p1b_087.001 Schöpfung seines Gesetzbuches charakteristische Färbung und Anlage wie Ausführung p1b_087.002 erhalten. Vgl. Platos spartanische Republik, sowie römische und neudeutsche p1b_087.003 Gesetzgebung.)
p1b_087.004 2. Der Geschmack.
p1b_087.005 Die durch Bildung erworbene richtige Empfänglichkeit und Neigung p1b_087.006 des Geistes für das Schöne in seiner charakteristischen Form, sowie p1b_087.007 die auf jene Empfänglichkeit sich gründende Art zu fühlen, zu denken p1b_087.008 und zu handeln ist der ästhetische Geschmack. Schaut man das charakteristisch p1b_087.009 Schöne als Sinnenwesen an, so sichert ihm das harmonische p1b_087.010 Hinüberfließen seiner Wesenheit in das beschauende Subjekt den Namen p1b_087.011 der Anmut, der Grazie, - oder bei geringem Stoffteile: der Zierlichkeit p1b_087.012 und Niedlichkeit.
p1b_087.013 Die Grundgesetze des Empfindens zeigen, daß die richtige Empfindung p1b_087.014 nicht willkürlich oder zufällig, daß sie vielmehr als ein Resultat der eigenartigen p1b_087.015 Eindrücke, Erlebnisse und der Bildung des Einzelnen von seiner subjektiven p1b_087.016 Eigentümlichkeit abhängig ist. Der Geschmack wird durch Eindrücke, durch p1b_087.017 Wissen, durch Lebendigmachung der ästhetischen Urteilskraft veredelt. Also darf p1b_087.018 man recht wohl von Bildung des Geschmacks sprechen, und es kann die p1b_087.019 Ansicht von angeborenem Geschmack als überwundene philosophische Anschauung p1b_087.020 gern über Bord geworfen werden. Der gute Geschmack ist ein Bildungsresultat, ein p1b_087.021 durch Erfahrung geübtes Empfinden und Urteilen, wenn er auch ursprünglichp1b_087.022 ein unbewußtes Urteilen über das war, was dem Schönheitsprinzip entspricht p1b_087.023 (oder um mit Quintilian, Inst. or. VIII. 3 zu reden quaedam non tam p1b_087.024 ratione quam sensu judicantur). Die Jdentitätsphilosophen behaupteten: p1b_087.025 Der Mensch schaue alles Schöne an den Gegenstand hinan, in welcher Beziehung p1b_087.026 die Objekte nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung des subjektiven p1b_087.027 Geistes schön wären und das Naturschöne zum Reflex des Geistigschönen p1b_087.028 sinken würde. Aber unser Geist ist ja nur der Spiegel der Welt, nicht p1b_087.029 ihr Hervorbringer. Die ästhetische Grundstimmung des das Schöne genießenden p1b_087.030 Gebildeten ist reines Wohlgefallen, d. h. ein solches, welches p1b_087.031 nicht reizt, wie z. B. sinnlich Aufregendes, sinnlich üppige Figuren, sinnliche p1b_087.032 Musik &c., sondern welches sinnliches Jnteresse ausschließt. Der Geschmack bezieht p1b_087.033 sich nicht auf die freie, d. h. absolute Schönheit, sondern auf die charakteristische, p1b_087.034 anhängende. Das freie oder absolute Schöne, welches weder p1b_087.035 von nationalen noch geschichtlichen Bedingungen abhängig ist, gefällt Allen, sofern p1b_087.036 sie nicht fehlerhaft organisiert sind oder allzuwenig Anschauungen und Spuren p1b_087.037 des Schönen in sich aufgenommen haben; das anhängende, charakteristische p1b_087.038 Schöne erfordert Geschmacksbildung.
p1b_087.039 Der gebildete Geschmack nennt das Jdeale, das von Manier freie, lebensfähige p1b_087.040 Stilvolle, das dem allgemeinen gebildeten Menschengeist zusagende Mustergültige p1b_087.041 von bleibendem Werte, sofern es von höchster genialer Kraft und p1b_087.042 Leistungsfähigkeit zeugt:
p1b_087.001 Schöpfung seines Gesetzbuches charakteristische Färbung und Anlage wie Ausführung p1b_087.002 erhalten. Vgl. Platos spartanische Republik, sowie römische und neudeutsche p1b_087.003 Gesetzgebung.)
