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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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die Tropen, denen wir den Fortschritt in der geistigen Anschauung und im p1b_149.002
geistigen Leben der Völker danken. Als das Bedürfnis nach neuen Wörtern, p1b_149.003
Begriffen und Ausdrücken längst befriedigt war, blieb doch der Drang zur p1b_149.004
Metaphernbildung bestehen. [Annotation]

"Die Phantasie vergnügt sich an ihrem Spiele, p1b_149.005
das Ähnliche mit dem Ähnlichen zu vertauschen, dem bloß Sinnlichen eine p1b_149.006
Seele, dem bloß Geistigen einen Körper zu geben; sie schwelgt in dem Kraftgefühle, p1b_149.007
das sich in diesem souveränen Beherrschen der Gegenstände, der Außen= p1b_149.008
und Jnnenwelt kund giebt, und weidet sich an ihrer eigenen Schönheit, die ihr p1b_149.009
im Spiele mit der Mannigfaltigkeit und Schönheit der Welt zum Bewußtsein p1b_149.010
kommt" (Brinkmann). [Annotation] Nur einzelne Tropen gingen dauernd in den Sprachschatz p1b_149.011
über; die übrigen blieben Eigentum ihrer Erfinder und wurden der p1b_149.012
Sprache nie geläufig.

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Cicero (de orat. III. 38) meint über den Ursprung der Tropen, daß p1b_149.014
die Übertragung der Wörter (Wendung derselben) erst aus Not geschah, dann p1b_149.015
aber des Schmuckes willen erst weiter ausgebildet worden sei, ähnlich wie p1b_149.016
die Kleider erst zur Abwehr der Kälte erfunden wurden, um sodann zur p1b_149.017
Erhöhung der Schönheit und Würde der menschlichen Erscheinung verwendet p1b_149.018
zn werden.

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Jn Übereinstimmung damit muß anerkannt werden, daß, je höher ein p1b_149.020
Volk in seiner Bildung steigt, je mehr geistige Gebiete es beherrscht, und je p1b_149.021
umfassender sein geistiges Gesichtsfeld wird, ein desto reicherer Bilderschmuck p1b_149.022
seiner Sprache erblüht. Für uns Deutsche fällt z. B. die Wahrnehmung in p1b_149.023
die Augen, daß seit der Erfindung der Buchdruckerkunst, seit der Kirchenreformation, p1b_149.024
seit dem Erwachen des Humanismus &c. die Rinde der erstarrten p1b_149.025
Sprache brach und die Regsamkeit auf allen geistigen Gebieten wie die milde p1b_149.026
Frühlingswärme unserer Sprache unendliche Bilder schuf.

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2. Jn den Tropen und Figuren zeigt sich ebenso der Charakter des p1b_149.028
Schriftstellers und seiner Nation wie der Geist und die Poesie der Sprache. p1b_149.029
Vor Allem spiegeln sie die Lieblingsvorstellungen eines Volks ab. [Annotation]

Die kriegerischen p1b_149.030
Römer haben beispielsweise viele Metaphern mit schlagen, brechen, p1b_149.031
treten
gebildet, aus denen ihr kriegerischer Geist hervorleuchtet; die Attiker p1b_149.032
haben, selbst in der Tragödie, viele Metaphern der Schiffahrt entlehnt; die p1b_149.033
Spanier sind reich an Metaphern, die ihren Stolz, ihre Ritterlichkeit, ihr p1b_149.034
Kirchentum beweisen u. s. w. [Annotation] "Die ganze Außenwelt des Menschen, die organische p1b_149.035
und unorganische Natur, die Tiere und Pflanzen, Berg und Thal, Land und p1b_149.036
Meer, Luft, Wind und Regen, Sonne, Mond und Sterne, - alles wirft p1b_149.037
ein mehr oder weniger deutliches Bild in den Spiegel der Tropen; ganz p1b_149.038
besonders aber der Mensch
und das menschliche Leben selbst, Staat p1b_149.039
und Kirche, Wissenschaft und Kunst, die politische und Kulturgeschichte, das p1b_149.040
sociale Leben, das Privatleben mit seinen Sitten und Gebräuchen, der Mensch mit p1b_149.041
seinen eigentümlichen Charakteren als Glied eines bestimmten Volks und Staats, p1b_149.042
d. h. der Volkscharakter und der Mensch als solcher, d. h. die Anthropologie." p1b_149.043
(Brinkmann.) [Annotation] Jn den Tropen der Sprache spricht sich die Natur des Menschen p1b_149.044
und das ganze, mannigfaltig gestaltete, menschliche Leben aus. Jn den

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/183>, abgerufen am 28.11.2024.