der Staatsgewalt vorgenommen werden, und daß die Gerichte auf die Anwendung dieses Landesrechts verpflichtet sind. u)
Dieß Princip der Territorialität reicht jedoch nicht aus, um in allen Fällen, wo es sich um die mögliche Kollision inländischer und fremder Gesetze handelt, die Regel für die Entscheidung zu geben. Der einzelne Staat ist nicht isolirt hingestellt, und kann sich nicht ausschließ- lich darauf beschränken, sein Recht nur insoweit wahrzunehmen, als es sich um die Herrschaft des Gesetzes innerhalb seines Gebietes handelt; er muß sein Interesse auch nach außen hin vertreten, und kann nament- lich gegen das, was seine Unterthanen in der Fremde thun, sich nicht immer gleichgültig verhalten. Auf der andern Seite ist nicht zu über- sehen, daß jeder civilisirte Staat mit andern in internationalen Bezie- hungen steht, und daß dadurch wechselseitige Ansprüche und Rücksichten hervorgerufen werden, deren Anerkennung freilich von äußeren Umständen abhängen kann und regelmäßig durch die Gegenseitigkeit bedingt ist, deren willkührliche Verletzung aber als ein Bruch des Völkerrechts zu betrachten sein würde.
Für das Privatrecht sind nun gewisse Regeln, welche das Princip der Territorialität beschränken, allgemein als gültig anerkannt worden, und die Frage, nach welchen Gesetzen die Rechtsfähigkeit und die Fa- milienverhältnisse einer Person, die Formen und die materiellen Wir- kungen der Rechtsgeschäfte u. s. w. zu beurtheilen sind, kann der Richter nicht dadurch beseitigen, daß er sich einfach für gebunden an das Recht seines Landes erklärt. Auch für das Strafrecht können schwierige Kollisionsfälle eintreten, sowohl in Beziehung auf die Frage, nach wel- chem Recht gestraft werden, als auf die Frage, ob überhaupt die Ver- folgung und Bestrafung einer Handlung stattfinden soll. Hier aber ist das Staatsinteresse meistens viel unmittelbarer betheiligt, als bei Pri- vatrechtsverhältnissen, und die Feststellung einer allgemeinen völkerrecht- lichen Uebung darum auch wesentlich erschwert worden. Von der Gesetzgebung des einzelnen Staates ist daher zu erwarten, daß sie für alle Betheiligten die Normen aufstellt, welche sie angewandt wissen will.
Die Vorarbeiten zum Strafgesetzbuch enthalten über diese Lehre ein außerordentlich reiches Material; es ist kaum ein anderer Gegen- stand gründlicher und umfassender erörtert worden. Namentlich sind die Verhandlungen des Staatsraths tief in die Sache eingedrungen, und wenn auch die gefaßten Beschlüsse im weiteren Gange der Revision
u) S. G. Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts I. §. 38. -- Zu der dort angeführten Literatur ist nun hinzuzufügen: v. Savigny, System des heutigen Röm. Rechts. Band 8.
§§. 3. 4. Anwendung der Strafgeſetze.
der Staatsgewalt vorgenommen werden, und daß die Gerichte auf die Anwendung dieſes Landesrechts verpflichtet ſind. u)
Dieß Princip der Territorialität reicht jedoch nicht aus, um in allen Fällen, wo es ſich um die mögliche Kolliſion inländiſcher und fremder Geſetze handelt, die Regel für die Entſcheidung zu geben. Der einzelne Staat iſt nicht iſolirt hingeſtellt, und kann ſich nicht ausſchließ- lich darauf beſchränken, ſein Recht nur inſoweit wahrzunehmen, als es ſich um die Herrſchaft des Geſetzes innerhalb ſeines Gebietes handelt; er muß ſein Intereſſe auch nach außen hin vertreten, und kann nament- lich gegen das, was ſeine Unterthanen in der Fremde thun, ſich nicht immer gleichgültig verhalten. Auf der andern Seite iſt nicht zu über- ſehen, daß jeder civiliſirte Staat mit andern in internationalen Bezie- hungen ſteht, und daß dadurch wechſelſeitige Anſprüche und Rückſichten hervorgerufen werden, deren Anerkennung freilich von äußeren Umſtänden abhängen kann und regelmäßig durch die Gegenſeitigkeit bedingt iſt, deren willkührliche Verletzung aber als ein Bruch des Völkerrechts zu betrachten ſein würde.
