bendigen Volksrechts zu seyn: sie ist, wenn auch verbrieft und versiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergesunken. Und wie dürftig und unbedeutend sind auch die Rechtsverhält- nisse, die sich gegenwärtig in dieser Sphäre darstellen: ein todtes Formenwesen, ohne frische Kraft und inneres Leben, kaum unterbrochen durch ärgerliche Competenzstreitigkeiten der einzelnen verwandten Zünfte unter einander oder durch ein kleinliches Ueberwachen der Pfuscher und Landhandwerker, stets bedroht durch die Anforderung der Mitbürger auf freie Concur- renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.
Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein bestimmtes und gemeinschaftliches Interesse, welches sich vorzugsweise im Ge- gensatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erst in neue- ster Zeit ist man in Deutschland der richtigen Einsicht näher gekommen, daß zuletzt doch diese scheinbar so getrennten In- teressen in dem höheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl- fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch besteht der Kampf, und ganz kann er der Natur der Verhältnisse nach nie aufhö- ren. Hier die weise Vermittlung, auch in der Landesverfas- sung durchzuführen, ist die Aufgabe der staatsmännischen Weis- heit, welche bei der Berücksichtigung des Theiles stets das Ganze im Auge behält. Aber zu einem eigenen Stande der Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird es auch nicht kommen, wenn auch an und für sich, wenigstens in Staaten, wo die Industrie dauernd und solide begründet worden, dazu dieselbe Veranlassung gegeben ist, als etwa für die Abschließung der großen Grundbesitzer in einem Stande der Ritterschaft. Denn die moderne Zeit widerstrebt überhaupt dem gesonderten Ständewesen, und die Fabrikanten so wenig wie die Kaufleute machen einen Anspruch darauf, sich dem Staats-
Siebentes Kapitel.
bendigen Volksrechts zu ſeyn: ſie iſt, wenn auch verbrieft und verſiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergeſunken. Und wie duͤrftig und unbedeutend ſind auch die Rechtsverhaͤlt- niſſe, die ſich gegenwaͤrtig in dieſer Sphaͤre darſtellen: ein todtes Formenweſen, ohne friſche Kraft und inneres Leben, kaum unterbrochen durch aͤrgerliche Competenzſtreitigkeiten der einzelnen verwandten Zuͤnfte unter einander oder durch ein kleinliches Ueberwachen der Pfuſcher und Landhandwerker, ſtets bedroht durch die Anforderung der Mitbuͤrger auf freie Concur- renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.
Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein beſtimmtes und gemeinſchaftliches Intereſſe, welches ſich vorzugsweiſe im Ge- genſatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erſt in neue- ſter Zeit iſt man in Deutſchland der richtigen Einſicht naͤher gekommen, daß zuletzt doch dieſe ſcheinbar ſo getrennten In- tereſſen in dem hoͤheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl- fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch beſteht der Kampf, und ganz kann er der Natur der Verhaͤltniſſe nach nie aufhoͤ- ren. Hier die weiſe Vermittlung, auch in der Landesverfaſ- ſung durchzufuͤhren, iſt die Aufgabe der ſtaatsmaͤnniſchen Weis- heit, welche bei der Beruͤckſichtigung des Theiles ſtets das Ganze im Auge behaͤlt. Aber zu einem eigenen Stande der Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird es auch nicht kommen, wenn auch an und fuͤr ſich, wenigſtens in Staaten, wo die Induſtrie dauernd und ſolide begruͤndet worden, dazu dieſelbe Veranlaſſung gegeben iſt, als etwa fuͤr die Abſchließung der großen Grundbeſitzer in einem Stande der Ritterſchaft. Denn die moderne Zeit widerſtrebt uͤberhaupt dem geſonderten Staͤndeweſen, und die Fabrikanten ſo wenig wie die Kaufleute machen einen Anſpruch darauf, ſich dem Staats-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0236"n="224"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Siebentes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
bendigen Volksrechts zu ſeyn: ſie iſt, wenn auch verbrieft und<lb/>
verſiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergeſunken.<lb/>
Und wie duͤrftig und unbedeutend ſind auch die Rechtsverhaͤlt-<lb/>
niſſe, die ſich gegenwaͤrtig in dieſer Sphaͤre darſtellen: ein<lb/>
todtes Formenweſen, ohne friſche Kraft und inneres Leben,<lb/>
kaum unterbrochen durch aͤrgerliche Competenzſtreitigkeiten der<lb/>
einzelnen verwandten Zuͤnfte unter einander oder durch ein<lb/>
kleinliches Ueberwachen der Pfuſcher und Landhandwerker, ſtets<lb/>
bedroht durch die Anforderung der Mitbuͤrger auf freie Concur-<lb/>
renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.</p><lb/><p>Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein beſtimmtes und<lb/>
gemeinſchaftliches Intereſſe, welches ſich vorzugsweiſe im Ge-<lb/>
genſatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erſt in neue-<lb/>ſter Zeit iſt man in Deutſchland der richtigen Einſicht naͤher<lb/>
gekommen, daß zuletzt doch dieſe ſcheinbar ſo getrennten In-<lb/>
tereſſen in dem hoͤheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl-<lb/>
fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch beſteht der Kampf,<lb/>
und ganz kann er der Natur der Verhaͤltniſſe nach nie aufhoͤ-<lb/>
ren. Hier die weiſe Vermittlung, auch in der Landesverfaſ-<lb/>ſung durchzufuͤhren, iſt die Aufgabe der ſtaatsmaͤnniſchen Weis-<lb/>
heit, welche bei der Beruͤckſichtigung des Theiles ſtets das<lb/>
Ganze im Auge behaͤlt. Aber zu einem eigenen Stande der<lb/>
Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird<lb/>
es auch nicht kommen, wenn auch an und fuͤr ſich, wenigſtens<lb/>
in Staaten, wo die Induſtrie dauernd und ſolide begruͤndet<lb/>
worden, dazu dieſelbe Veranlaſſung gegeben iſt, als etwa fuͤr<lb/>
die Abſchließung der großen Grundbeſitzer in einem Stande<lb/>
der Ritterſchaft. Denn die moderne Zeit widerſtrebt uͤberhaupt<lb/>
dem geſonderten Staͤndeweſen, und die Fabrikanten ſo wenig wie<lb/>
die Kaufleute machen einen Anſpruch darauf, ſich dem Staats-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[224/0236]
Siebentes Kapitel.
bendigen Volksrechts zu ſeyn: ſie iſt, wenn auch verbrieft und
verſiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergeſunken.
Und wie duͤrftig und unbedeutend ſind auch die Rechtsverhaͤlt-
niſſe, die ſich gegenwaͤrtig in dieſer Sphaͤre darſtellen: ein
todtes Formenweſen, ohne friſche Kraft und inneres Leben,
kaum unterbrochen durch aͤrgerliche Competenzſtreitigkeiten der
einzelnen verwandten Zuͤnfte unter einander oder durch ein
kleinliches Ueberwachen der Pfuſcher und Landhandwerker, ſtets
bedroht durch die Anforderung der Mitbuͤrger auf freie Concur-
renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.
Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein beſtimmtes und
gemeinſchaftliches Intereſſe, welches ſich vorzugsweiſe im Ge-
genſatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erſt in neue-
ſter Zeit iſt man in Deutſchland der richtigen Einſicht naͤher
gekommen, daß zuletzt doch dieſe ſcheinbar ſo getrennten In-
tereſſen in dem hoͤheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl-
fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch beſteht der Kampf,
und ganz kann er der Natur der Verhaͤltniſſe nach nie aufhoͤ-
ren. Hier die weiſe Vermittlung, auch in der Landesverfaſ-
ſung durchzufuͤhren, iſt die Aufgabe der ſtaatsmaͤnniſchen Weis-
heit, welche bei der Beruͤckſichtigung des Theiles ſtets das
Ganze im Auge behaͤlt. Aber zu einem eigenen Stande der
Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird
es auch nicht kommen, wenn auch an und fuͤr ſich, wenigſtens
in Staaten, wo die Induſtrie dauernd und ſolide begruͤndet
worden, dazu dieſelbe Veranlaſſung gegeben iſt, als etwa fuͤr
die Abſchließung der großen Grundbeſitzer in einem Stande
der Ritterſchaft. Denn die moderne Zeit widerſtrebt uͤberhaupt
dem geſonderten Staͤndeweſen, und die Fabrikanten ſo wenig wie
die Kaufleute machen einen Anſpruch darauf, ſich dem Staats-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/236>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.