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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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oder - (Jambus) oder - (Anapäst) oder - (Daktylus) &c. p1b_084.002
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2. Proportionalität (der goldene Schnitt).

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Die Stufe formeller Schönheit, welche den Gegensatz von Einheit p1b_084.005
und Unendlichkeit, von Gleichheit und Verschiedenheit zur Harmonie p1b_084.006
aufhebt, ist die Proportionalität.

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Unter Proportion des menschlichen Körpers z. B. versteht man die Normalgrößen p1b_084.008
der einzelnen Teile in Beziehung zu den übrigen, worauf die Gefälligkeit p1b_084.009
und Schönheit der äußeren Bildung beruht. Am schönsten zeigt sich die p1b_084.010
Proportionalität im sog. goldenen Schnitt
(sectio aurea).

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Soll eine Linie a b nach dem goldenen Schnitt geteilt werden, so setzt p1b_084.012
man im rechten Winkel 1/2 a b == b d an, verbindet d mit a, trägt b d auf p1b_084.013
d a über (== d e) und den Rest a e auf a b == a c. Dann giebt der Punkt c p1b_084.014
die gesuchte Teilung und ist b c : c a == c a : a b, d. h. der kleinere Teil p1b_084.015
der Linie verhält sich zum größeren, wie dieser zur ganzen p1b_084.016
Linie,
oder: der größere Teil ist in der stetigen Proportion zwischen dem p1b_084.017
kleineren und der Ganzen das Mittelglied.

[Abbildung]

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Das Gesetz des goldenen Schnittes zeigt sich in der ganzen Natur, vor p1b_084.019
Allem in den Normalgrößen oder Proportionen des menschlichen Körpers. Der p1b_084.020
Punkt c befindet sich hier im Nabel. Es verhält sich also der Oberkörper p1b_084.021
zum längeren Unterkörper, wie dieser zur ganzen Körperlänge. Dasselbe Verhältnis p1b_084.022
findet man, wenn man den Unterkörper allein betrachtet. Jn diesem p1b_084.023
Fall ist der Punkt c in der Kniekehle. Betrachtet man den Oberkörper für p1b_084.024
sich, so liegt Punkt c im Kehlkopf. Adolf Zeising, der Verf. der neuen Lehre p1b_084.025
von den Proportionen des menschlichen Körpers, weist dies Gesetz auch in p1b_084.026
Musik, Logik, Ethik und Religion nach. Es findet sich aber auch in der Dichtkunst, p1b_084.027
z. B. im Drama, wo die Umkehr (Peripetie) an's Ende des 3. Aktes den p1b_084.028
Punkt c setzt; im Sonett; in den dreigeteilten Dichtungen der Minnesinger &c.

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3. Gewicht ersetzt die Maße.

p1b_084.030
Für das Schöne kommt das Gewicht und sein Verhältnis zum Maß, p1b_084.031
zur Ausdehnung, in Betracht.

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Der kürzere Teil muß bei einem Zusammengesetzten dem längeren das p1b_084.033
Gleichgewicht halten. Das Bedeutende überwiegt und wird meist als ein

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oder ∪ – (Jambus) oder ∪ ∪ – (Anapäst) oder – ∪ ∪ (Daktylus) &c. p1b_084.002
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2. Proportionalität (der goldene Schnitt).

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Die Stufe formeller Schönheit, welche den Gegensatz von Einheit p1b_084.005
und Unendlichkeit, von Gleichheit und Verschiedenheit zur Harmonie p1b_084.006
aufhebt, ist die Proportionalität.

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Unter Proportion des menschlichen Körpers z. B. versteht man die Normalgrößen p1b_084.008
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kleineren und der Ganzen das Mittelglied.

[Abbildung]

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Das Gesetz des goldenen Schnittes zeigt sich in der ganzen Natur, vor p1b_084.019
Allem in den Normalgrößen oder Proportionen des menschlichen Körpers. Der p1b_084.020
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3. Gewicht ersetzt die Maße.

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Für das Schöne kommt das Gewicht und sein Verhältnis zum Maß, p1b_084.031
zur Ausdehnung, in Betracht.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/118>, abgerufen am 13.05.2024.