hat, ganz aus den Gerichten weiche. Allein in Deutschland haben sich seit dem 16. Jahrhundert die Verhältnisse that- sächlich so gestaltet, daß mit wenigen Ausnahmen fast nur die Juristen als Richter thätig sind, was denn mit der Re- ception des römischen Rechts und mit der ganzen Entwicklung unseres Staats- und Rechtswesens auf das Engste zusam- men hängt.
3. Die gemischten Gerichte. Dieselben Ursachen, welche bei einem Volke einen besonderen Juristenstand hervor- rufen, machen auch eine Umänderung in der Gerichtsverfassung nöthig. Denn so lange die Kunde weniger und leicht faßli- cher Gesetze, die unbefangene Betrachtung und verständige Würdigung der Lebensverhältnisse ausreichen, um mit Sicher- heit das Recht zu finden, so lange kann dieß Geschäft auch dem Volksgericht überlassen bleiben. Wenn aber in Folge der geschichtlichen Entwicklung die umfassende Rechtskunde nur von Einzelnen durch ein besonderes Studium erlangt wird, so ist es natürlich, daß diese auch bei der Rechtspflege einen her- vorragenden Einfluß gewinnen. Die Volksgerichte gehen dann, wie wir gesehen haben, in die Juristengerichte über, oder sie erleiden doch eine wesentliche Modification, indem ihnen ein besonderes juristisches Element beigesellt wird. Dieß kann nun aber wieder auf verschiedene Weise geschehen. Der eine Fall ist dieser, wenn man die richterliche Thätigkeit trennt, je nach- dem sie auf die Feststellung der Thatsache, um deren Beur- theilung es sich handelt, oder auf die Anwendung des Rechts- satzes gerichtet ist. Das Erkenntniß über das factum über- läßt man den Geschwornen, welche im steten Wandel aus dem Volke hervorgehen; über das jus aber haben nur die Juristen zu entscheiden. Schon den Römern war diese Theilung der
Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
hat, ganz aus den Gerichten weiche. Allein in Deutſchland haben ſich ſeit dem 16. Jahrhundert die Verhaͤltniſſe that- ſaͤchlich ſo geſtaltet, daß mit wenigen Ausnahmen faſt nur die Juriſten als Richter thaͤtig ſind, was denn mit der Re- ception des roͤmiſchen Rechts und mit der ganzen Entwicklung unſeres Staats- und Rechtsweſens auf das Engſte zuſam- men haͤngt.
3. Die gemiſchten Gerichte. Dieſelben Urſachen, welche bei einem Volke einen beſonderen Juriſtenſtand hervor- rufen, machen auch eine Umaͤnderung in der Gerichtsverfaſſung noͤthig. Denn ſo lange die Kunde weniger und leicht faßli- cher Geſetze, die unbefangene Betrachtung und verſtaͤndige Wuͤrdigung der Lebensverhaͤltniſſe ausreichen, um mit Sicher- heit das Recht zu finden, ſo lange kann dieß Geſchaͤft auch dem Volksgericht uͤberlaſſen bleiben. Wenn aber in Folge der geſchichtlichen Entwicklung die umfaſſende Rechtskunde nur von Einzelnen durch ein beſonderes Studium erlangt wird, ſo iſt es natuͤrlich, daß dieſe auch bei der Rechtspflege einen her- vorragenden Einfluß gewinnen. Die Volksgerichte gehen dann, wie wir geſehen haben, in die Juriſtengerichte uͤber, oder ſie erleiden doch eine weſentliche Modification, indem ihnen ein beſonderes juriſtiſches Element beigeſellt wird. Dieß kann nun aber wieder auf verſchiedene Weiſe geſchehen. Der eine Fall iſt dieſer, wenn man die richterliche Thaͤtigkeit trennt, je nach- dem ſie auf die Feſtſtellung der Thatſache, um deren Beur- theilung es ſich handelt, oder auf die Anwendung des Rechts- ſatzes gerichtet iſt. Das Erkenntniß uͤber das factum uͤber- laͤßt man den Geſchwornen, welche im ſteten Wandel aus dem Volke hervorgehen; uͤber das jus aber haben nur die Juriſten zu entſcheiden. Schon den Roͤmern war dieſe Theilung der
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Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
hat, ganz aus den Gerichten weiche. Allein in Deutſchland
haben ſich ſeit dem 16. Jahrhundert die Verhaͤltniſſe that-
ſaͤchlich ſo geſtaltet, daß mit wenigen Ausnahmen faſt nur
die Juriſten als Richter thaͤtig ſind, was denn mit der Re-
ception des roͤmiſchen Rechts und mit der ganzen Entwicklung
unſeres Staats- und Rechtsweſens auf das Engſte zuſam-
men haͤngt.
3. Die gemiſchten Gerichte. Dieſelben Urſachen,
welche bei einem Volke einen beſonderen Juriſtenſtand hervor-
rufen, machen auch eine Umaͤnderung in der Gerichtsverfaſſung
noͤthig. Denn ſo lange die Kunde weniger und leicht faßli-
cher Geſetze, die unbefangene Betrachtung und verſtaͤndige
Wuͤrdigung der Lebensverhaͤltniſſe ausreichen, um mit Sicher-
heit das Recht zu finden, ſo lange kann dieß Geſchaͤft auch
dem Volksgericht uͤberlaſſen bleiben. Wenn aber in Folge der
geſchichtlichen Entwicklung die umfaſſende Rechtskunde nur
von Einzelnen durch ein beſonderes Studium erlangt wird, ſo
iſt es natuͤrlich, daß dieſe auch bei der Rechtspflege einen her-
vorragenden Einfluß gewinnen. Die Volksgerichte gehen dann,
wie wir geſehen haben, in die Juriſtengerichte uͤber, oder ſie
erleiden doch eine weſentliche Modification, indem ihnen ein
beſonderes juriſtiſches Element beigeſellt wird. Dieß kann nun
aber wieder auf verſchiedene Weiſe geſchehen. Der eine Fall
iſt dieſer, wenn man die richterliche Thaͤtigkeit trennt, je nach-
dem ſie auf die Feſtſtellung der Thatſache, um deren Beur-
theilung es ſich handelt, oder auf die Anwendung des Rechts-
ſatzes gerichtet iſt. Das Erkenntniß uͤber das factum uͤber-
laͤßt man den Geſchwornen, welche im ſteten Wandel aus dem
Volke hervorgehen; uͤber das jus aber haben nur die Juriſten
zu entſcheiden. Schon den Roͤmern war dieſe Theilung der
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/261>, abgerufen am 16.07.2024.
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