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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. VIII. Vorsatz und Fahrlässigkeit.

"Aus diesen Stellen könnte man, nach dem hier sehr nahe liegen-
den argumentum a contrario folgern, daß die durch eine mäßige Fahr-
lässigkeit, also durch Vernachlässigung des gewöhnlichen Grades von
Aufmerksamkeit, bewirkte Entleibung eines Menschen straflos bleiben
sollte. Allein ein solches Privilegium für die gegen das Menschenleben
bewiesene Gleichgültigkeit kann unmöglich in der Absicht des Gesetz-
gebers gelegen haben. Vielmehr wird die Annahme desselben durch fol-
gende Gründe völlig widerlegt:"

1) "Die allgemeine Vorschrift des §. 691. lautet so:
""Ein jeder ist schuldig, sein Betragen so einzurichten, daß er we-
der durch Handlungen, noch Unterlassungen, Anderer Leben oder Ge-
sundheit in Gefahr setze"" (dazu gehört doch gewiß die Beobachtung
des gewöhnlichen Grades von Aufmerksamkeit).
2) "Die oben angeführte Vorschrift des §. 1558. über die fahr-
lässige Brandstiftung, da man unmöglich annehmen kann, daß im All-
gemeinen die Gefährdung von Gebäuden durch strengere Strafen ver-
hütet werden solle, als die Vernichtung des Menschenlebens."
3) "Die neben den oben angeführte Stellen von der groben Fahr-
lässigkeit hinzugefügte Regel, daß die Strafabmessung nach dem Grade
der Fahrlässigkeit geschehen solle (§§. 778. 781.), welche Vorschrift gar
keine Bedeutung hätte, wenn die unmittelbar vorher erwähnte Fahr-
lässigkeit buchstäblich, also von dem äußersten denkbaren Grade der
Fahrlässigkeit überhaupt, zu verstehen wäre."

"Aus allen diesen Gründen ist anzunehmen, daß die in den ange-
führten Stellen erwähnte grobe Fahrlässigkeit nicht einen besonders ho-
hen Grad der Fahrlässigkeit bezeichnen soll, sondern eben nur die straf-
bare Fahrlässigkeit überhaupt, so daß das Beiwort "grobe" nur durch
die Absicht veranlaßt worden sein mag, die Fahrlässigkeit in Beziehung
auf Menschenleben als etwas sehr Tadelnswerthes zu bezeichnen, durch
welche Annahme jenes Beiwort eine blos deklarative, nicht restriktive
Bedeutung erhält."

"Diese Ansicht wird auch durch die Einsicht der Materialien des
Allgem. Landrechts völlig bestätigt, aus welchen erhellt, daß in jenen
Stellen der Ausdruck "grobe Fahrlässigkeit" gar nicht in Folge
irgend einer besonderen Ueberlegung über den Grad der strafbaren Fahr-
lässigkeit, sondern überhaupt ohne irgend eine sichtbare Absicht gebraucht
worden ist. Ich enthalte mich hierüber einer genaueren Ausführung,
da dieser Punkt bereits sehr gründlich und völlig erschöpfend schon frü-
her behandelt worden ist.


§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.

„Aus dieſen Stellen könnte man, nach dem hier ſehr nahe liegen-
den argumentum a contrario folgern, daß die durch eine mäßige Fahr-
läſſigkeit, alſo durch Vernachläſſigung des gewöhnlichen Grades von
Aufmerkſamkeit, bewirkte Entleibung eines Menſchen ſtraflos bleiben
ſollte. Allein ein ſolches Privilegium für die gegen das Menſchenleben
bewieſene Gleichgültigkeit kann unmöglich in der Abſicht des Geſetz-
gebers gelegen haben. Vielmehr wird die Annahme deſſelben durch fol-
gende Gründe völlig widerlegt:“

1) „Die allgemeine Vorſchrift des §. 691. lautet ſo:
„„Ein jeder iſt ſchuldig, ſein Betragen ſo einzurichten, daß er we-
der durch Handlungen, noch Unterlaſſungen, Anderer Leben oder Ge-
ſundheit in Gefahr ſetze““ (dazu gehört doch gewiß die Beobachtung
des gewöhnlichen Grades von Aufmerkſamkeit).
2) „Die oben angeführte Vorſchrift des §. 1558. über die fahr-
läſſige Brandſtiftung, da man unmöglich annehmen kann, daß im All-
gemeinen die Gefährdung von Gebäuden durch ſtrengere Strafen ver-
hütet werden ſolle, als die Vernichtung des Menſchenlebens.“
3) „Die neben den oben angeführte Stellen von der groben Fahr-
läſſigkeit hinzugefügte Regel, daß die Strafabmeſſung nach dem Grade
der Fahrläſſigkeit geſchehen ſolle (§§. 778. 781.), welche Vorſchrift gar
keine Bedeutung hätte, wenn die unmittelbar vorher erwähnte Fahr-
läſſigkeit buchſtäblich, alſo von dem äußerſten denkbaren Grade der
Fahrläſſigkeit überhaupt, zu verſtehen wäre.“

