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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft.

3. Eine eigenthümliche Auffassung der hier behandelten
Frage findet sich bei v. Savigny. Er sagt*):
"Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung zur Ent-
stehung jeder juristischen Person hat, unabhängig von poli-
tischen Rücksichten, einen durchgreifenden juristischen Grund.
Der einzelne Mensch trägt seinen Anspruch auf Rechtsfä-
higkeit schon in seiner leiblichen Erscheinung mit sich: weit
allgemeiner als bei den Römern, deren zahlreiche Sklaven
eine so wichtige Ausnahme bildeten. Durch diese Erschei-
nung weiß jeder Andere, daß er in ihm eigene Rechte zu ehren,
jeder Richter, daß er in ihm solche Rechte zu schützen hat.
Wird nun die natürliche Rechtsfähigkeit des einzelnen Men-
schen durch Fiction auf ein ideales Subject übertragen, so
fehlt jene natürliche Beglaubigung gänzlich; nur der Wille
der höchsten Gewalt kann dieselbe ersetzen, indem er künst-
liche Rechtssubjecte schafft, und wollte man dieselbe Macht
der Privatwillkühr überlassen, so würde unvermeidlich die
höchste Ungewißheit des Rechtszustandes entstehen, selbst ab-
gesehen von dem großen Misbrauch, der durch unredlichen
Willen möglich wäre. Zu diesem durchgreifenden juristi-
schen Grunde treten aber noch politische und staatswirth-
schaftliche Gründe hinzu u. s. w."

Ich sehe nicht ein, wie dieser Grund mit Fug ein juri-
stischer
genannt werden kann. Denn ein solcher muß doch aus
einer Rechtsregel herzuleiten seyn; die erhöhte Rechtssicherheit
aber, welche durch die Staatsgenehmigung erlangt werden soll,
ist kein juristisches, sondern ein politisches Moment, da sie auf
der Zweckmäßigkeit beruht. Mit demselben Rechte könnte man

*) System des heutigen römischen Rechts. II. S. 277. 278.
Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.

3. Eine eigenthuͤmliche Auffaſſung der hier behandelten
Frage findet ſich bei v. Savigny. Er ſagt*):
„Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung zur Ent-
ſtehung jeder juriſtiſchen Perſon hat, unabhaͤngig von poli-
tiſchen Ruͤckſichten, einen durchgreifenden juriſtiſchen Grund.
Der einzelne Menſch traͤgt ſeinen Anſpruch auf Rechtsfaͤ-
higkeit ſchon in ſeiner leiblichen Erſcheinung mit ſich: weit
allgemeiner als bei den Roͤmern, deren zahlreiche Sklaven
eine ſo wichtige Ausnahme bildeten. Durch dieſe Erſchei-
nung weiß jeder Andere, daß er in ihm eigene Rechte zu ehren,
jeder Richter, daß er in ihm ſolche Rechte zu ſchuͤtzen hat.
Wird nun die natuͤrliche Rechtsfaͤhigkeit des einzelnen Men-
ſchen durch Fiction auf ein ideales Subject uͤbertragen, ſo
fehlt jene natuͤrliche Beglaubigung gaͤnzlich; nur der Wille
der hoͤchſten Gewalt kann dieſelbe erſetzen, indem er kuͤnſt-
liche Rechtsſubjecte ſchafft, und wollte man dieſelbe Macht
der Privatwillkuͤhr uͤberlaſſen, ſo wuͤrde unvermeidlich die
hoͤchſte Ungewißheit des Rechtszuſtandes entſtehen, ſelbſt ab-
geſehen von dem großen Misbrauch, der durch unredlichen
Willen moͤglich waͤre. Zu dieſem durchgreifenden juriſti-
ſchen Grunde treten aber noch politiſche und ſtaatswirth-
ſchaftliche Gruͤnde hinzu u. ſ. w.“

Ich ſehe nicht ein, wie dieſer Grund mit Fug ein juri-
ſtiſcher
genannt werden kann. Denn ein ſolcher muß doch aus
einer Rechtsregel herzuleiten ſeyn; die erhoͤhte Rechtsſicherheit
aber, welche durch die Staatsgenehmigung erlangt werden ſoll,
iſt kein juriſtiſches, ſondern ein politiſches Moment, da ſie auf
der Zweckmaͤßigkeit beruht. Mit demſelben Rechte koͤnnte man

*) Syſtem des heutigen roͤmiſchen Rechts. II. S. 277. 278.
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[175/0187] Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. 3. Eine eigenthuͤmliche Auffaſſung der hier behandelten Frage findet ſich bei v. Savigny. Er ſagt *): „Die Nothwendigkeit der Staatsgenehmigung zur Ent- ſtehung jeder juriſtiſchen Perſon hat, unabhaͤngig von poli- tiſchen Ruͤckſichten, einen durchgreifenden juriſtiſchen Grund. Der einzelne Menſch traͤgt ſeinen Anſpruch auf Rechtsfaͤ- higkeit ſchon in ſeiner leiblichen Erſcheinung mit ſich: weit allgemeiner als bei den Roͤmern, deren zahlreiche Sklaven eine ſo wichtige Ausnahme bildeten. Durch dieſe Erſchei- nung weiß jeder Andere, daß er in ihm eigene Rechte zu ehren, jeder Richter, daß er in ihm ſolche Rechte zu ſchuͤtzen hat. Wird nun die natuͤrliche Rechtsfaͤhigkeit des einzelnen Men- ſchen durch Fiction auf ein ideales Subject uͤbertragen, ſo fehlt jene natuͤrliche Beglaubigung gaͤnzlich; nur der Wille der hoͤchſten Gewalt kann dieſelbe erſetzen, indem er kuͤnſt- liche Rechtsſubjecte ſchafft, und wollte man dieſelbe Macht der Privatwillkuͤhr uͤberlaſſen, ſo wuͤrde unvermeidlich die hoͤchſte Ungewißheit des Rechtszuſtandes entſtehen, ſelbſt ab- geſehen von dem großen Misbrauch, der durch unredlichen Willen moͤglich waͤre. Zu dieſem durchgreifenden juriſti- ſchen Grunde treten aber noch politiſche und ſtaatswirth- ſchaftliche Gruͤnde hinzu u. ſ. w.“ Ich ſehe nicht ein, wie dieſer Grund mit Fug ein juri- ſtiſcher genannt werden kann. Denn ein ſolcher muß doch aus einer Rechtsregel herzuleiten ſeyn; die erhoͤhte Rechtsſicherheit aber, welche durch die Staatsgenehmigung erlangt werden ſoll, iſt kein juriſtiſches, ſondern ein politiſches Moment, da ſie auf der Zweckmaͤßigkeit beruht. Mit demſelben Rechte koͤnnte man *) Syſtem des heutigen roͤmiſchen Rechts. II. S. 277. 278.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/187>, abgerufen am 30.04.2024.