Motive zum Kriminal-Gesetzbuch. Berlin, 1829. Band 3. S. 216-220.
Auch hat sich durch jene Ausdrücke schwerlich jemals ein Richter abhalten lassen, denjenigen zu bestrafen, welcher etwa bei dem Scheiben- schießen durch Vernachlässigung des gewöhnlichen Grades von Sorgfalt einen Menschen getödtet hat."
"Dennoch ist der Gebrauch des Ausdrucks "grobe Fahrlässigkeit" in den oben angeführten Stellen über die Tödtung und Körperverletzung gewiß nicht zu loben, da die im 3. Tit. des I. Thl. gewählte Bezeich- nung der drei Grade leicht das Mißverständniß herbeiführen konnte, als sollte die Entleibung durch mäßiges Versehen straflos bleiben."
"Gegenwärtig entsteht nun die Frage, wie in dem neuen Straf- gesetzbuch dafür gesorgt werden soll, daß die Verbrechen aus Fahrlässig- keit auf angemessene Weise, also weder zu strenge, noch zu gelinde, be- handelt werden. Nach der oben entwickelten Ansicht würde es zu gelinde sein, wenn man nur allein das grobe Versehen (im Sinne des §. 18. des Allg. Landrechts I. 3.), zu strenge dagegen, wenn man auch selbst das geringe Versehen bestrafen wollte, durch welches letzte Verfahren einem Jeden zugemuthet würde, stets eine ängstliche, gewiß nicht wün- schenswürdige Aufmerksamkeit auf alle seine Handlungen zu verwenden. Es wird jetzt vorzüglich diese letzte Abweichung von einem richtigen Verfahren befürchtet, und dagegen ein besonderer Schutz durch die Fas- sung des neuen Gesetzes gewünscht."
"Nach meiner Ueberzeugung ist es völlig hinreichend und gar kein Mißbrauch zu befürchten, wenn blos von Fahrlässigkeit ohne allen Zu- satz gesprochen wird, so wie es in den bisherigen Entwürfen ohne Wi- derspruch geschehen ist. Auch selbst der Umstand, daß das Allg. Land- recht bei der Tödtung von grober Fahrlässigkeit spricht, kann nicht, wie man befürchtet, die falsche Meinung erzeugen, das neue Strafgesetz wolle jetzt eine strengere, als die bisher angewendete Behandlung der Fahr- lässigkeit herbeiführen, indem die Gerichte, wie ich glaube, jenen Ausdruck auch bisher schon als bedeutungslos anzusehen gewohnt waren. Daß die eben erwähnte falsche Meinung über die Absicht des neuen Straf- gesetzbuchs entstehen möchte, ist um so weniger zu befürchten, als künf- tig der Tit. 20. Th. II. des Allgem. Landrechts, worin allein die mög- licherweise irreleitenden Ausdrücke vorkommen, aufgehoben werden wird, während der 3. Tit. Th. I., welcher ganz den richtigen Gesichtspunkt angiebt, auch ferner in Gültigkeit bleiben soll."
Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
Motive zum Kriminal-Geſetzbuch. Berlin, 1829. Band 3. S. 216-220.
Auch hat ſich durch jene Ausdrücke ſchwerlich jemals ein Richter abhalten laſſen, denjenigen zu beſtrafen, welcher etwa bei dem Scheiben- ſchießen durch Vernachläſſigung des gewöhnlichen Grades von Sorgfalt einen Menſchen getödtet hat.“
„Dennoch iſt der Gebrauch des Ausdrucks „grobe Fahrläſſigkeit“ in den oben angeführten Stellen über die Tödtung und Körperverletzung gewiß nicht zu loben, da die im 3. Tit. des I. Thl. gewählte Bezeich- nung der drei Grade leicht das Mißverſtändniß herbeiführen konnte, als ſollte die Entleibung durch mäßiges Verſehen ſtraflos bleiben.“
„Gegenwärtig entſteht nun die Frage, wie in dem neuen Straf- geſetzbuch dafür geſorgt werden ſoll, daß die Verbrechen aus Fahrläſſig- keit auf angemeſſene Weiſe, alſo weder zu ſtrenge, noch zu gelinde, be- handelt werden. Nach der oben entwickelten Anſicht würde es zu gelinde ſein, wenn man nur allein das grobe Verſehen (im Sinne des §. 18. des Allg. Landrechts I. 3.), zu ſtrenge dagegen, wenn man auch ſelbſt das geringe Verſehen beſtrafen wollte, durch welches letzte Verfahren einem Jeden zugemuthet würde, ſtets eine ängſtliche, gewiß nicht wün- ſchenswürdige Aufmerkſamkeit auf alle ſeine Handlungen zu verwenden. Es wird jetzt vorzüglich dieſe letzte Abweichung von einem richtigen Verfahren befürchtet, und dagegen ein beſonderer Schutz durch die Faſ- ſung des neuen Geſetzes gewünſcht.“