Für das Privatrecht ſind nun gewiſſe Regeln, welche das Princip der Territorialität beſchränken, allgemein als gültig anerkannt worden, und die Frage, nach welchen Geſetzen die Rechtsfähigkeit und die Fa- milienverhältniſſe einer Perſon, die Formen und die materiellen Wir- kungen der Rechtsgeſchäfte u. ſ. w. zu beurtheilen ſind, kann der Richter nicht dadurch beſeitigen, daß er ſich einfach für gebunden an das Recht ſeines Landes erklärt. Auch für das Strafrecht können ſchwierige Kolliſionsfälle eintreten, ſowohl in Beziehung auf die Frage, nach wel- chem Recht geſtraft werden, als auf die Frage, ob überhaupt die Ver- folgung und Beſtrafung einer Handlung ſtattfinden ſoll. Hier aber iſt das Staatsintereſſe meiſtens viel unmittelbarer betheiligt, als bei Pri- vatrechtsverhältniſſen, und die Feſtſtellung einer allgemeinen völkerrecht- lichen Uebung darum auch weſentlich erſchwert worden. Von der Geſetzgebung des einzelnen Staates iſt daher zu erwarten, daß ſie für alle Betheiligten die Normen aufſtellt, welche ſie angewandt wiſſen will.
Die Vorarbeiten zum Strafgeſetzbuch enthalten über dieſe Lehre ein außerordentlich reiches Material; es iſt kaum ein anderer Gegen- ſtand gründlicher und umfaſſender erörtert worden. Namentlich ſind die Verhandlungen des Staatsraths tief in die Sache eingedrungen, und wenn auch die gefaßten Beſchlüſſe im weiteren Gange der Reviſion
u) S. G. Beſeler, Syſtem des gemeinen deutſchen Privatrechts I. §. 38. — Zu der dort angeführten Literatur iſt nun hinzuzufügen: v. Savigny, Syſtem des heutigen Röm. Rechts. Band 8.
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§§. 3. 4. Anwendung der Strafgeſetze.
der Staatsgewalt vorgenommen werden, und daß die Gerichte auf die
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Dieß Princip der Territorialität reicht jedoch nicht aus, um in
allen Fällen, wo es ſich um die mögliche Kolliſion inländiſcher und
fremder Geſetze handelt, die Regel für die Entſcheidung zu geben. Der
einzelne Staat iſt nicht iſolirt hingeſtellt, und kann ſich nicht ausſchließ-
lich darauf beſchränken, ſein Recht nur inſoweit wahrzunehmen, als es
ſich um die Herrſchaft des Geſetzes innerhalb ſeines Gebietes handelt;
er muß ſein Intereſſe auch nach außen hin vertreten, und kann nament-
lich gegen das, was ſeine Unterthanen in der Fremde thun, ſich nicht
immer gleichgültig verhalten. Auf der andern Seite iſt nicht zu über-
ſehen, daß jeder civiliſirte Staat mit andern in internationalen Bezie-
hungen ſteht, und daß dadurch wechſelſeitige Anſprüche und Rückſichten
hervorgerufen werden, deren Anerkennung freilich von äußeren Umſtänden
abhängen kann und regelmäßig durch die Gegenſeitigkeit bedingt iſt,
deren willkührliche Verletzung aber als ein Bruch des Völkerrechts zu
betrachten ſein würde.
Für das Privatrecht ſind nun gewiſſe Regeln, welche das Princip
der Territorialität beſchränken, allgemein als gültig anerkannt worden,
und die Frage, nach welchen Geſetzen die Rechtsfähigkeit und die Fa-
milienverhältniſſe einer Perſon, die Formen und die materiellen Wir-
kungen der Rechtsgeſchäfte u. ſ. w. zu beurtheilen ſind, kann der Richter
nicht dadurch beſeitigen, daß er ſich einfach für gebunden an das Recht
ſeines Landes erklärt. Auch für das Strafrecht können ſchwierige
Kolliſionsfälle eintreten, ſowohl in Beziehung auf die Frage, nach wel-
chem Recht geſtraft werden, als auf die Frage, ob überhaupt die Ver-
folgung und Beſtrafung einer Handlung ſtattfinden ſoll. Hier aber iſt
das Staatsintereſſe meiſtens viel unmittelbarer betheiligt, als bei Pri-
vatrechtsverhältniſſen, und die Feſtſtellung einer allgemeinen völkerrecht-
lichen Uebung darum auch weſentlich erſchwert worden. Von der
Geſetzgebung des einzelnen Staates iſt daher zu erwarten, daß ſie für
alle Betheiligten die Normen aufſtellt, welche ſie angewandt wiſſen will.
Die Vorarbeiten zum Strafgeſetzbuch enthalten über dieſe Lehre
ein außerordentlich reiches Material; es iſt kaum ein anderer Gegen-
ſtand gründlicher und umfaſſender erörtert worden. Namentlich ſind
die Verhandlungen des Staatsraths tief in die Sache eingedrungen,
und wenn auch die gefaßten Beſchlüſſe im weiteren Gange der Reviſion
u) S. G. Beſeler, Syſtem des gemeinen deutſchen Privatrechts I. §. 38. —
Zu der dort angeführten Literatur iſt nun hinzuzufügen: v. Savigny, Syſtem des
heutigen Röm. Rechts. Band 8.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/81>, abgerufen am 25.11.2024.
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