Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXIII. Urkundenfälschung.
IV. Der zu dem Thatbestande der Urkundenfälschung erforderliche Dolus ist in dem Strafgesetzbuch weiter aufgefaßt worden, als es bei dem Betruge geschehen ist. Bei diesem nämlich kommt nur die gewinn- süchtige Absicht in Betracht; bei der Fälschung ist es ausdrücklich her- vorgehoben, daß es zum Thatbestande genügt, wenn der Gewinn einem Anderen verschafft werden sollte, und außerdem ist auch die Absicht, einem Anderen Schaden zuzufügen, der gewinnsüchtigen Absicht gleich- gestellt, und zwar unbedingt, ohne daß die Beschädigung auf die Ver- letzung des Vermögens beschränkt worden (§. 247.).
Die früheren Entwürfe hatten auch, wie oben gezeigt worden, den Betrug in diesem weiteren Sinne aufgefaßt; erst durch die Beschlüsse der Staatsraths-Kommission von 1846. wurden Beschränkungen des Begriffs aufgestellt, welche aber auf die Fälschung nicht ausgedehnt worden sind.
Die Französische Jurisprudenz bezieht den Dolus bei der Fälschung nur auf die Absicht zu schaden; aber unter dem Schaden wird auch die Verletzung des öffentlichen Interesse verstanden, z. B. wenn ein Rekrut dem Militärdienste entzogen wird. t) Diese Absicht allein soll jedoch nicht genügen, um den Thatbestand des Verbrechens herzustellen; es wird auch noch gefordert, daß durch die Fälschung ein Schaden hat angerichtet werden können (la possibilite d'un prejudice), und dieß besonders in Beziehung auf nichtige Urkunden weiter ausgeführt. u) Betrachtet man aber die Sache vom Standpunkte des Strafgesetzbuches, so ergiebt sich, daß es sich in solchen Fällen um einen Versuch des Verbrechens handelt, und daß die Beantwortung der Frage, inwiefern ein solcher strafbar ist, von den allgemeinen Grundsätzen über die An- wendung untauglicher oder unzulänglicher Mittel bei dem Versuch ab- hängt. -- In Frankreich hat man auf jene Möglichkeit des Schadens auch wohl nur deswegen ein so großes Gewicht gelegt, weil der Gebrauch der Urkunde nicht zum Thatbestande des Verbrechens der Urkundenfälschung erfordert wird.
V. Nach dem Strafgesetzbuch reicht es zum Thatbestande nicht aus, daß eine Urkunde in der bezeichneten Absicht verfälscht oder fälsch- lich angefertigt wird; es muß auch von derselben zum Zweck der Täu- schung Gebrauch gemacht werden. Erst wenn dieses geschehen, istdas Verbrechen vollendet; die Thatsache der Fälschung, ohne Beziehung auf den Gebrauch der Urkunde betrachtet, erscheint daher nur als eine vor- bereitende Handlung. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen
t)Chauveau et Helie Faustin. l. c. chap. XXI. §. 2.
u)l. c. chap. XXI. §. 3.
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXIII. Urkundenfälſchung.
IV. Der zu dem Thatbeſtande der Urkundenfälſchung erforderliche Dolus iſt in dem Strafgeſetzbuch weiter aufgefaßt worden, als es bei dem Betruge geſchehen iſt. Bei dieſem nämlich kommt nur die gewinn- ſüchtige Abſicht in Betracht; bei der Fälſchung iſt es ausdrücklich her- vorgehoben, daß es zum Thatbeſtande genügt, wenn der Gewinn einem Anderen verſchafft werden ſollte, und außerdem iſt auch die Abſicht, einem Anderen Schaden zuzufügen, der gewinnſüchtigen Abſicht gleich- geſtellt, und zwar unbedingt, ohne daß die Beſchädigung auf die Ver- letzung des Vermögens beſchränkt worden (§. 247.).
Die früheren Entwürfe hatten auch, wie oben gezeigt worden, den Betrug in dieſem weiteren Sinne aufgefaßt; erſt durch die Beſchlüſſe der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. wurden Beſchränkungen des Begriffs aufgeſtellt, welche aber auf die Fälſchung nicht ausgedehnt worden ſind.
