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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft.
gen, Ganerbschaften, religiöse Vereine, geistliche Ritterorden
u. s. w. entstehen. Doch soll damit nicht gesagt seyn, daß
stets die eine Art der Genossenschaften so, die andere anders
begründet worden: die reiche Mannichfaltigkeit des mittelaltri-
gen Rechtslebens hat sich auch dabei auf die verschiedenste
Weise geltend gemacht.

Fragen wir nun, ob denn auch gegenwärtig, im moder-
nen Staate die Genossenschaft noch auf jene zwiefache Art her-
vorgerufen werde, so soll nicht durchaus in Abrede gestellt wer-
den, daß es nicht auf dem Wege der allmäligen Entwicklung
auch jetzt noch geschehen könne; es ist sogar anzunehmen, daß
die eine oder die andere der vielen vorhandenen Genossenschaf-
ten in der angegebenen Weise auch in neuerer Zeit zum Be-
wußtseyn ihrer Existenz, zur organischen Gestaltung und zur
allgemeinen Anerkennung gekommen ist. Aber gegenwärtig,
wo überhaupt die bewußte That statt der stillen Naturbildung
einzugreifen pflegt, wenn überhaupt tüchtige Kräfte vorhanden
sind und sich frei bewegen können, -- gegenwärtig wird doch
regelmäßig eine neue Genossenschaft durch einen bestimmten
juristischen Act constituirt werden, indem die Einzelnen, welche
den Verein gründen wollen, nachdem sie über den Zweck und
die Organisation desselben einig geworden sind, die Erklärung
abgeben, daß die Genossenschaft, der jetzt auch ein bestimmter
Name beigelegt zu werden pflegt, als solche bestehen soll, und
daß sie, die Gründer, sich nun als Mitglieder derselben anse-
hen. Insofern diese Willenserklärung durch die Uebereinstim-
mung der Einzelnen erst möglich wird, beruht sie nothwendig
auf einem Vertrage; allein an und für sich ist sie kein Ver-
trag, wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne, sondern eben
ein constituirender Act, mit welchem sich der Gesammtwille

Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.
gen, Ganerbſchaften, religioͤſe Vereine, geiſtliche Ritterorden
u. ſ. w. entſtehen. Doch ſoll damit nicht geſagt ſeyn, daß
ſtets die eine Art der Genoſſenſchaften ſo, die andere anders
begruͤndet worden: die reiche Mannichfaltigkeit des mittelaltri-
gen Rechtslebens hat ſich auch dabei auf die verſchiedenſte
Weiſe geltend gemacht.

Fragen wir nun, ob denn auch gegenwaͤrtig, im moder-
nen Staate die Genoſſenſchaft noch auf jene zwiefache Art her-
vorgerufen werde, ſo ſoll nicht durchaus in Abrede geſtellt wer-
den, daß es nicht auf dem Wege der allmaͤligen Entwicklung
auch jetzt noch geſchehen koͤnne; es iſt ſogar anzunehmen, daß
die eine oder die andere der vielen vorhandenen Genoſſenſchaf-
ten in der angegebenen Weiſe auch in neuerer Zeit zum Be-
wußtſeyn ihrer Exiſtenz, zur organiſchen Geſtaltung und zur
allgemeinen Anerkennung gekommen iſt. Aber gegenwaͤrtig,
wo uͤberhaupt die bewußte That ſtatt der ſtillen Naturbildung
einzugreifen pflegt, wenn uͤberhaupt tuͤchtige Kraͤfte vorhanden
ſind und ſich frei bewegen koͤnnen, — gegenwaͤrtig wird doch
regelmaͤßig eine neue Genoſſenſchaft durch einen beſtimmten
juriſtiſchen Act conſtituirt werden, indem die Einzelnen, welche
den Verein gruͤnden wollen, nachdem ſie uͤber den Zweck und
die Organiſation deſſelben einig geworden ſind, die Erklaͤrung
abgeben, daß die Genoſſenſchaft, der jetzt auch ein beſtimmter
Name beigelegt zu werden pflegt, als ſolche beſtehen ſoll, und
daß ſie, die Gruͤnder, ſich nun als Mitglieder derſelben anſe-
hen. Inſofern dieſe Willenserklaͤrung durch die Uebereinſtim-
mung der Einzelnen erſt moͤglich wird, beruht ſie nothwendig
auf einem Vertrage; allein an und fuͤr ſich iſt ſie kein Ver-
trag, wenigſtens nicht im gewoͤhnlichen Sinne, ſondern eben
ein conſtituirender Act, mit welchem ſich der Geſammtwille

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[171/0183] Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. gen, Ganerbſchaften, religioͤſe Vereine, geiſtliche Ritterorden u. ſ. w. entſtehen. Doch ſoll damit nicht geſagt ſeyn, daß ſtets die eine Art der Genoſſenſchaften ſo, die andere anders begruͤndet worden: die reiche Mannichfaltigkeit des mittelaltri- gen Rechtslebens hat ſich auch dabei auf die verſchiedenſte Weiſe geltend gemacht. Fragen wir nun, ob denn auch gegenwaͤrtig, im moder- nen Staate die Genoſſenſchaft noch auf jene zwiefache Art her- vorgerufen werde, ſo ſoll nicht durchaus in Abrede geſtellt wer- den, daß es nicht auf dem Wege der allmaͤligen Entwicklung auch jetzt noch geſchehen koͤnne; es iſt ſogar anzunehmen, daß die eine oder die andere der vielen vorhandenen Genoſſenſchaf- ten in der angegebenen Weiſe auch in neuerer Zeit zum Be- wußtſeyn ihrer Exiſtenz, zur organiſchen Geſtaltung und zur allgemeinen Anerkennung gekommen iſt. Aber gegenwaͤrtig, wo uͤberhaupt die bewußte That ſtatt der ſtillen Naturbildung einzugreifen pflegt, wenn uͤberhaupt tuͤchtige Kraͤfte vorhanden ſind und ſich frei bewegen koͤnnen, — gegenwaͤrtig wird doch regelmaͤßig eine neue Genoſſenſchaft durch einen beſtimmten juriſtiſchen Act conſtituirt werden, indem die Einzelnen, welche den Verein gruͤnden wollen, nachdem ſie uͤber den Zweck und die Organiſation deſſelben einig geworden ſind, die Erklaͤrung abgeben, daß die Genoſſenſchaft, der jetzt auch ein beſtimmter Name beigelegt zu werden pflegt, als ſolche beſtehen ſoll, und daß ſie, die Gruͤnder, ſich nun als Mitglieder derſelben anſe- hen. Inſofern dieſe Willenserklaͤrung durch die Uebereinſtim- mung der Einzelnen erſt moͤglich wird, beruht ſie nothwendig auf einem Vertrage; allein an und fuͤr ſich iſt ſie kein Ver- trag, wenigſtens nicht im gewoͤhnlichen Sinne, ſondern eben ein conſtituirender Act, mit welchem ſich der Geſammtwille

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/183>, abgerufen am 30.04.2024.