„Nach meiner Ueberzeugung iſt es völlig hinreichend und gar kein Mißbrauch zu befürchten, wenn blos von Fahrläſſigkeit ohne allen Zu- ſatz geſprochen wird, ſo wie es in den bisherigen Entwürfen ohne Wi- derſpruch geſchehen iſt. Auch ſelbſt der Umſtand, daß das Allg. Land- recht bei der Tödtung von grober Fahrläſſigkeit ſpricht, kann nicht, wie man befürchtet, die falſche Meinung erzeugen, das neue Strafgeſetz wolle jetzt eine ſtrengere, als die bisher angewendete Behandlung der Fahr- läſſigkeit herbeiführen, indem die Gerichte, wie ich glaube, jenen Ausdruck auch bisher ſchon als bedeutungslos anzuſehen gewohnt waren. Daß die eben erwähnte falſche Meinung über die Abſicht des neuen Straf- geſetzbuchs entſtehen möchte, iſt um ſo weniger zu befürchten, als künf- tig der Tit. 20. Th. II. des Allgem. Landrechts, worin allein die mög- licherweiſe irreleitenden Ausdrücke vorkommen, aufgehoben werden wird, während der 3. Tit. Th. I., welcher ganz den richtigen Geſichtspunkt angiebt, auch ferner in Gültigkeit bleiben ſoll.“
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[54/0064]
Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
Motive zum Kriminal-Geſetzbuch. Berlin, 1829. Band 3.
S. 216-220.
Auch hat ſich durch jene Ausdrücke ſchwerlich jemals ein Richter
abhalten laſſen, denjenigen zu beſtrafen, welcher etwa bei dem Scheiben-
ſchießen durch Vernachläſſigung des gewöhnlichen Grades von
Sorgfalt einen Menſchen getödtet hat.“
„Dennoch iſt der Gebrauch des Ausdrucks „grobe Fahrläſſigkeit“
in den oben angeführten Stellen über die Tödtung und Körperverletzung
gewiß nicht zu loben, da die im 3. Tit. des I. Thl. gewählte Bezeich-
nung der drei Grade leicht das Mißverſtändniß herbeiführen konnte, als
ſollte die Entleibung durch mäßiges Verſehen ſtraflos bleiben.“
„Gegenwärtig entſteht nun die Frage, wie in dem neuen Straf-
geſetzbuch dafür geſorgt werden ſoll, daß die Verbrechen aus Fahrläſſig-
keit auf angemeſſene Weiſe, alſo weder zu ſtrenge, noch zu gelinde, be-
handelt werden. Nach der oben entwickelten Anſicht würde es zu gelinde
ſein, wenn man nur allein das grobe Verſehen (im Sinne des §. 18.
des Allg. Landrechts I. 3.), zu ſtrenge dagegen, wenn man auch ſelbſt
das geringe Verſehen beſtrafen wollte, durch welches letzte Verfahren
einem Jeden zugemuthet würde, ſtets eine ängſtliche, gewiß nicht wün-
ſchenswürdige Aufmerkſamkeit auf alle ſeine Handlungen zu verwenden.
Es wird jetzt vorzüglich dieſe letzte Abweichung von einem richtigen
Verfahren befürchtet, und dagegen ein beſonderer Schutz durch die Faſ-
ſung des neuen Geſetzes gewünſcht.“
„Nach meiner Ueberzeugung iſt es völlig hinreichend und gar kein
Mißbrauch zu befürchten, wenn blos von Fahrläſſigkeit ohne allen Zu-
ſatz geſprochen wird, ſo wie es in den bisherigen Entwürfen ohne Wi-
derſpruch geſchehen iſt. Auch ſelbſt der Umſtand, daß das Allg. Land-
recht bei der Tödtung von grober Fahrläſſigkeit ſpricht, kann nicht, wie
man befürchtet, die falſche Meinung erzeugen, das neue Strafgeſetz wolle
jetzt eine ſtrengere, als die bisher angewendete Behandlung der Fahr-
läſſigkeit herbeiführen, indem die Gerichte, wie ich glaube, jenen Ausdruck
auch bisher ſchon als bedeutungslos anzuſehen gewohnt waren. Daß
die eben erwähnte falſche Meinung über die Abſicht des neuen Straf-
geſetzbuchs entſtehen möchte, iſt um ſo weniger zu befürchten, als künf-
tig der Tit. 20. Th. II. des Allgem. Landrechts, worin allein die mög-
licherweiſe irreleitenden Ausdrücke vorkommen, aufgehoben werden wird,
während der 3. Tit. Th. I., welcher ganz den richtigen Geſichtspunkt
angiebt, auch ferner in Gültigkeit bleiben ſoll.“
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/64>, abgerufen am 27.11.2024.
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