Die Franzöſiſche Jurisprudenz bezieht den Dolus bei der Fälſchung nur auf die Abſicht zu ſchaden; aber unter dem Schaden wird auch die Verletzung des öffentlichen Intereſſe verſtanden, z. B. wenn ein Rekrut dem Militärdienſte entzogen wird. t) Dieſe Abſicht allein ſoll jedoch nicht genügen, um den Thatbeſtand des Verbrechens herzuſtellen; es wird auch noch gefordert, daß durch die Fälſchung ein Schaden hat angerichtet werden können (la possibilité d'un préjudice), und dieß beſonders in Beziehung auf nichtige Urkunden weiter ausgeführt. u) Betrachtet man aber die Sache vom Standpunkte des Strafgeſetzbuches, ſo ergiebt ſich, daß es ſich in ſolchen Fällen um einen Verſuch des Verbrechens handelt, und daß die Beantwortung der Frage, inwiefern ein ſolcher ſtrafbar iſt, von den allgemeinen Grundſätzen über die An- wendung untauglicher oder unzulänglicher Mittel bei dem Verſuch ab- hängt. — In Frankreich hat man auf jene Möglichkeit des Schadens auch wohl nur deswegen ein ſo großes Gewicht gelegt, weil der Gebrauch der Urkunde nicht zum Thatbeſtande des Verbrechens der Urkundenfälſchung erfordert wird.
V. Nach dem Strafgeſetzbuch reicht es zum Thatbeſtande nicht aus, daß eine Urkunde in der bezeichneten Abſicht verfälſcht oder fälſch- lich angefertigt wird; es muß auch von derſelben zum Zweck der Täu- ſchung Gebrauch gemacht werden. Erſt wenn dieſes geſchehen, iſtdas Verbrechen vollendet; die Thatſache der Fälſchung, ohne Beziehung auf den Gebrauch der Urkunde betrachtet, erſcheint daher nur als eine vor- bereitende Handlung. Darin liegt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen
t)Chauveau et Hélie Faustin. l. c. chap. XXI. §. 2.
u)l. c. chap. XXI. §. 3.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0486"n="476"/><fwplace="top"type="header">Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXIII. Urkundenfälſchung.</fw><lb/><p>IV. Der zu dem Thatbeſtande der Urkundenfälſchung erforderliche<lb/>
Dolus iſt in dem Strafgeſetzbuch weiter aufgefaßt worden, als es bei<lb/>
dem Betruge geſchehen iſt. Bei dieſem nämlich kommt nur die gewinn-<lb/>ſüchtige Abſicht in Betracht; bei der Fälſchung iſt es ausdrücklich her-<lb/>
vorgehoben, daß es zum Thatbeſtande genügt, wenn der Gewinn einem<lb/>
Anderen verſchafft werden ſollte, und außerdem iſt auch die Abſicht,<lb/>
einem Anderen Schaden zuzufügen, der gewinnſüchtigen Abſicht gleich-<lb/>
geſtellt, und zwar unbedingt, ohne daß die Beſchädigung auf die Ver-<lb/>
letzung des Vermögens beſchränkt worden (§. 247.).</p><lb/><p>Die früheren Entwürfe hatten auch, wie oben gezeigt worden, den<lb/>
Betrug in dieſem weiteren Sinne aufgefaßt; erſt durch die Beſchlüſſe<lb/>
der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. wurden Beſchränkungen des<lb/>
Begriffs aufgeſtellt, welche aber auf die Fälſchung nicht ausgedehnt<lb/>
worden ſind.</p><lb/><p>Die Franzöſiſche Jurisprudenz bezieht den Dolus bei der Fälſchung<lb/>
nur auf die Abſicht zu ſchaden; aber unter dem Schaden wird auch<lb/>
die Verletzung des öffentlichen Intereſſe verſtanden, z. B. wenn ein<lb/>
Rekrut dem Militärdienſte entzogen wird. <noteplace="foot"n="t)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">Chauveau et Hélie Faustin</hi></hi>. l. c. <hirendition="#aq">chap.</hi> XXI. §. 2.</note> Dieſe Abſicht allein ſoll<lb/>
jedoch nicht genügen, um den Thatbeſtand des Verbrechens herzuſtellen;<lb/>
es wird auch noch gefordert, daß durch die Fälſchung ein Schaden hat<lb/>
angerichtet werden können (<hirendition="#aq">la possibilité d'un préjudice</hi>), und dieß<lb/>
beſonders in Beziehung auf nichtige Urkunden weiter ausgeführt. <noteplace="foot"n="u)"><hirendition="#aq">l. c. chap. XXI. §. 3.</hi></note><lb/>
Betrachtet man aber die Sache vom Standpunkte des Strafgeſetzbuches,<lb/>ſo ergiebt ſich, daß es ſich in ſolchen Fällen um einen Verſuch des<lb/>
Verbrechens handelt, und daß die Beantwortung der Frage, inwiefern<lb/>
ein ſolcher ſtrafbar iſt, von den allgemeinen Grundſätzen über die An-<lb/>
wendung untauglicher oder unzulänglicher Mittel bei dem Verſuch ab-<lb/>
hängt. — In Frankreich hat man auf jene Möglichkeit des Schadens<lb/>
auch wohl nur deswegen ein ſo großes Gewicht gelegt, weil der<lb/>
Gebrauch der Urkunde nicht zum Thatbeſtande des Verbrechens der<lb/>
Urkundenfälſchung erfordert wird.</p><lb/><p>V. Nach dem Strafgeſetzbuch reicht es zum Thatbeſtande nicht<lb/>
aus, daß eine Urkunde in der bezeichneten Abſicht verfälſcht oder fälſch-<lb/>
lich angefertigt wird; es muß auch von derſelben zum Zweck der Täu-<lb/>ſchung Gebrauch gemacht werden. Erſt wenn dieſes geſchehen, iſtdas<lb/>
Verbrechen vollendet; die Thatſache der Fälſchung, ohne Beziehung auf<lb/>
den Gebrauch der Urkunde betrachtet, erſcheint daher nur als eine vor-<lb/>
bereitende Handlung. Darin liegt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[476/0486]
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXIII. Urkundenfälſchung.
