Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Kapitel.
doch so Vieles ankommt, zu gefährden, dem Gesetzbuch eine
solche Elasticität zu verleihen, daß sich für jedes auftauchende
Bedürfniß unmittelbar aus den Verhältnissen heraus sofort die
entsprechende Norm gestalten kann.

Der selbständigen Entwicklung des Volksrechts wird da-
her leicht ein Abbruch geschehen, wofür auch die größte Sorg-
falt und Wachsamkeit der gesetzgebenden Gewalt nicht immer
einen Ersatz bieten dürfte. Auch die Wissenschaft würde in
der Behandlung des Gegenstandes mehr gebunden seyn, was
indessen, da es sich nur auf die practische Application bezöge,
weniger zu bedeuten hätte, indem sie ihren Einfluß auf die
Gesetzgebung mittelbar immer geltend machen könnte. Dage-
gen ist zu bedenken, daß wenn nur wirklich der gesammte na-
tionale Rechtsstoff in seinen leitenden Principien von dem Ge-
setzbuch umschlossen wird, sich nicht leicht eine neue Rechtsbil-
dung zeigen kann, welche nicht an ein bestehendes Institut in
organischer Verschmelzung anzulehnen wäre; und vor Allem ist
darauf der Nachdruck zu legen, aus einer wie großen Verwir-
rung und Belastung die Nation durch eine umfassende Codifi-
cation erlöst werden würde, und wie dieselbe, eben weil sie eine
gemeinsame wäre, dem stets sich vordrängenden Particularis-
mus mit dem entschiedensten Erfolge entgegen wirken müßte.

2 Ist nun aber auch auf eine umfassende Codification für
Deutschland, wenigstens wie die Sachen jetzt stehen, nicht zu
hoffen, so ließe sich doch wohl für einzelne Rechtstheile und
Institute eine gewisse Gemeinschaft der Gesetzgebung erreichen.
In der That hat ja auch die Bundesversammlung Einiges
dieser Art zu Stande gebracht, und in einem beschränkteren
Kreise ist etwas Aehnliches im Zollverein geschehen, dem sich,
auch wenn er nicht über das ganze Bundesgebiet ausgedehnt wer-

Achtes Kapitel.
doch ſo Vieles ankommt, zu gefaͤhrden, dem Geſetzbuch eine
ſolche Elaſticitaͤt zu verleihen, daß ſich fuͤr jedes auftauchende
Beduͤrfniß unmittelbar aus den Verhaͤltniſſen heraus ſofort die
entſprechende Norm geſtalten kann.

Der ſelbſtaͤndigen Entwicklung des Volksrechts wird da-
her leicht ein Abbruch geſchehen, wofuͤr auch die groͤßte Sorg-
falt und Wachſamkeit der geſetzgebenden Gewalt nicht immer
einen Erſatz bieten duͤrfte. Auch die Wiſſenſchaft wuͤrde in
der Behandlung des Gegenſtandes mehr gebunden ſeyn, was
indeſſen, da es ſich nur auf die practiſche Application bezoͤge,
weniger zu bedeuten haͤtte, indem ſie ihren Einfluß auf die
Geſetzgebung mittelbar immer geltend machen koͤnnte. Dage-
gen iſt zu bedenken, daß wenn nur wirklich der geſammte na-
tionale Rechtsſtoff in ſeinen leitenden Principien von dem Ge-
ſetzbuch umſchloſſen wird, ſich nicht leicht eine neue Rechtsbil-
dung zeigen kann, welche nicht an ein beſtehendes Inſtitut in
organiſcher Verſchmelzung anzulehnen waͤre; und vor Allem iſt
darauf der Nachdruck zu legen, aus einer wie großen Verwir-
rung und Belaſtung die Nation durch eine umfaſſende Codifi-
cation erloͤſt werden wuͤrde, und wie dieſelbe, eben weil ſie eine
gemeinſame waͤre, dem ſtets ſich vordraͤngenden Particularis-
mus mit dem entſchiedenſten Erfolge entgegen wirken muͤßte.