p1b_087.004 2. Der Geschmack.
p1b_087.005 Die durch Bildung erworbene richtige Empfänglichkeit und Neigung p1b_087.006 des Geistes für das Schöne in seiner charakteristischen Form, sowie p1b_087.007 die auf jene Empfänglichkeit sich gründende Art zu fühlen, zu denken p1b_087.008 und zu handeln ist der ästhetische Geschmack. Schaut man das charakteristisch p1b_087.009 Schöne als Sinnenwesen an, so sichert ihm das harmonische p1b_087.010 Hinüberfließen seiner Wesenheit in das beschauende Subjekt den Namen p1b_087.011 der Anmut, der Grazie, ─ oder bei geringem Stoffteile: der Zierlichkeit p1b_087.012 und Niedlichkeit.
p1b_087.013 Die Grundgesetze des Empfindens zeigen, daß die richtige Empfindung p1b_087.014 nicht willkürlich oder zufällig, daß sie vielmehr als ein Resultat der eigenartigen p1b_087.015 Eindrücke, Erlebnisse und der Bildung des Einzelnen von seiner subjektiven p1b_087.016 Eigentümlichkeit abhängig ist. Der Geschmack wird durch Eindrücke, durch p1b_087.017 Wissen, durch Lebendigmachung der ästhetischen Urteilskraft veredelt. Also darf p1b_087.018 man recht wohl von Bildung des Geschmacks sprechen, und es kann die p1b_087.019 Ansicht von angeborenem Geschmack als überwundene philosophische Anschauung p1b_087.020 gern über Bord geworfen werden. Der gute Geschmack ist ein Bildungsresultat, ein p1b_087.021 durch Erfahrung geübtes Empfinden und Urteilen, wenn er auch ursprünglichp1b_087.022 ein unbewußtes Urteilen über das war, was dem Schönheitsprinzip entspricht p1b_087.023 (oder um mit Quintilian, Inst. or. VIII. 3 zu reden quaedam non tam p1b_087.024 ratione quam sensu judicantur). Die Jdentitätsphilosophen behaupteten: p1b_087.025 Der Mensch schaue alles Schöne an den Gegenstand hinan, in welcher Beziehung p1b_087.026 die Objekte nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung des subjektiven p1b_087.027 Geistes schön wären und das Naturschöne zum Reflex des Geistigschönen p1b_087.028 sinken würde. Aber unser Geist ist ja nur der Spiegel der Welt, nicht p1b_087.029 ihr Hervorbringer. Die ästhetische Grundstimmung des das Schöne genießenden p1b_087.030 Gebildeten ist reines Wohlgefallen, d. h. ein solches, welches p1b_087.031 nicht reizt, wie z. B. sinnlich Aufregendes, sinnlich üppige Figuren, sinnliche p1b_087.032 Musik &c., sondern welches sinnliches Jnteresse ausschließt. Der Geschmack bezieht p1b_087.033 sich nicht auf die freie, d. h. absolute Schönheit, sondern auf die charakteristische, p1b_087.034 anhängende. Das freie oder absolute Schöne, welches weder p1b_087.035 von nationalen noch geschichtlichen Bedingungen abhängig ist, gefällt Allen, sofern p1b_087.036 sie nicht fehlerhaft organisiert sind oder allzuwenig Anschauungen und Spuren p1b_087.037 des Schönen in sich aufgenommen haben; das anhängende, charakteristische p1b_087.038 Schöne erfordert Geschmacksbildung.
p1b_087.039 Der gebildete Geschmack nennt das Jdeale, das von Manier freie, lebensfähige p1b_087.040 Stilvolle, das dem allgemeinen gebildeten Menschengeist zusagende Mustergültige p1b_087.041 von bleibendem Werte, sofern es von höchster genialer Kraft und p1b_087.042 Leistungsfähigkeit zeugt:
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Schöpfung seines Gesetzbuches charakteristische Färbung und Anlage wie Ausführung p1b_087.002
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Die Grundgesetze des Empfindens zeigen, daß die richtige Empfindung p1b_087.014
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Der gebildete Geschmack nennt das Jdeale, das von Manier freie, lebensfähige p1b_087.040
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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