Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_109.001 p1b_109.004 Gedichte sind gemalte Fensterscheiben! p1b_109.006 Sieht man vom Markt in die Kirche hinein, p1b_109.007 Da ist alles dunkel und düster; p1b_109.008 Und so sieht's auch der Herr Philister: p1b_109.009 Der mag denn wohl verdrießlich sein p1b_109.010 Und lebenslang verdrießlich bleiben. p1b_109.011 p1b_109.018Kommt aber nur einmal herein! p1b_109.012 Begrüßt die heilige Kapelle; p1b_109.013 Da ist's auf einmal farbig helle, p1b_109.014 Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle, p1b_109.015 Bedeutend wirkt ein edler Schein; p1b_109.016 Dies wird euch Kindern Gottes taugen, p1b_109.017 Erbaut euch und ergötzt die Augen! (Goethe.) p1b_109.019 p1b_109.020 p1b_109.023 p1b_109.025 p1b_109.026 Der Tanz von Schiller. p1b_109.028Vers 1Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare p1b_109.029 p1b_109.033Drehen! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß. p1b_109.030 Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes? p1b_109.031 Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reih'n? p1b_109.032 Wie, vom Zephyr gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt, Vers 5 Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut, p1b_109.034 p1b_109.038Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge; p1b_109.035 Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib. p1b_109.036 Jetzt, als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes, p1b_109.037 Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn. Vers 10Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet, p1b_109.039 p1b_109.043Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg. p1b_109.040 Sieh! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander p1b_109.041 Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt. p1b_109.042 Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich; Vers 15 Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her. p1b_109.044
Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung, p1b_109.045 Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel. p1b_109.001 p1b_109.004 Gedichte sind gemalte Fensterscheiben! p1b_109.006 Sieht man vom Markt in die Kirche hinein, p1b_109.007 Da ist alles dunkel und düster; p1b_109.008 Und so sieht's auch der Herr Philister: p1b_109.009 Der mag denn wohl verdrießlich sein p1b_109.010 Und lebenslang verdrießlich bleiben. p1b_109.011 p1b_109.018Kommt aber nur einmal herein! p1b_109.012 Begrüßt die heilige Kapelle; p1b_109.013 Da ist's auf einmal farbig helle, p1b_109.014 Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle, p1b_109.015 Bedeutend wirkt ein edler Schein; p1b_109.016 Dies wird euch Kindern Gottes taugen, p1b_109.017 Erbaut euch und ergötzt die Augen! (Goethe.) p1b_109.019 p1b_109.020 p1b_109.023 p1b_109.025 p1b_109.026 Der Tanz von Schiller. p1b_109.028Vers 1Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare p1b_109.029 p1b_109.033Drehen! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß. p1b_109.030 Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes? p1b_109.031 Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reih'n? p1b_109.032 Wie, vom Zephyr gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt, Vers 5 Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut, p1b_109.034 p1b_109.038Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge; p1b_109.035 Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib. p1b_109.036 Jetzt, als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes, p1b_109.037 Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn. Vers 10Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet, p1b_109.039 p1b_109.043Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg. p1b_109.040 Sieh! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander p1b_109.041 Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt. p1b_109.042 Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich; Vers 15 Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her. p1b_109.044
Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung, p1b_109.045 Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0143" n="109"/> <p><lb n="p1b_109.001"/> Sie vermeidet den <hi rendition="#g">pretiösen Stil</hi> (von <hi rendition="#aq">pretium</hi>, vgl. Moli<hi rendition="#aq">è</hi>res <lb n="p1b_109.002"/> Lustspiel »<hi rendition="#aq">Les précieuses ridicules</hi>«, welches das Pretiöse und Affektierte geißelt), <lb n="p1b_109.003"/> der besonderen Wert aufs Affektierte legt.</p> <p> <lb n="p1b_109.004"/> <hi rendition="#g">Beispiel von Natürlichkeit.</hi> </p> <lb n="p1b_109.005"/> <lg> <l>Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!</l> <lb n="p1b_109.006"/> <l> Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,</l> <lb n="p1b_109.007"/> <l> Da ist alles dunkel und düster;</l> <lb n="p1b_109.008"/> <l> Und so sieht's auch der Herr Philister:</l> <lb n="p1b_109.009"/> <l> Der mag denn wohl verdrießlich sein</l> <lb n="p1b_109.010"/> <l> Und lebenslang verdrießlich bleiben. </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_109.011"/> <l>Kommt aber nur einmal herein!</l> <lb n="p1b_109.012"/> <l> Begrüßt die heilige Kapelle;</l> <lb n="p1b_109.013"/> <l> Da ist's auf einmal farbig helle,</l> <lb n="p1b_109.014"/> <l> Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle,</l> <lb n="p1b_109.015"/> <l> Bedeutend wirkt ein edler Schein;</l> <lb n="p1b_109.016"/> <l> Dies wird euch Kindern Gottes taugen,</l> <lb n="p1b_109.017"/> <l> Erbaut euch und ergötzt die Augen!</l> </lg> <lb n="p1b_109.018"/> <p> <hi rendition="#right">(Goethe.)</hi> </p> </div> <div n="4"> <p><lb n="p1b_109.019"/> 4. Mannigfaltigkeit und Einheit. Symmetrie.