Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel.
Betrachtung des Rechtsstoffs wagte. Diese Richtung spricht
sich eines Theils in der philosophischen Rechtslehre aus, wie
sie von Grotius und Pufendorf begründet, durch die deutsche
Literatur ging, in die spätere Schulphilosophie umschlug, und
dann durch das Kantische Naturrecht zu der neueren Rechts-
philosophie sich entwickelte. Practisch hat sie freilich vorzugs-
weise nur auf das Völkerrecht und das Criminalrecht einge-
wirkt, welches letztere wegen seiner rein menschlichen Beziehun-
gen und wegen des psychologischen Interesses von allen Rechts-
theilen am Ersten dem unmittelbaren Einfluß der Philosophie
unterworfen worden ist. Von Thomasius bis auf Feuerbach
ist die Reform des Criminalrechts daher hauptsächlich von die-
ser Seite ausgegangen. Die andere Richtung, von der Phi-
losophie im Allgemeinen unterstützt, hat doch einen ganz an-
dern Weg verfolgt: es ist der der historisch-nationalen Rechts-
entwicklung. Als nämlich Hermann Conring erst das Fun-
dament zu einer deutschen Rechtsgeschichte gelegt, und die äl-
teren deutschen Rechtsquellen, früher fast nur in einem anti-
quarischen Interesse edirt und bearbeitet, der juristischen Be-
trachtung eröffnet hatte, begnügte sich eine Anzahl der bedeu-
tendsten Juristen nicht mehr damit das Studium des einhei-
mischen Rechts bloß auf die einzelnen noch geltenden Landes-
rechte und Statute zu beschränken, und so ein dem römischen
Recht doch sehr untergeordnetes deutschrechtliches Material zu
cultiviren; sondern sie zogen nun auch das ältere deutsche Recht,
wie es vor der Aufnahme des römischen bestanden hatte, in
den Kreis ihrer Forschungen, und eröffneten sich auf diese
Weise ein ganz neues Feld, in welchem die noch practischen
deutschrechtlichen Institute zum großen Theile ihre Wurzel
hatten. Ausgezeichnete Männer, wie Schilter und Sencken-

Erſtes Kapitel.
Betrachtung des Rechtsſtoffs wagte. Dieſe Richtung ſpricht
ſich eines Theils in der philoſophiſchen Rechtslehre aus, wie
ſie von Grotius und Pufendorf begruͤndet, durch die deutſche
Literatur ging, in die ſpaͤtere Schulphiloſophie umſchlug, und
dann durch das Kantiſche Naturrecht zu der neueren Rechts-
philoſophie ſich entwickelte. Practiſch hat ſie freilich vorzugs-
weiſe nur auf das Voͤlkerrecht und das Criminalrecht einge-
wirkt, welches letztere wegen ſeiner rein menſchlichen Beziehun-
gen und wegen des pſychologiſchen Intereſſes von allen Rechts-
theilen am Erſten dem unmittelbaren Einfluß der Philoſophie
unterworfen worden iſt. Von Thomaſius bis auf Feuerbach
iſt die Reform des Criminalrechts daher hauptſaͤchlich von die-
ſer Seite ausgegangen. Die andere Richtung, von der Phi-
loſophie im Allgemeinen unterſtuͤtzt, hat doch einen ganz an-
dern Weg verfolgt: es iſt der der hiſtoriſch-nationalen Rechts-
entwicklung. Als naͤmlich Hermann Conring erſt das Fun-
dament zu einer deutſchen Rechtsgeſchichte gelegt, und die aͤl-
teren deutſchen Rechtsquellen, fruͤher faſt nur in einem anti-
quariſchen Intereſſe edirt und bearbeitet, der juriſtiſchen Be-
trachtung eroͤffnet hatte, begnuͤgte ſich eine Anzahl der bedeu-
tendſten Juriſten nicht mehr damit das Studium des einhei-
miſchen Rechts bloß auf die einzelnen noch geltenden Landes-
rechte und Statute zu beſchraͤnken, und ſo ein dem roͤmiſchen
Recht doch ſehr untergeordnetes deutſchrechtliches Material zu
cultiviren; ſondern ſie zogen nun auch das aͤltere deutſche Recht,
wie es vor der Aufnahme des roͤmiſchen beſtanden hatte, in
den Kreis ihrer Forſchungen, und eroͤffneten ſich auf dieſe
Weiſe ein ganz neues Feld, in welchem die noch practiſchen
deutſchrechtlichen Inſtitute zum großen Theile ihre Wurzel
hatten. Ausgezeichnete Maͤnner, wie Schilter und Sencken-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
Betrachtung des Rechts&#x017F;toffs wagte. Die&#x017F;e Richtung &#x017F;pricht<lb/>
&#x017F;ich eines Theils in der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Rechtslehre aus, wie<lb/>
&#x017F;ie von Grotius und Pufendorf begru&#x0364;ndet, durch die deut&#x017F;che<lb/>
Literatur ging, in die &#x017F;pa&#x0364;tere Schulphilo&#x017F;ophie um&#x017F;chlug, und<lb/>
dann durch das Kanti&#x017F;che Naturrecht zu der neueren Rechts-<lb/>
philo&#x017F;ophie &#x017F;ich entwickelte. Practi&#x017F;ch hat &#x017F;ie freilich vorzugs-<lb/>