IV. Der zu dem Thatbeſtande der Urkundenfälſchung erforderliche
Dolus iſt in dem Strafgeſetzbuch weiter aufgefaßt worden, als es bei
dem Betruge geſchehen iſt. Bei dieſem nämlich kommt nur die gewinn-
ſüchtige Abſicht in Betracht; bei der Fälſchung iſt es ausdrücklich her-
vorgehoben, daß es zum Thatbeſtande genügt, wenn der Gewinn einem
Anderen verſchafft werden ſollte, und außerdem iſt auch die Abſicht,
einem Anderen Schaden zuzufügen, der gewinnſüchtigen Abſicht gleich-
geſtellt, und zwar unbedingt, ohne daß die Beſchädigung auf die Ver-
letzung des Vermögens beſchränkt worden (§. 247.).
Die früheren Entwürfe hatten auch, wie oben gezeigt worden, den
Betrug in dieſem weiteren Sinne aufgefaßt; erſt durch die Beſchlüſſe
der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. wurden Beſchränkungen des
Begriffs aufgeſtellt, welche aber auf die Fälſchung nicht ausgedehnt
worden ſind.
Die Franzöſiſche Jurisprudenz bezieht den Dolus bei der Fälſchung
nur auf die Abſicht zu ſchaden; aber unter dem Schaden wird auch
die Verletzung des öffentlichen Intereſſe verſtanden, z. B. wenn ein
Rekrut dem Militärdienſte entzogen wird. t) Dieſe Abſicht allein ſoll
jedoch nicht genügen, um den Thatbeſtand des Verbrechens herzuſtellen;
es wird auch noch gefordert, daß durch die Fälſchung ein Schaden hat
angerichtet werden können (la possibilité d'un préjudice), und dieß
beſonders in Beziehung auf nichtige Urkunden weiter ausgeführt. u)
Betrachtet man aber die Sache vom Standpunkte des Strafgeſetzbuches,
ſo ergiebt ſich, daß es ſich in ſolchen Fällen um einen Verſuch des
Verbrechens handelt, und daß die Beantwortung der Frage, inwiefern
ein ſolcher ſtrafbar iſt, von den allgemeinen Grundſätzen über die An-
wendung untauglicher oder unzulänglicher Mittel bei dem Verſuch ab-
hängt. — In Frankreich hat man auf jene Möglichkeit des Schadens
auch wohl nur deswegen ein ſo großes Gewicht gelegt, weil der
Gebrauch der Urkunde nicht zum Thatbeſtande des Verbrechens der
Urkundenfälſchung erfordert wird.
V. Nach dem Strafgeſetzbuch reicht es zum Thatbeſtande nicht
aus, daß eine Urkunde in der bezeichneten Abſicht verfälſcht oder fälſch-
lich angefertigt wird; es muß auch von derſelben zum Zweck der Täu-
ſchung Gebrauch gemacht werden. Erſt wenn dieſes geſchehen, iſtdas
Verbrechen vollendet; die Thatſache der Fälſchung, ohne Beziehung auf
den Gebrauch der Urkunde betrachtet, erſcheint daher nur als eine vor-
bereitende Handlung. Darin liegt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen
t) Chauveau et Hélie Faustin. l. c. chap. XXI. §. 2.
u) l. c. chap. XXI. §. 3.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/486>, abgerufen am 04.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.