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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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treten und die Lebendigkeit der Vorstellung schwinden würde. Wohl aber muß p1b_138.002
in der poetischen Sprache das unsinnliche Bild durch verwandte, sinnlich ausschmückende p1b_138.003
Momente der Anschauung nahe gebracht und belebt werden. Am p1b_138.004
meisten wahrt sich die Sprache des Volks in der Jugendzeit im Beiwort die p1b_138.005
sinnliche Anschauung, und bleibt daher poetisch. Deshalb schöpft die p1b_138.006
poetische Sprache zur Wahrung anschaulicher Glut und Sinnlichkeit p1b_138.007
so gern aus der Volkssprache.
Deshalb wird auch die Volkssprache jederzeit p1b_138.008
der belebende Quell bleiben, der die vertrocknenden Poesiegärten frisch und p1b_138.009
in Blüte erhält.

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Das Recht, gute Epitheta zu gebrauchen, beansprucht schon Opitz für den p1b_138.011
Dichter, indem er sagt: "Neue Wörter, welche gemeiniglich Epitheta und aus p1b_138.012
andern Wörtern zusammengesetzt sind, zu erdenken, ist Poeten nicht allein p1b_138.013
erlaubet, sondern macht auch den Gedichten, wenn es mäßig geschieht, eine p1b_138.014
sonderliche Anmutigkeit. Als wenn ich die Nacht oder die Musik eine Arbeittrösterin, p1b_138.015
eine Kummerwenderin, die Bellona mit einem dreifachen Worte kriegsblutdürstig p1b_138.016
u. s. f. nenne. Jtem den Nordwind einen Wolkentreiber, einen p1b_138.017
Felsenstürmer und Meeraufreizer u. s. w."

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Der vorbildliche Meister im ausschmückenden Beiwort ist Homer, dessen p1b_138.019
wohlumschiente Achaier, ferntreffende Pfeile, wohlverschlossene Köcher, p1b_138.020
weithinschattende Lanze, purpurschimmernder Mantel, langhinstreckender p1b_138.021
Tod, göttergleicher, erfindungsreicher Odysseus, bogenberühmter p1b_138.022
Apollon, erzlastender Stachel, silbergebuckelte Schwerter, mordendes Erz, p1b_138.023
pfadloses Meer, erdaufwühlende Schweine, feistgenährter Eber, herzeinnehmende p1b_138.024
Gattin, - einen jeden Gebildeten an das ewige Meer farbenreicher, p1b_138.025
mit einem einzigen Farbenton malender Attributive des unsterblichen p1b_138.026
Epikers erinnern. (Vgl. noch Jlias 4, 126. 11, 574. 15, 542.) Die p1b_138.027
Gräkuli unter den Dichtern des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des p1b_138.028
19. Jahrhunderts waren die Nachahmer Homers, bis unsere deutschen Klassiker p1b_138.029
auftraten. Diese haben keineswegs das Vorbild Homer unbeachtet gelassen, p1b_138.030
aber sie haben mehr als Homer auch das abstrakte Beiwort gepflegt und verwertet. p1b_138.031
Jch erinnere an Schiller, indem ich eine beliebige Strophe auswähle:

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Vers 1.Ehret die Frauen, sie flechten und weben p1b_138.033
Himmlische Rosen in's irdische Leben, p1b_138.034
Flechten der Liebe beglückendes Band, p1b_138.035
Und in der Grazie züchtigem Schleier p1b_138.036
Nähren sie wachsam das ewige Feuer p1b_138.037
Schöner Gefühle mit heiliger Hand.
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Vers 2.Dich auch grüß ich, belebte Flur, euch, säuselnde Linden, p1b_138.039
Und den fröhlichen Chor, der auf den Ästen sich wiegt &c.
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(Aus d. Spaziergang.)

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2. Vergleicht man die romantischen, orientalischen und modernen Lyriker, p1b_138.042
so möchte man behaupten, daß sich in vielen Fällen schon an den Beiwörtern p1b_138.043
der Dichter erkennen läßt. Heine liebt Beiwörter, die seinen Substantiven p1b_138.044
Glanz und Charakter verleihen. Jch wähle zum Beleg eine Stelle aus dem p1b_138.045
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treten und die Lebendigkeit der Vorstellung schwinden würde. Wohl aber muß p1b_138.002
in der poetischen Sprache das unsinnliche Bild durch verwandte, sinnlich ausschmückende p1b_138.003
Momente der Anschauung nahe gebracht und belebt werden. Am p1b_138.004
meisten wahrt sich die Sprache des Volks in der Jugendzeit im Beiwort die p1b_138.005
sinnliche Anschauung, und bleibt daher poetisch. Deshalb schöpft die p1b_138.006
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Deshalb wird auch die Volkssprache jederzeit p1b_138.008
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in Blüte erhält.

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Das Recht, gute Epitheta zu gebrauchen, beansprucht schon Opitz für den p1b_138.011
Dichter, indem er sagt: „Neue Wörter, welche gemeiniglich Epitheta und aus p1b_138.012
andern Wörtern zusammengesetzt sind, zu erdenken, ist Poeten nicht allein p1b_138.013
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Felsenstürmer und Meeraufreizer u. s. w.“

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Der vorbildliche Meister im ausschmückenden Beiwort ist Homer, dessen p1b_138.019
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(Aus d. Spaziergang.)

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2. Vergleicht man die romantischen, orientalischen und modernen Lyriker, p1b_138.042
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/172>, abgerufen am 25.11.2024.