2 Iſt nun aber auch auf eine umfaſſende Codification fuͤr
Deutſchland, wenigſtens wie die Sachen jetzt ſtehen, nicht zu
hoffen, ſo ließe ſich doch wohl fuͤr einzelne Rechtstheile und
Inſtitute eine gewiſſe Gemeinſchaft der Geſetzgebung erreichen.
In der That hat ja auch die Bundesverſammlung Einiges
dieſer Art zu Stande gebracht, und in einem beſchraͤnkteren
Kreiſe iſt etwas Aehnliches im Zollverein geſchehen, dem ſich,
auch wenn er nicht uͤber das ganze Bundesgebiet ausgedehnt wer-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0252" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Achtes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
doch &#x017F;o Vieles ankommt, zu gefa&#x0364;hrden, dem Ge&#x017F;etzbuch eine<lb/>
&#x017F;olche Ela&#x017F;ticita&#x0364;t zu verleihen, daß &#x017F;ich fu&#x0364;r jedes auftauchende<lb/>
Bedu&#x0364;rfniß unmittelbar aus den Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en heraus &#x017F;ofort die<lb/>
ent&#x017F;prechende Norm ge&#x017F;talten kann.</p><lb/>
          <p>Der &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndigen Entwicklung des Volksrechts wird da-<lb/>
her leicht ein Abbruch ge&#x017F;chehen, wofu&#x0364;r auch die gro&#x0364;ßte Sorg-<lb/>
falt und Wach&#x017F;amkeit der ge&#x017F;etzgebenden Gewalt nicht immer<lb/>
einen Er&#x017F;atz bieten du&#x0364;rfte. Auch die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft wu&#x0364;rde in<lb/>
der Behandlung des Gegen&#x017F;tandes mehr gebunden &#x017F;eyn, was<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en, da es &#x017F;ich nur auf die practi&#x017F;che Application bezo&#x0364;ge,<lb/>
weniger zu bedeuten ha&#x0364;tte, indem &#x017F;ie ihren Einfluß auf die<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung mittelbar immer geltend machen ko&#x0364;nnte. Dage-<lb/>
gen i&#x017F;t zu bedenken, daß wenn nur wirklich der ge&#x017F;ammte na-<lb/>
tionale Rechts&#x017F;toff in &#x017F;einen leitenden Principien von dem Ge-<lb/>
&#x017F;etzbuch um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird, &#x017F;ich nicht leicht eine neue Rechtsbil-<lb/>
dung zeigen kann, welche nicht an ein be&#x017F;tehendes In&#x017F;titut in<lb/>
organi&#x017F;cher Ver&#x017F;chmelzung anzulehnen wa&#x0364;re; und vor Allem i&#x017F;t<lb/>
darauf der Nachdruck zu legen, aus einer wie großen Verwir-<lb/>
rung und Bela&#x017F;tung die Nation durch eine umfa&#x017F;&#x017F;ende Codifi-<lb/>
cation erlo&#x0364;&#x017F;t werden wu&#x0364;rde, und wie die&#x017F;elbe, eben weil &#x017F;ie eine<lb/>
gemein&#x017F;ame wa&#x0364;re, dem &#x017F;tets &#x017F;ich vordra&#x0364;ngenden Particularis-<lb/>
mus mit dem ent&#x017F;chieden&#x017F;ten Erfolge entgegen wirken mu&#x0364;ßte.</p><lb/>
          <p>2 I&#x017F;t nun aber auch auf eine umfa&#x017F;&#x017F;ende Codification fu&#x0364;r<lb/>
Deut&#x017F;chland, wenig&#x017F;tens wie die Sachen jetzt &#x017F;tehen, nicht zu<lb/>
hoffen, &#x017F;o ließe &#x017F;ich doch wohl fu&#x0364;r einzelne Rechtstheile und<lb/>
In&#x017F;titute eine gewi&#x017F;&#x017F;e Gemein&#x017F;chaft der Ge&#x017F;etzgebung erreichen.<lb/>
In der That hat ja auch die Bundesver&#x017F;ammlung Einiges<lb/>
die&#x017F;er Art zu Stande gebracht, und in einem be&#x017F;chra&#x0364;nkteren<lb/>
Krei&#x017F;e i&#x017F;t etwas Aehnliches im Zollverein ge&#x017F;chehen, dem &#x017F;ich,<lb/>
auch wenn er nicht u&#x0364;ber das ganze Bundesgebiet ausgedehnt wer-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0252] Achtes Kapitel. doch ſo Vieles ankommt, zu gefaͤhrden, dem Geſetzbuch eine ſolche Elaſticitaͤt zu verleihen, daß ſich fuͤr jedes auftauchende Beduͤrfniß unmittelbar aus den Verhaͤltniſſen heraus ſofort die entſprechende Norm geſtalten kann. Der ſelbſtaͤndigen Entwicklung des Volksrechts wird da- her leicht ein Abbruch geſchehen, wofuͤr auch die groͤßte Sorg- falt und Wachſamkeit der geſetzgebenden Gewalt nicht immer einen Erſatz bieten duͤrfte. Auch die Wiſſenſchaft wuͤrde in der Behandlung des Gegenſtandes mehr gebunden ſeyn, was indeſſen, da es ſich nur auf die practiſche Application bezoͤge, weniger zu bedeuten haͤtte, indem ſie ihren Einfluß auf die Geſetzgebung mittelbar immer geltend machen koͤnnte. Dage- gen iſt zu bedenken, daß wenn nur wirklich der geſammte na- tionale Rechtsſtoff in ſeinen leitenden Principien von dem Ge- ſetzbuch umſchloſſen wird, ſich nicht leicht eine neue Rechtsbil- dung zeigen kann, welche nicht an ein beſtehendes Inſtitut in organiſcher Verſchmelzung anzulehnen waͤre; und vor Allem iſt darauf der Nachdruck zu legen, aus einer wie großen Verwir- rung und Belaſtung die Nation durch eine umfaſſende Codifi- cation erloͤſt werden wuͤrde, und wie dieſelbe, eben weil ſie eine gemeinſame waͤre, dem ſtets ſich vordraͤngenden Particularis- mus mit dem entſchiedenſten Erfolge entgegen wirken muͤßte. 2 Iſt nun aber auch auf eine umfaſſende Codification fuͤr Deutſchland, wenigſtens wie die Sachen jetzt ſtehen, nicht zu hoffen, ſo ließe ſich doch wohl fuͤr einzelne Rechtstheile und Inſtitute eine gewiſſe Gemeinſchaft der Geſetzgebung erreichen. In der That hat ja auch die Bundesverſammlung Einiges dieſer Art zu Stande gebracht, und in einem beſchraͤnkteren Kreiſe iſt etwas Aehnliches im Zollverein geſchehen, dem ſich, auch wenn er nicht uͤber das ganze Bundesgebiet ausgedehnt wer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/252
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/252>, abgerufen am 17.05.2024.