</p> <p><lb n="p1b_109.020"/> Die Mannigfaltigkeit verlangt, daß <hi rendition="#g">alle</hi> Teile einer Dichtung <lb n="p1b_109.021"/> an sich einen vollendeten Eindruck machen, also beim strophischen Gedicht <lb n="p1b_109.022"/> jede Strophe, im weiteren Sinne jeder Vers.</p> <p><lb n="p1b_109.023"/> Die Einheit fordert die Beziehung und Verbindung der Teile zu <lb n="p1b_109.024"/> einem geschlossenen, organischen, harmonischen Ganzen.</p> <p><lb n="p1b_109.025"/> Die Symmetrie erheischt freie Regelmäßigkeit.</p> <p> <lb n="p1b_109.026"/> <hi rendition="#g">Probe der Einheit und der Mannigfaltigkeit:</hi> </p> <lb n="p1b_109.027"/> <p> <hi rendition="#c">Der Tanz von Schiller.</hi> </p> <lb n="p1b_109.028"/> <lg> <l n="1">Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare</l> <lb n="p1b_109.029"/> <l> Drehen! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß.</l> <lb n="p1b_109.030"/> <l>Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes?</l> <lb n="p1b_109.031"/> <l> Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reih'n?</l> <lb n="p1b_109.032"/> <l>Wie, vom Zephyr gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt,</l> </lg> <lb n="p1b_109.033"/> <lg> <l n="5"> Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut,</l> <lb n="p1b_109.034"/> <l>Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge;</l> <lb n="p1b_109.035"/> <l> Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib.</l> <lb n="p1b_109.036"/> <l>Jetzt, als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes,</l> <lb n="p1b_109.037"/> <l> Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn.</l> </lg> <lb n="p1b_109.038"/> <lg> <l n="10">Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet,</l> <lb n="p1b_109.039"/> <l> Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg.</l> <lb n="p1b_109.040"/> <l>Sieh! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander</l> <lb n="p1b_109.041"/> <l> Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt.</l> <lb n="p1b_109.042"/> <l>Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich;</l> </lg> <lb n="p1b_109.043"/> <lg> <l n="15"> Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her.</l> <lb n="p1b_109.044"/> <l>Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung,</l> <lb n="p1b_109.045"/> <l> Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0143]
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Sie vermeidet den pretiösen Stil (von pretium, vgl. Molières p1b_109.002
Lustspiel »Les précieuses ridicules«, welches das Pretiöse und Affektierte geißelt), p1b_109.003
der besonderen Wert aufs Affektierte legt.
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Beispiel von Natürlichkeit.
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Gedichte sind gemalte Fensterscheiben! p1b_109.006
Sieht man vom Markt in die Kirche hinein, p1b_109.007
Da ist alles dunkel und düster; p1b_109.008
Und so sieht's auch der Herr Philister: p1b_109.009
Der mag denn wohl verdrießlich sein p1b_109.010
Und lebenslang verdrießlich bleiben.
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Kommt aber nur einmal herein! p1b_109.012
Begrüßt die heilige Kapelle; p1b_109.013
Da ist's auf einmal farbig helle, p1b_109.014
Geschicht und Zierat glänzt in Schnelle, p1b_109.015
Bedeutend wirkt ein edler Schein; p1b_109.016
Dies wird euch Kindern Gottes taugen, p1b_109.017
Erbaut euch und ergötzt die Augen!
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(Goethe.)
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4. Mannigfaltigkeit und Einheit. Symmetrie.
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Die Mannigfaltigkeit verlangt, daß alle Teile einer Dichtung p1b_109.021
an sich einen vollendeten Eindruck machen, also beim strophischen Gedicht p1b_109.022
jede Strophe, im weiteren Sinne jeder Vers.
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Die Einheit fordert die Beziehung und Verbindung der Teile zu p1b_109.024
einem geschlossenen, organischen, harmonischen Ganzen.
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Die Symmetrie erheischt freie Regelmäßigkeit.
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Probe der Einheit und der Mannigfaltigkeit:
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Der Tanz von Schiller.
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Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare p1b_109.029
Drehen! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß. p1b_109.030
Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes? p1b_109.031
Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reih'n? p1b_109.032
Wie, vom Zephyr gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt,
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Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut, p1b_109.034
Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge; p1b_109.035
Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib. p1b_109.036
Jetzt, als wollt es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes, p1b_109.037
Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn.
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Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet, p1b_109.039
Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg. p1b_109.040
Sieh! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander p1b_109.041
Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt. p1b_109.042
Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt sich;
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Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her. p1b_109.044
Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung, p1b_109.045
Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel.
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