gesetze: die phonetischen, p1b_221.018 melodischen, rhythmischen.
p1b_221.019 § 68. Accent und Quantität im Althochdeutschen.
p1b_221.020 1. Jm Althochdeutschen wurde neben dem Accente auch noch der p1b_221.021 Quantität eine gewisse Rücksichtnahme gewidmet.
p1b_221.022 2. Schon die Allitteration und die Assonanz beweisen das accentuierende p1b_221.023 Princip. Dasselbe erhielt gesteigerte Pflege durch Einführung p1b_221.024 des Reims und die damit verbundene Berücksichtigung der durch den p1b_221.025 Reim ausgezeichneten Silben.
p1b_221.026 1. Wenn im Althochdeutschen die hochtonige Silbe infolge ihres Vokals p1b_221.027 oder infolge der Position lang war, so kam wegen dieser Länge der nächste p1b_221.028 schwere Accent schon auf die nächstfolgende Silbe (z. B. ní gískeíde; oder p1b_221.029 skálkón und wérkón); wenn sie kurz war, so kam der Accent auf die zweitfolgende p1b_221.030 Silbe (z. B. ságené und klágené in den Nibelungen). Solche Wörter p1b_221.031 mochten geklungen haben wie die künstlichen Längen in den humoristischen p1b_221.032 Dichtungen Eichrodts, der z. B. im Hortus deliciarum reimt:
p1b_221.033
Also stehts im Buche Genesīs,p1b_221.034 Das wir lesen, weil so schön es īs,p1b_221.035 Wenn auch drin Kapitel stēhnp1b_221.036 Mehr für die Erwāchsenēn.
p1b_221.037 Bei den Versen im Althochdeutschen, die oft mit einem Auftakt (Anakrusis) p1b_221.038 begannen, wurde nur nach Hebungen skandiert und konnten daher ─ wie obige p1b_221.039 Beispiele ersehen lassen ─ die Senkungen sogar einmal ganz fehlen. Wir
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weit unter Virgil stellte, ihre Bildung. Jordan ruft aus: Wir haben uns p1b_221.005
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so wird er sich endlich auch von den Abstraktionen der antiken Metriken emancipieren, p1b_221.010
─ ja, er hat sich bereits davon losgerungen!
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melodischen, rhythmischen.
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§ 68. Accent und Quantität im Althochdeutschen. p1b_221.020
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Quantität eine gewisse Rücksichtnahme gewidmet.
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skálkón und wérkón); wenn sie kurz war, so kam der Accent auf die zweitfolgende p1b_221.030
Silbe (z. B. ságené und klágené in den Nibelungen). Solche Wörter p1b_221.031
mochten geklungen haben wie die künstlichen Längen in den humoristischen p1b_221.032
Dichtungen Eichrodts, der z. B. im Hortus deliciarum reimt:
p1b_221.033
Also stehts im Buche Genesīs, p1b_221.034
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Wenn auch drin Kapitel stēhn p1b_221.036
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p1b_221.037
Bei den Versen im Althochdeutschen, die oft mit einem Auftakt (Anakrusis) p1b_221.038
begannen, wurde nur nach Hebungen skandiert und konnten daher ─ wie obige p1b_221.039
Beispiele ersehen lassen ─ die Senkungen sogar einmal ganz fehlen. Wir
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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