Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Kapitel.
bendigen Volksrechts zu seyn: sie ist, wenn auch verbrieft und
versiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergesunken.
Und wie dürftig und unbedeutend sind auch die Rechtsverhält-
nisse, die sich gegenwärtig in dieser Sphäre darstellen: ein
todtes Formenwesen, ohne frische Kraft und inneres Leben,
kaum unterbrochen durch ärgerliche Competenzstreitigkeiten der
einzelnen verwandten Zünfte unter einander oder durch ein
kleinliches Ueberwachen der Pfuscher und Landhandwerker, stets
bedroht durch die Anforderung der Mitbürger auf freie Concur-
renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.

Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein bestimmtes und
gemeinschaftliches Interesse, welches sich vorzugsweise im Ge-
gensatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erst in neue-
ster Zeit ist man in Deutschland der richtigen Einsicht näher
gekommen, daß zuletzt doch diese scheinbar so getrennten In-
teressen in dem höheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl-
fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch besteht der Kampf,
und ganz kann er der Natur der Verhältnisse nach nie aufhö-
ren. Hier die weise Vermittlung, auch in der Landesverfas-
sung durchzuführen, ist die Aufgabe der staatsmännischen Weis-
heit, welche bei der Berücksichtigung des Theiles stets das
Ganze im Auge behält. Aber zu einem eigenen Stande der
Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird
es auch nicht kommen, wenn auch an und für sich, wenigstens
in Staaten, wo die Industrie dauernd und solide begründet
worden, dazu dieselbe Veranlassung gegeben ist, als etwa für
die Abschließung der großen Grundbesitzer in einem Stande
der Ritterschaft. Denn die moderne Zeit widerstrebt überhaupt
dem gesonderten Ständewesen, und die Fabrikanten so wenig wie
die Kaufleute machen einen Anspruch darauf, sich dem Staats-

Siebentes Kapitel.
bendigen Volksrechts zu ſeyn: ſie iſt, wenn auch verbrieft und
verſiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergeſunken.
Und wie duͤrftig und unbedeutend ſind auch die Rechtsverhaͤlt-
niſſe, die ſich gegenwaͤrtig in dieſer Sphaͤre darſtellen: ein
todtes Formenweſen, ohne friſche Kraft und inneres Leben,
kaum unterbrochen durch aͤrgerliche Competenzſtreitigkeiten der
einzelnen verwandten Zuͤnfte unter einander oder durch ein
kleinliches Ueberwachen der Pfuſcher und Landhandwerker, ſtets
bedroht durch die Anforderung der Mitbuͤrger auf freie Concur-
renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.

Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein beſtimmtes und
gemeinſchaftliches Intereſſe, welches ſich vorzugsweiſe im Ge-
genſatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erſt in neue-
ſter Zeit iſt man in Deutſchland der richtigen Einſicht naͤher
gekommen, daß zuletzt doch dieſe ſcheinbar ſo getrennten In-
tereſſen in dem hoͤheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl-
fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch beſteht der Kampf,
und ganz kann er der Natur der Verhaͤltniſſe nach nie aufhoͤ-
ren. Hier die weiſe Vermittlung, auch in der Landesverfaſ-
ſung durchzufuͤhren, iſt die Aufgabe der ſtaatsmaͤnniſchen Weis-
heit, welche bei der Beruͤckſichtigung des Theiles ſtets das
Ganze im Auge behaͤlt. Aber zu einem eigenen Stande der
Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird
es auch nicht kommen, wenn auch an und fuͤr ſich, wenigſtens
in Staaten, wo die Induſtrie dauernd und ſolide begruͤndet
worden, dazu dieſelbe Veranlaſſung gegeben iſt, als etwa fuͤr
die Abſchließung der großen Grundbeſitzer in einem Stande
der Ritterſchaft. Denn die moderne Zeit widerſtrebt uͤberhaupt
dem geſonderten Staͤndeweſen, und die Fabrikanten ſo wenig wie
die Kaufleute machen einen Anſpruch darauf, ſich dem Staats-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0236" n="224"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
bendigen Volksrechts zu &#x017F;eyn: &#x017F;ie i&#x017F;t, wenn auch verbrieft und<lb/>
ver&#x017F;iegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht herunterge&#x017F;unken.<lb/>
Und wie du&#x0364;rftig und unbedeutend &#x017F;ind auch die Rechtsverha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ich gegenwa&#x0364;rtig in die&#x017F;er Spha&#x0364;re dar&#x017F;tellen: ein<lb/>
todtes Formenwe&#x017F;en, ohne fri&#x017F;che Kraft und inneres Leben,<lb/>
kaum unterbrochen durch a&#x0364;rgerliche Competenz&#x017F;treitigkeiten der<lb/>
einzelnen verwandten Zu&#x0364;nfte unter einander oder durch ein<lb/>
kleinliches Ueberwachen der Pfu&#x017F;cher und Landhandwerker, &#x017F;tets<lb/>
bedroht durch die Anforderung der Mitbu&#x0364;rger auf freie Concur-<lb/>
renz und durch die Uebermacht der Fabrikation.</p><lb/>
            <p>Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein be&#x017F;timmtes und<lb/>
gemein&#x017F;chaftliches Intere&#x017F;&#x017F;e, welches &#x017F;ich vorzugswei&#x017F;e im Ge-<lb/>
gen&#x017F;atze zu dem der Landwirthe geltend macht. Er&#x017F;t in neue-<lb/>
&#x017F;ter Zeit i&#x017F;t man in Deut&#x017F;chland der richtigen Ein&#x017F;icht na&#x0364;her<lb/>
gekommen, daß zuletzt doch die&#x017F;e &#x017F;cheinbar &#x017F;o getrennten In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;en in dem ho&#x0364;heren Ziele der nationalen Kraft und Wohl-<lb/>
fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch be&#x017F;teht der Kampf,<lb/>
und ganz kann er der Natur der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e nach nie aufho&#x0364;-<lb/>
ren. Hier die wei&#x017F;e Vermittlung, auch in der Landesverfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung durchzufu&#x0364;hren, i&#x017F;t die Aufgabe der &#x017F;taatsma&#x0364;nni&#x017F;chen Weis-<lb/>
heit, welche bei der Beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigung des Theiles &#x017F;tets das<lb/>
Ganze im Auge beha&#x0364;lt. Aber zu einem eigenen Stande der<lb/>
Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird<lb/>
es auch nicht kommen, wenn auch an und fu&#x0364;r &#x017F;ich, wenig&#x017F;tens<lb/>
in Staaten, wo die Indu&#x017F;trie dauernd und &#x017F;olide begru&#x0364;ndet<lb/>
worden, dazu die&#x017F;elbe Veranla&#x017F;&#x017F;ung gegeben i&#x017F;t, als etwa fu&#x0364;r<lb/>
die Ab&#x017F;chließung der großen Grundbe&#x017F;itzer in einem Stande<lb/>
der Ritter&#x017F;chaft. Denn die moderne Zeit wider&#x017F;trebt u&#x0364;berhaupt<lb/>
dem ge&#x017F;onderten Sta&#x0364;ndewe&#x017F;en, und die Fabrikanten &#x017F;o wenig wie<lb/>
die Kaufleute machen einen An&#x017F;pruch darauf, &#x017F;ich dem Staats-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0236] Siebentes Kapitel. bendigen Volksrechts zu ſeyn: ſie iſt, wenn auch verbrieft und verſiegelt, zu einem bloßen Gewohnheitsrecht heruntergeſunken. Und wie duͤrftig und unbedeutend ſind auch die Rechtsverhaͤlt- niſſe, die ſich gegenwaͤrtig in dieſer Sphaͤre darſtellen: ein todtes Formenweſen, ohne friſche Kraft und inneres Leben, kaum unterbrochen durch aͤrgerliche Competenzſtreitigkeiten der einzelnen verwandten Zuͤnfte unter einander oder durch ein kleinliches Ueberwachen der Pfuſcher und Landhandwerker, ſtets bedroht durch die Anforderung der Mitbuͤrger auf freie Concur- renz und durch die Uebermacht der Fabrikation. Die Fabrikanten dagegen verfolgen ein beſtimmtes und gemeinſchaftliches Intereſſe, welches ſich vorzugsweiſe im Ge- genſatze zu dem der Landwirthe geltend macht. Erſt in neue- ſter Zeit iſt man in Deutſchland der richtigen Einſicht naͤher gekommen, daß zuletzt doch dieſe ſcheinbar ſo getrennten In- tereſſen in dem hoͤheren Ziele der nationalen Kraft und Wohl- fahrt ihre Vereinigung finden; aber noch beſteht der Kampf, und ganz kann er der Natur der Verhaͤltniſſe nach nie aufhoͤ- ren. Hier die weiſe Vermittlung, auch in der Landesverfaſ- ſung durchzufuͤhren, iſt die Aufgabe der ſtaatsmaͤnniſchen Weis- heit, welche bei der Beruͤckſichtigung des Theiles ſtets das Ganze im Auge behaͤlt. Aber zu einem eigenen Stande der Fabrikanten hat man es doch nicht gebracht, und dazu wird es auch nicht kommen, wenn auch an und fuͤr ſich, wenigſtens in Staaten, wo die Induſtrie dauernd und ſolide begruͤndet worden, dazu dieſelbe Veranlaſſung gegeben iſt, als etwa fuͤr die Abſchließung der großen Grundbeſitzer in einem Stande der Ritterſchaft. Denn die moderne Zeit widerſtrebt uͤberhaupt dem geſonderten Staͤndeweſen, und die Fabrikanten ſo wenig wie die Kaufleute machen einen Anſpruch darauf, ſich dem Staats-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/236
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/236>, abgerufen am 02.05.2024.