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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Feststellung des Gegenstandes.
wir aber ein lebendiges öffentliches Leben, eine unmittelbare
Theilnahme des Volks an den Angelegenheiten des Staats
oder der Gemeinde, so daß die Beziehung dieser Theilnahme
auf die Gesetzgebung und die Rechtspflege nur die Folge all-
gemeiner Zustände und Verhältnisse ist, und das Volksrecht
noch in fast ungeschwächter Herrschaft fortbesteht. Dagegen
ist es gar nicht nothwendig, daß die literarische Thätigkeit der
Rechtskundigen sich in solchen Zeiten auf untergeordnete, fast
nur das Formelle der Rechtsgeschäfte betreffende Arbeiten be-
schränkt.

So viel wir wissen ist der Verfasser des Sachsenspiegels
in seiner ganzen Fülle und Tüchtigkeit als Schriftsteller auf-
getreten, ohne daß er bestimmte Vorgänger vor Augen gehabt
hätte; denn die Formelsammlungen aus den Zeiten der frän-
kischen Monarchie und die auf dem Gebiete des geistlichen
Rechts entstandenen Werke, die auch stets einen eigenthümli-
chen Charakter hatten, kommen hier nicht in Betracht. --
Wir dürfen daher annehmen, daß der Einfluß der Rechtskun-
digen von v. Savigny theils zu hoch, theils zu niedrig ist an-
geschlagen worden. Die unbedingte Herrschaft eines besonde-
ren Juristenstandes über das gesammte Rechtswesen wird aber
unter keinen Umständen als etwas Heilsames und dem höhe-
ren Staatsprincip Entsprechendes aufgefaßt werden dürfen.
In Rom mag unter den gegebenen Verhältnissen ein solcher
Zustand, insofern er sich mit der Alleinherrschaft der Cäsaren
vertrug, unvermeidlich gewesen seyn und beziehungsweise wohl-
thätig eingewirkt haben; aber die römische Kaiserzeit kann nicht
als Vorbild für die Zustände anderer, sey es noch unentwickel-
ter oder hochgebildeter Nationen benutzt werden. Ein freies
Volk darf schon aus politischer Klugheit und im Interesse der

Feſtſtellung des Gegenſtandes.
wir aber ein lebendiges oͤffentliches Leben, eine unmittelbare
Theilnahme des Volks an den Angelegenheiten des Staats
oder der Gemeinde, ſo daß die Beziehung dieſer Theilnahme
auf die Geſetzgebung und die Rechtspflege nur die Folge all-
gemeiner Zuſtaͤnde und Verhaͤltniſſe iſt, und das Volksrecht
noch in faſt ungeſchwaͤchter Herrſchaft fortbeſteht. Dagegen
iſt es gar nicht nothwendig, daß die literariſche Thaͤtigkeit der
Rechtskundigen ſich in ſolchen Zeiten auf untergeordnete, faſt
nur das Formelle der Rechtsgeſchaͤfte betreffende Arbeiten be-
ſchraͤnkt.

So viel wir wiſſen iſt der Verfaſſer des Sachſenſpiegels
in ſeiner ganzen Fuͤlle und Tuͤchtigkeit als Schriftſteller auf-
getreten, ohne daß er beſtimmte Vorgaͤnger vor Augen gehabt
haͤtte; denn die Formelſammlungen aus den Zeiten der fraͤn-
kiſchen Monarchie und die auf dem Gebiete des geiſtlichen
Rechts entſtandenen Werke, die auch ſtets einen eigenthuͤmli-
chen Charakter hatten, kommen hier nicht in Betracht. —
Wir duͤrfen daher annehmen, daß der Einfluß der Rechtskun-
digen von v. Savigny theils zu hoch, theils zu niedrig iſt an-
geſchlagen worden. Die unbedingte Herrſchaft eines beſonde-
ren Juriſtenſtandes uͤber das geſammte Rechtsweſen wird aber
unter keinen Umſtaͤnden als etwas Heilſames und dem hoͤhe-
ren Staatsprincip Entſprechendes aufgefaßt werden duͤrfen.
In Rom mag unter den gegebenen Verhaͤltniſſen ein ſolcher
Zuſtand, inſofern er ſich mit der Alleinherrſchaft der Caͤſaren
vertrug, unvermeidlich geweſen ſeyn und beziehungsweiſe wohl-
thaͤtig eingewirkt haben; aber die roͤmiſche Kaiſerzeit kann nicht
als Vorbild fuͤr die Zuſtaͤnde anderer, ſey es noch unentwickel-
ter oder hochgebildeter Nationen benutzt werden. Ein freies
Volk darf ſchon aus politiſcher Klugheit und im Intereſſe der

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[69/0081] Feſtſtellung des Gegenſtandes. wir aber ein lebendiges oͤffentliches Leben, eine unmittelbare Theilnahme des Volks an den Angelegenheiten des Staats oder der Gemeinde, ſo daß die Beziehung dieſer Theilnahme auf die Geſetzgebung und die Rechtspflege nur die Folge all- gemeiner Zuſtaͤnde und Verhaͤltniſſe iſt, und das Volksrecht noch in faſt ungeſchwaͤchter Herrſchaft fortbeſteht. Dagegen iſt es gar nicht nothwendig, daß die literariſche Thaͤtigkeit der Rechtskundigen ſich in ſolchen Zeiten auf untergeordnete, faſt nur das Formelle der Rechtsgeſchaͤfte betreffende Arbeiten be- ſchraͤnkt. So viel wir wiſſen iſt der Verfaſſer des Sachſenſpiegels in ſeiner ganzen Fuͤlle und Tuͤchtigkeit als Schriftſteller auf- getreten, ohne daß er beſtimmte Vorgaͤnger vor Augen gehabt haͤtte; denn die Formelſammlungen aus den Zeiten der fraͤn- kiſchen Monarchie und die auf dem Gebiete des geiſtlichen Rechts entſtandenen Werke, die auch ſtets einen eigenthuͤmli- chen Charakter hatten, kommen hier nicht in Betracht. — Wir duͤrfen daher annehmen, daß der Einfluß der Rechtskun- digen von v. Savigny theils zu hoch, theils zu niedrig iſt an- geſchlagen worden. Die unbedingte Herrſchaft eines beſonde- ren Juriſtenſtandes uͤber das geſammte Rechtsweſen wird aber unter keinen Umſtaͤnden als etwas Heilſames und dem hoͤhe- ren Staatsprincip Entſprechendes aufgefaßt werden duͤrfen. In Rom mag unter den gegebenen Verhaͤltniſſen ein ſolcher Zuſtand, inſofern er ſich mit der Alleinherrſchaft der Caͤſaren vertrug, unvermeidlich geweſen ſeyn und beziehungsweiſe wohl- thaͤtig eingewirkt haben; aber die roͤmiſche Kaiſerzeit kann nicht als Vorbild fuͤr die Zuſtaͤnde anderer, ſey es noch unentwickel- ter oder hochgebildeter Nationen benutzt werden. Ein freies Volk darf ſchon aus politiſcher Klugheit und im Intereſſe der

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/81>, abgerufen am 24.11.2024.