Wenn nun früher hervorgehoben ist, daß die Juristenge- richte deswegen nicht ausreichen, weil die unmittelbare Kunde des Volksrechts und die gehörige Berücksichtigung aller dem Rechtsleben entnommenen Momente von ihnen nicht erwartet werden kann, so scheint es doch, daß auch die Geschwornen, welche nur über das Factische ohne unmittelbare Beziehung auf das Recht erkennen sollen, für diesen Mangel keine Aus- hülfe gewähren. Ließe sich aber eine solche Einrichtung tref- fen, daß neben den Juristen auch Männer aus dem Volke an der Rechtspflege in ihrem ganzen Umfange und ohne jene Trennung der Functionen Theil nähmen, so würde eines Theils jenes populäre Element des Rechts im Gegensatz zu der ei- gentlichen Jurisprudenz vertreten seyn, und andern Theils könnte dann auch dem Gerichte eher eine freiere Beurtheilung des Factischen überlassen werden, da hier, wenn auch in an- derer Weise als bei dem Schwurgericht, durch die nicht juri- stisch gebildeten Schöffen die Volksansicht sich geltend machen würde. Die Schwierigkeit, welche der Durchführung einer solchen, gewiß heilsamen Reform entgegensteht, möchte haupt- sächlich in der Beschaffenheit unseres ganzen Rechtswesens zu suchen seyn, welches durch und durch verworren und gelehrt, einer volksthümlichen Betrachtungsweise kaum zugänglich er- scheint. Daher erklärt es sich auch, daß in den Gerichten, bei welchen in Folge früherer Einrichtungen noch jetzt eine solche Combination der Beisitzer besteht, die aus dem Volke fast ohne allen Einfluß auf die Urtheilsfassung sind, und daß auch da, wo man etwas Aehnliches wieder einzuführen gesucht hat, wie in den würtembergischen Oberamtsgerichten, sich kein rechter Erfolg heraus stellen will. Indessen darf man doch auf solche einzelne Erscheinungen kein zu großes Gewicht le-
Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
Wenn nun fruͤher hervorgehoben iſt, daß die Juriſtenge- richte deswegen nicht ausreichen, weil die unmittelbare Kunde des Volksrechts und die gehoͤrige Beruͤckſichtigung aller dem Rechtsleben entnommenen Momente von ihnen nicht erwartet werden kann, ſo ſcheint es doch, daß auch die Geſchwornen, welche nur uͤber das Factiſche ohne unmittelbare Beziehung auf das Recht erkennen ſollen, fuͤr dieſen Mangel keine Aus- huͤlfe gewaͤhren. Ließe ſich aber eine ſolche Einrichtung tref- fen, daß neben den Juriſten auch Maͤnner aus dem Volke an der Rechtspflege in ihrem ganzen Umfange und ohne jene Trennung der Functionen Theil naͤhmen, ſo wuͤrde eines Theils jenes populaͤre Element des Rechts im Gegenſatz zu der ei- gentlichen Jurisprudenz vertreten ſeyn, und andern Theils koͤnnte dann auch dem Gerichte eher eine freiere Beurtheilung des Factiſchen uͤberlaſſen werden, da hier, wenn auch in an- derer Weiſe als bei dem Schwurgericht, durch die nicht juri- ſtiſch gebildeten Schoͤffen die Volksanſicht ſich geltend machen wuͤrde. Die Schwierigkeit, welche der Durchfuͤhrung einer ſolchen, gewiß heilſamen Reform entgegenſteht, moͤchte haupt- ſaͤchlich in der Beſchaffenheit unſeres ganzen Rechtsweſens zu ſuchen ſeyn, welches durch und durch verworren und gelehrt, einer volksthuͤmlichen Betrachtungsweiſe kaum zugaͤnglich er- ſcheint. Daher erklaͤrt es ſich auch, daß in den Gerichten, bei welchen in Folge fruͤherer Einrichtungen noch jetzt eine ſolche Combination der Beiſitzer beſteht, die aus dem Volke faſt ohne allen Einfluß auf die Urtheilsfaſſung ſind, und daß auch da, wo man etwas Aehnliches wieder einzufuͤhren geſucht hat, wie in den wuͤrtembergiſchen Oberamtsgerichten, ſich kein rechter Erfolg heraus ſtellen will. Indeſſen darf man doch auf ſolche einzelne Erſcheinungen kein zu großes Gewicht le-
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Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
Wenn nun fruͤher hervorgehoben iſt, daß die Juriſtenge-
richte deswegen nicht ausreichen, weil die unmittelbare Kunde
des Volksrechts und die gehoͤrige Beruͤckſichtigung aller dem
Rechtsleben entnommenen Momente von ihnen nicht erwartet
werden kann, ſo ſcheint es doch, daß auch die Geſchwornen,
welche nur uͤber das Factiſche ohne unmittelbare Beziehung
auf das Recht erkennen ſollen, fuͤr dieſen Mangel keine Aus-
huͤlfe gewaͤhren. Ließe ſich aber eine ſolche Einrichtung tref-
fen, daß neben den Juriſten auch Maͤnner aus dem Volke an
der Rechtspflege in ihrem ganzen Umfange und ohne jene
Trennung der Functionen Theil naͤhmen, ſo wuͤrde eines Theils
jenes populaͤre Element des Rechts im Gegenſatz zu der ei-
gentlichen Jurisprudenz vertreten ſeyn, und andern Theils
koͤnnte dann auch dem Gerichte eher eine freiere Beurtheilung
des Factiſchen uͤberlaſſen werden, da hier, wenn auch in an-
derer Weiſe als bei dem Schwurgericht, durch die nicht juri-
ſtiſch gebildeten Schoͤffen die Volksanſicht ſich geltend machen
wuͤrde. Die Schwierigkeit, welche der Durchfuͤhrung einer
ſolchen, gewiß heilſamen Reform entgegenſteht, moͤchte haupt-
ſaͤchlich in der Beſchaffenheit unſeres ganzen Rechtsweſens zu
ſuchen ſeyn, welches durch und durch verworren und gelehrt,
einer volksthuͤmlichen Betrachtungsweiſe kaum zugaͤnglich er-
ſcheint. Daher erklaͤrt es ſich auch, daß in den Gerichten,
bei welchen in Folge fruͤherer Einrichtungen noch jetzt eine
ſolche Combination der Beiſitzer beſteht, die aus dem Volke
faſt ohne allen Einfluß auf die Urtheilsfaſſung ſind, und daß
auch da, wo man etwas Aehnliches wieder einzufuͤhren geſucht
hat, wie in den wuͤrtembergiſchen Oberamtsgerichten, ſich kein
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/279>, abgerufen am 22.11.2024.
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