eines volksthümlichen deutschen Gesetzbuchs*), als Thibaut ei- nen ähnlichen Vorschlag vor Eröffnung des Wiener Congres- ses wiederholte. Sollte jetzt der Geist so stark geworden seyn, daß er auch die Form bezwänge? Ich bezweifle es; aber wollte Gott, daß ich mich irrte.
Die Hindernisse, welche einer Codification in Deutschland entgegen stehen, sind also zunächst rein politischer Natur; ob es auch noch andere giebt? ob unsere Zeit für ein solches Un- ternehmen den Beruf hat? ob es auch nur dem deutschen Rechte heilsam? das sind Fragen, deren Lösung freilich schwer, ja mit voller Sicherheit erst dann möglich ist, wenn auch der Erfolg bei der Beurtheilung zu Rathe gezogen werden kann. Was namentlich den Beruf unserer Zeit betrifft, so scheint es freilich nicht, als ob die deutsche Nation (denn mit dieser ha- ben wir es nur zu thun) in ihrem gegenwärtigen Bestande zu großartigen politischen Schöpfungen besonders befähigt ist, und eine solche würde doch immer eine umfassende Codification seyn. Sie setzt, wenn sie nicht bloß das Bestehende registri- ren will, eine Energie in der Arbeit und Vollziehung voraus, wie sie auch bei hochbegabten Völkern nur selten zu finden ist; selbst die Entwerfung und Durchführung des großen deut- schen Zollvereins, der schönsten Hoffnung des Vaterlandes, ist damit nicht zu vergleichen, wenn auch das freilich noch nicht ganz gesicherte Gelingen dieses großartigen Unternehmens ge- eignet ist, Muth und Zuversicht und Vertrauen auf die Zu- kunft der Nation zu erwecken. Daß es uns aber an der Macht der Sprache, an der rechten Bildung und wissenschaft-
*)H. Conring, de origine juris Germanici (Helmstad. 1643) cap. XXXV.
Achtes Kapitel.
eines volksthuͤmlichen deutſchen Geſetzbuchs*), als Thibaut ei- nen aͤhnlichen Vorſchlag vor Eroͤffnung des Wiener Congreſ- ſes wiederholte. Sollte jetzt der Geiſt ſo ſtark geworden ſeyn, daß er auch die Form bezwaͤnge? Ich bezweifle es; aber wollte Gott, daß ich mich irrte.
Die Hinderniſſe, welche einer Codification in Deutſchland entgegen ſtehen, ſind alſo zunaͤchſt rein politiſcher Natur; ob es auch noch andere giebt? ob unſere Zeit fuͤr ein ſolches Un- ternehmen den Beruf hat? ob es auch nur dem deutſchen Rechte heilſam? das ſind Fragen, deren Loͤſung freilich ſchwer, ja mit voller Sicherheit erſt dann moͤglich iſt, wenn auch der Erfolg bei der Beurtheilung zu Rathe gezogen werden kann. Was namentlich den Beruf unſerer Zeit betrifft, ſo ſcheint es freilich nicht, als ob die deutſche Nation (denn mit dieſer ha- ben wir es nur zu thun) in ihrem gegenwaͤrtigen Beſtande zu großartigen politiſchen Schoͤpfungen beſonders befaͤhigt iſt, und eine ſolche wuͤrde doch immer eine umfaſſende Codification ſeyn. Sie ſetzt, wenn ſie nicht bloß das Beſtehende regiſtri- ren will, eine Energie in der Arbeit und Vollziehung voraus, wie ſie auch bei hochbegabten Voͤlkern nur ſelten zu finden iſt; ſelbſt die Entwerfung und Durchfuͤhrung des großen deut- ſchen Zollvereins, der ſchoͤnſten Hoffnung des Vaterlandes, iſt damit nicht zu vergleichen, wenn auch das freilich noch nicht ganz geſicherte Gelingen dieſes großartigen Unternehmens ge- eignet iſt, Muth und Zuverſicht und Vertrauen auf die Zu- kunft der Nation zu erwecken. Daß es uns aber an der Macht der Sprache, an der rechten Bildung und wiſſenſchaft-
*)H. Conring, de origine juris Germanici (Helmstad. 1643) cap. XXXV.
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Achtes Kapitel.
eines volksthuͤmlichen deutſchen Geſetzbuchs *), als Thibaut ei-
nen aͤhnlichen Vorſchlag vor Eroͤffnung des Wiener Congreſ-
ſes wiederholte. Sollte jetzt der Geiſt ſo ſtark geworden ſeyn,
daß er auch die Form bezwaͤnge? Ich bezweifle es; aber
wollte Gott, daß ich mich irrte.
Die Hinderniſſe, welche einer Codification in Deutſchland
entgegen ſtehen, ſind alſo zunaͤchſt rein politiſcher Natur; ob
es auch noch andere giebt? ob unſere Zeit fuͤr ein ſolches Un-
ternehmen den Beruf hat? ob es auch nur dem deutſchen
Rechte heilſam? das ſind Fragen, deren Loͤſung freilich ſchwer,
ja mit voller Sicherheit erſt dann moͤglich iſt, wenn auch der
Erfolg bei der Beurtheilung zu Rathe gezogen werden kann.
Was namentlich den Beruf unſerer Zeit betrifft, ſo ſcheint es
freilich nicht, als ob die deutſche Nation (denn mit dieſer ha-
ben wir es nur zu thun) in ihrem gegenwaͤrtigen Beſtande
zu großartigen politiſchen Schoͤpfungen beſonders befaͤhigt iſt,
und eine ſolche wuͤrde doch immer eine umfaſſende Codification
ſeyn. Sie ſetzt, wenn ſie nicht bloß das Beſtehende regiſtri-
ren will, eine Energie in der Arbeit und Vollziehung voraus,
wie ſie auch bei hochbegabten Voͤlkern nur ſelten zu finden
iſt; ſelbſt die Entwerfung und Durchfuͤhrung des großen deut-
ſchen Zollvereins, der ſchoͤnſten Hoffnung des Vaterlandes, iſt
damit nicht zu vergleichen, wenn auch das freilich noch nicht
ganz geſicherte Gelingen dieſes großartigen Unternehmens ge-
eignet iſt, Muth und Zuverſicht und Vertrauen auf die Zu-
kunft der Nation zu erwecken. Daß es uns aber an der
Macht der Sprache, an der rechten Bildung und wiſſenſchaft-
*) H. Conring, de origine juris Germanici (Helmstad. 1643)
cap. XXXV.
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/250>, abgerufen am 16.07.2024.
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