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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft.
teresse dabei in Betracht kommt, ihre Verfassung selbständig
zu ordnen, und dauernde Normen, welche die Corporation als
solche und also auch alle einzelnen Mitglieder binden, gültig
zu erlassen. Den Gemeinden ist diese Autonomie fast ganz
entrissen, obgleich sie denselben erst die rechte Selbständigkeit
giebt, und weise beschränkt und den Anforderungen des mo-
dernen Staats unterworfen, das beste Mittel seyn würde, die
so lästige und demüthigende Bevormundung der Bürger durch
eine stets thätige Regierungsgewalt zu beseitigen. Den Ge-
nossenschaften steht die Autonomie noch zu, insofern nicht die
Anforderungen des Staates und die Rechte dritter Personen
ihre Ausübung beschränken.

In der Regel ist daher die Verfassung jeder einzelnen Ge-
nossenschaft nach ihren besonderen Statuten und, was diesen
gleichkommt, nach der Observanz zu beurtheilen; doch lassen
sich einige allgemeine Grundsätze aufstellen, welche, wenn nicht
specielle Gründe entgegenstehen, ihre Anwendung finden müssen.

1. Der Wille der Genossenschaft spricht sich in der Ma-
jorität der stimmberechtigten Mitglieder aus, und zwar derje-
nigen, welche in einer Generalversammlung erschienen sind,
vorausgesetzt, daß alle dazu ordnungsmäßig geladen, was je-
doch auch durch eine Bekanntmachung in öffentlichen Blät-
tern geschehen kann, und daß dabei die Gegenstände der Ver-
handlung und Beschlußnahme ausdrücklich angegeben worden
sind. Denn unter dieser Voraussetzung müssen die Ausblei-
benden sich dem Beschluß der Majorität fügen, weil anzuneh-
men ist, daß sie für den besonderen Fall auf ihr Stimmrecht
verzichtet haben. Eine Uebertragung der Stimme des Aus-
bleibenden auf einen andern Genossen oder die Abgabe der
Stimme durch einen Bevollmächtigten läßt sich juristisch kaum

Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.
tereſſe dabei in Betracht kommt, ihre Verfaſſung ſelbſtaͤndig
zu ordnen, und dauernde Normen, welche die Corporation als
ſolche und alſo auch alle einzelnen Mitglieder binden, guͤltig
zu erlaſſen. Den Gemeinden iſt dieſe Autonomie faſt ganz
entriſſen, obgleich ſie denſelben erſt die rechte Selbſtaͤndigkeit
giebt, und weiſe beſchraͤnkt und den Anforderungen des mo-
dernen Staats unterworfen, das beſte Mittel ſeyn wuͤrde, die
ſo laͤſtige und demuͤthigende Bevormundung der Buͤrger durch
eine ſtets thaͤtige Regierungsgewalt zu beſeitigen. Den Ge-
noſſenſchaften ſteht die Autonomie noch zu, inſofern nicht die
Anforderungen des Staates und die Rechte dritter Perſonen
ihre Ausuͤbung beſchraͤnken.

In der Regel iſt daher die Verfaſſung jeder einzelnen Ge-
noſſenſchaft nach ihren beſonderen Statuten und, was dieſen
gleichkommt, nach der Obſervanz zu beurtheilen; doch laſſen
ſich einige allgemeine Grundſaͤtze aufſtellen, welche, wenn nicht
ſpecielle Gruͤnde entgegenſtehen, ihre Anwendung finden muͤſſen.

1. Der Wille der Genoſſenſchaft ſpricht ſich in der Ma-
joritaͤt der ſtimmberechtigten Mitglieder aus, und zwar derje-
nigen, welche in einer Generalverſammlung erſchienen ſind,
vorausgeſetzt, daß alle dazu ordnungsmaͤßig geladen, was je-
doch auch durch eine Bekanntmachung in oͤffentlichen Blaͤt-
tern geſchehen kann, und daß dabei die Gegenſtaͤnde der Ver-
handlung und Beſchlußnahme ausdruͤcklich angegeben worden
ſind. Denn unter dieſer Vorausſetzung muͤſſen die Ausblei-
benden ſich dem Beſchluß der Majoritaͤt fuͤgen, weil anzuneh-
men iſt, daß ſie fuͤr den beſonderen Fall auf ihr Stimmrecht
verzichtet haben. Eine Uebertragung der Stimme des Aus-
bleibenden auf einen andern Genoſſen oder die Abgabe der
Stimme durch einen Bevollmaͤchtigten laͤßt ſich juriſtiſch kaum

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[183/0195] Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. tereſſe dabei in Betracht kommt, ihre Verfaſſung ſelbſtaͤndig zu ordnen, und dauernde Normen, welche die Corporation als ſolche und alſo auch alle einzelnen Mitglieder binden, guͤltig zu erlaſſen. Den Gemeinden iſt dieſe Autonomie faſt ganz entriſſen, obgleich ſie denſelben erſt die rechte Selbſtaͤndigkeit giebt, und weiſe beſchraͤnkt und den Anforderungen des mo- dernen Staats unterworfen, das beſte Mittel ſeyn wuͤrde, die ſo laͤſtige und demuͤthigende Bevormundung der Buͤrger durch eine ſtets thaͤtige Regierungsgewalt zu beſeitigen. Den Ge- noſſenſchaften ſteht die Autonomie noch zu, inſofern nicht die Anforderungen des Staates und die Rechte dritter Perſonen ihre Ausuͤbung beſchraͤnken. In der Regel iſt daher die Verfaſſung jeder einzelnen Ge- noſſenſchaft nach ihren beſonderen Statuten und, was dieſen gleichkommt, nach der Obſervanz zu beurtheilen; doch laſſen ſich einige allgemeine Grundſaͤtze aufſtellen, welche, wenn nicht ſpecielle Gruͤnde entgegenſtehen, ihre Anwendung finden muͤſſen. 1. Der Wille der Genoſſenſchaft ſpricht ſich in der Ma- joritaͤt der ſtimmberechtigten Mitglieder aus, und zwar derje- nigen, welche in einer Generalverſammlung erſchienen ſind, vorausgeſetzt, daß alle dazu ordnungsmaͤßig geladen, was je- doch auch durch eine Bekanntmachung in oͤffentlichen Blaͤt- tern geſchehen kann, und daß dabei die Gegenſtaͤnde der Ver- handlung und Beſchlußnahme ausdruͤcklich angegeben worden ſind. Denn unter dieſer Vorausſetzung muͤſſen die Ausblei- benden ſich dem Beſchluß der Majoritaͤt fuͤgen, weil anzuneh- men iſt, daß ſie fuͤr den beſonderen Fall auf ihr Stimmrecht verzichtet haben. Eine Uebertragung der Stimme des Aus- bleibenden auf einen andern Genoſſen oder die Abgabe der Stimme durch einen Bevollmaͤchtigten laͤßt ſich juriſtiſch kaum

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/195>, abgerufen am 30.04.2024.