„Aus allen dieſen Gründen iſt anzunehmen, daß die in den ange-
führten Stellen erwähnte grobe Fahrläſſigkeit nicht einen beſonders ho-
hen Grad der Fahrläſſigkeit bezeichnen ſoll, ſondern eben nur die ſtraf-
bare Fahrläſſigkeit überhaupt, ſo daß das Beiwort „grobe“ nur durch
die Abſicht veranlaßt worden ſein mag, die Fahrläſſigkeit in Beziehung
auf Menſchenleben als etwas ſehr Tadelnswerthes zu bezeichnen, durch
welche Annahme jenes Beiwort eine blos deklarative, nicht reſtriktive
Bedeutung erhält.“

„Dieſe Anſicht wird auch durch die Einſicht der Materialien des
Allgem. Landrechts völlig beſtätigt, aus welchen erhellt, daß in jenen
Stellen der Ausdruck „grobe Fahrläſſigkeit“ gar nicht in Folge
irgend einer beſonderen Ueberlegung über den Grad der ſtrafbaren Fahr-
läſſigkeit, ſondern überhaupt ohne irgend eine ſichtbare Abſicht gebraucht
worden iſt. Ich enthalte mich hierüber einer genaueren Ausführung,
da dieſer Punkt bereits ſehr gründlich und völlig erſchöpfend ſchon frü-
her behandelt worden iſt.


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[53/0063] §. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit. „Aus dieſen Stellen könnte man, nach dem hier ſehr nahe liegen- den argumentum a contrario folgern, daß die durch eine mäßige Fahr- läſſigkeit, alſo durch Vernachläſſigung des gewöhnlichen Grades von Aufmerkſamkeit, bewirkte Entleibung eines Menſchen ſtraflos bleiben ſollte. Allein ein ſolches Privilegium für die gegen das Menſchenleben bewieſene Gleichgültigkeit kann unmöglich in der Abſicht des Geſetz- gebers gelegen haben. Vielmehr wird die Annahme deſſelben durch fol- gende Gründe völlig widerlegt:“ 1) „Die allgemeine Vorſchrift des §. 691. lautet ſo: „„Ein jeder iſt ſchuldig, ſein Betragen ſo einzurichten, daß er we- der durch Handlungen, noch Unterlaſſungen, Anderer Leben oder Ge- ſundheit in Gefahr ſetze““ (dazu gehört doch gewiß die Beobachtung des gewöhnlichen Grades von Aufmerkſamkeit). 2) „Die oben angeführte Vorſchrift des §. 1558. über die fahr- läſſige Brandſtiftung, da man unmöglich annehmen kann, daß im All- gemeinen die Gefährdung von Gebäuden durch ſtrengere Strafen ver- hütet werden ſolle, als die Vernichtung des Menſchenlebens.“ 3) „Die neben den oben angeführte Stellen von der groben Fahr- läſſigkeit hinzugefügte Regel, daß die Strafabmeſſung nach dem Grade der Fahrläſſigkeit geſchehen ſolle (§§. 778. 781.), welche Vorſchrift gar keine Bedeutung hätte, wenn die unmittelbar vorher erwähnte Fahr- läſſigkeit buchſtäblich, alſo von dem äußerſten denkbaren Grade der Fahrläſſigkeit überhaupt, zu verſtehen wäre.“ „Aus allen dieſen Gründen iſt anzunehmen, daß die in den ange- führten Stellen erwähnte grobe Fahrläſſigkeit nicht einen beſonders ho- hen Grad der Fahrläſſigkeit bezeichnen ſoll, ſondern eben nur die ſtraf- bare Fahrläſſigkeit überhaupt, ſo daß das Beiwort „grobe“ nur durch die Abſicht veranlaßt worden ſein mag, die Fahrläſſigkeit in Beziehung auf Menſchenleben als etwas ſehr Tadelnswerthes zu bezeichnen, durch welche Annahme jenes Beiwort eine blos deklarative, nicht reſtriktive Bedeutung erhält.“ „Dieſe Anſicht wird auch durch die Einſicht der Materialien des Allgem. Landrechts völlig beſtätigt, aus welchen erhellt, daß in jenen Stellen der Ausdruck „grobe Fahrläſſigkeit“ gar nicht in Folge irgend einer beſonderen Ueberlegung über den Grad der ſtrafbaren Fahr- läſſigkeit, ſondern überhaupt ohne irgend eine ſichtbare Abſicht gebraucht worden iſt. Ich enthalte mich hierüber einer genaueren Ausführung, da dieſer Punkt bereits ſehr gründlich und völlig erſchöpfend ſchon frü- her behandelt worden iſt.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/63>, abgerufen am 24.11.2024.