wei&#x017F;e nur auf das Vo&#x0364;lkerrecht und das Criminalrecht einge-<lb/>
wirkt, welches letztere wegen &#x017F;einer rein men&#x017F;chlichen Beziehun-<lb/>
gen und wegen des p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Intere&#x017F;&#x017F;es von allen Rechts-<lb/>
theilen am Er&#x017F;ten dem unmittelbaren Einfluß der Philo&#x017F;ophie<lb/>
unterworfen worden i&#x017F;t. Von Thoma&#x017F;ius bis auf Feuerbach<lb/>
i&#x017F;t die Reform des Criminalrechts daher haupt&#x017F;a&#x0364;chlich von die-<lb/>
&#x017F;er Seite ausgegangen. Die andere Richtung, von der Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophie im Allgemeinen unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, hat doch einen ganz an-<lb/>
dern Weg verfolgt: es i&#x017F;t der der hi&#x017F;tori&#x017F;ch-nationalen Rechts-<lb/>
entwicklung. Als na&#x0364;mlich Hermann Conring er&#x017F;t das Fun-<lb/>
dament zu einer deut&#x017F;chen Rechtsge&#x017F;chichte gelegt, und die a&#x0364;l-<lb/>
teren deut&#x017F;chen Rechtsquellen, fru&#x0364;her fa&#x017F;t nur in einem anti-<lb/>
quari&#x017F;chen Intere&#x017F;&#x017F;e edirt und bearbeitet, der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Be-<lb/>
trachtung ero&#x0364;ffnet hatte, begnu&#x0364;gte &#x017F;ich eine Anzahl der bedeu-<lb/>
tend&#x017F;ten Juri&#x017F;ten nicht mehr damit das Studium des einhei-<lb/>
mi&#x017F;chen Rechts bloß auf die einzelnen noch geltenden Landes-<lb/>
rechte und Statute zu be&#x017F;chra&#x0364;nken, und &#x017F;o ein dem ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Recht doch &#x017F;ehr untergeordnetes deut&#x017F;chrechtliches Material zu<lb/>
cultiviren; &#x017F;ondern &#x017F;ie zogen nun auch das a&#x0364;ltere deut&#x017F;che Recht,<lb/>
wie es vor der Aufnahme des ro&#x0364;mi&#x017F;chen be&#x017F;tanden hatte, in<lb/>
den Kreis ihrer For&#x017F;chungen, und ero&#x0364;ffneten &#x017F;ich auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e ein ganz neues Feld, in welchem die noch practi&#x017F;chen<lb/>
deut&#x017F;chrechtlichen In&#x017F;titute zum großen Theile ihre Wurzel<lb/>
hatten. Ausgezeichnete Ma&#x0364;nner, wie Schilter und Sencken-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0062] Erſtes Kapitel. Betrachtung des Rechtsſtoffs wagte. Dieſe Richtung ſpricht ſich eines Theils in der philoſophiſchen Rechtslehre aus, wie ſie von Grotius und Pufendorf begruͤndet, durch die deutſche Literatur ging, in die ſpaͤtere Schulphiloſophie umſchlug, und dann durch das Kantiſche Naturrecht zu der neueren Rechts- philoſophie ſich entwickelte. Practiſch hat ſie freilich vorzugs- weiſe nur auf das Voͤlkerrecht und das Criminalrecht einge- wirkt, welches letztere wegen ſeiner rein menſchlichen Beziehun- gen und wegen des pſychologiſchen Intereſſes von allen Rechts- theilen am Erſten dem unmittelbaren Einfluß der Philoſophie unterworfen worden iſt. Von Thomaſius bis auf Feuerbach iſt die Reform des Criminalrechts daher hauptſaͤchlich von die- ſer Seite ausgegangen. Die andere Richtung, von der Phi- loſophie im Allgemeinen unterſtuͤtzt, hat doch einen ganz an- dern Weg verfolgt: es iſt der der hiſtoriſch-nationalen Rechts- entwicklung. Als naͤmlich Hermann Conring erſt das Fun- dament zu einer deutſchen Rechtsgeſchichte gelegt, und die aͤl- teren deutſchen Rechtsquellen, fruͤher faſt nur in einem anti- quariſchen Intereſſe edirt und bearbeitet, der juriſtiſchen Be- trachtung eroͤffnet hatte, begnuͤgte ſich eine Anzahl der bedeu- tendſten Juriſten nicht mehr damit das Studium des einhei- miſchen Rechts bloß auf die einzelnen noch geltenden Landes- rechte und Statute zu beſchraͤnken, und ſo ein dem roͤmiſchen Recht doch ſehr untergeordnetes deutſchrechtliches Material zu cultiviren; ſondern ſie zogen nun auch das aͤltere deutſche Recht, wie es vor der Aufnahme des roͤmiſchen beſtanden hatte, in den Kreis ihrer Forſchungen, und eroͤffneten ſich auf dieſe Weiſe ein ganz neues Feld, in welchem die noch practiſchen deutſchrechtlichen Inſtitute zum großen Theile ihre Wurzel hatten. Ausgezeichnete Maͤnner, wie Schilter und Sencken-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/62
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/62>, abgerufen am 24.11.2024.