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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXII. Untreue.
unter den Fällen des schweren Betrugs die Untreue auf, welche von
solchen Personen begangen wird, die Anderen zu besonderer Treue und
Redlichkeit verpflichtet sind. Bei der Revision des Strafrechts wurde
dieses Vergehen als ein selbständiges Delikt beibehalten und neben dem
Betruge abgehandelt; seitdem aber der Betrug auf die Vermögens-
beschädigung in gewinnsüchtiger Absicht beschränkt war, trennte man die
Untreue von demselben, und wies ihr einen eigenen Titel an. b)

Gegen die Aufstellung eines selbständigen Vergehens der Untreue
wurden aber von verschiedenen Seiten Einwendungen erhoben, welche
bei der Revision von 1845. ihre Würdigung fanden. c)

"Die Rheinischen Stände, mit welchen Schwarze (S. 163. 166.)
übereinstimmt, meinen, daß der Abschnitt von der Untreue ganz zu be-
seitigen sei. Dem ist jedoch schon von Temme (B. 2. S. 352.) und
Abegg (S. 478.) mit Recht widersprochen. Die Bemerkung von
Schwarze, daß Untreue kein juristischer Begriff sei, ist nicht begründet.
Wenigstens wir haben den Begriff und den dafür ganz passenden Aus-
druck "Untreue" schon im Allgemeinen Landrecht. Ebenso wenig ist
Schwarze darin beizustimmen, daß die Vorschriften über Unterschlagung
und Betrug schon alle wirklich strafbaren Fälle umfassen. Bei den hier
in Rede stehenden Rechtsverhältnissen können viele sehr strafbare Ver-
untreuungen vorkommen, welche weder als Unterschlagung noch als
eigentlicher Betrug -- zu betrachten sind; so z. B. wenn ein Vormund,
welcher eine judikatmäßige Forderung seiner Mündel eintragen zu lassen
angewiesen ist, vorsätzlich damit zurückhält, um einen andern, von ihm
begünstigten Gläubiger die Priorität gewinnen zu lassen. Das Be-
denken der Rheinischen Stände, daß man das Amt der Vormünder zu
sehr erschwere und sie zu sehr den Untersuchungen aussetze, ist bei der
Voraussetzung einer vorsätzlichen Benachtheiligung nicht erheblich, und
kann nicht berechtigen, solche Fälle straflos zu lassen."

Ungeachtet dieser Ausführung und obgleich der vereinigte ständische
Ausschuß gegen die Behandlung der Untreue als eines besonderen Ver-
gehens keine Einwendungen erhoben hatte, war der demselben gewidmete
Titel in dem Entwurf von 1850. doch weggelassen worden. Die Kom-
mission der zweiten Kammer glaubte aber, daß nach Deutscher Rechts-
anschauung der Bruch der Treue in besonderen, auf Vertrauen gegrün-
deten Verhältnissen anders zu beurtheilen sei, als die damit verwandten
gemeinen Verbrechen, und daß auch in diesem Fall das Allgemeine
Landrecht ein Institut des Deutschen Rechts (die getreue Hand) in

b) Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 161.
-- Entwurf von 1847. Tit. 18.
c) Revision von 1845. III. S. 36.

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXII. Untreue.
unter den Fällen des ſchweren Betrugs die Untreue auf, welche von
ſolchen Perſonen begangen wird, die Anderen zu beſonderer Treue und
Redlichkeit verpflichtet ſind. Bei der Reviſion des Strafrechts wurde
dieſes Vergehen als ein ſelbſtändiges Delikt beibehalten und neben dem
Betruge abgehandelt; ſeitdem aber der Betrug auf die Vermögens-
beſchädigung in gewinnſüchtiger Abſicht beſchränkt war, trennte man die
Untreue von demſelben, und wies ihr einen eigenen Titel an. b)

Gegen die Aufſtellung eines ſelbſtändigen Vergehens der Untreue
wurden aber von verſchiedenen Seiten Einwendungen erhoben, welche
bei der Reviſion von 1845. ihre Würdigung fanden. c)

„Die Rheiniſchen Stände, mit welchen Schwarze (S. 163. 166.)
übereinſtimmt, meinen, daß der Abſchnitt von der Untreue ganz zu be-
ſeitigen ſei. Dem iſt jedoch ſchon von Temme (B. 2. S. 352.) und
Abegg (S. 478.) mit Recht widerſprochen. Die Bemerkung von
Schwarze, daß Untreue kein juriſtiſcher Begriff ſei, iſt nicht begründet.
Wenigſtens wir haben den Begriff und den dafür ganz paſſenden Aus-
druck „Untreue“ ſchon im Allgemeinen Landrecht. Ebenſo wenig iſt
Schwarze darin beizuſtimmen, daß die Vorſchriften über Unterſchlagung
und Betrug ſchon alle wirklich ſtrafbaren Fälle umfaſſen. Bei den hier
in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſen können viele ſehr ſtrafbare Ver-
untreuungen vorkommen, welche weder als Unterſchlagung noch als
eigentlicher Betrug — zu betrachten ſind; ſo z. B. wenn ein Vormund,
welcher eine judikatmäßige Forderung ſeiner Mündel eintragen zu laſſen
angewieſen iſt, vorſätzlich damit zurückhält, um einen andern, von ihm
begünſtigten Gläubiger die Priorität gewinnen zu laſſen. Das Be-
denken der Rheiniſchen Stände, daß man das Amt der Vormünder zu
ſehr erſchwere und ſie zu ſehr den Unterſuchungen ausſetze, iſt bei der
Vorausſetzung einer vorſätzlichen Benachtheiligung nicht erheblich, und
kann nicht berechtigen, ſolche Fälle ſtraflos zu laſſen.“

Ungeachtet dieſer Ausführung und obgleich der vereinigte ſtändiſche
Ausſchuß gegen die Behandlung der Untreue als eines beſonderen Ver-
gehens keine Einwendungen erhoben hatte, war der demſelben gewidmete
Titel in dem Entwurf von 1850. doch weggelaſſen worden. Die Kom-
miſſion der zweiten Kammer glaubte aber, daß nach Deutſcher Rechts-
anſchauung der Bruch der Treue in beſonderen, auf Vertrauen gegrün-
deten Verhältniſſen anders zu beurtheilen ſei, als die damit verwandten
gemeinen Verbrechen, und daß auch in dieſem Fall das Allgemeine
Landrecht ein Inſtitut des Deutſchen Rechts (die getreue Hand) in

b) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 161.
Entwurf von 1847. Tit. 18.
c) Reviſion von 1845. III. S. 36.
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[468/0478] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXII. Untreue. unter den Fällen des ſchweren Betrugs die Untreue auf, welche von ſolchen Perſonen begangen wird, die Anderen zu beſonderer Treue und Redlichkeit verpflichtet ſind. Bei der Reviſion des Strafrechts wurde dieſes Vergehen als ein ſelbſtändiges Delikt beibehalten und neben dem Betruge abgehandelt; ſeitdem aber der Betrug auf die Vermögens- beſchädigung in gewinnſüchtiger Abſicht beſchränkt war, trennte man die Untreue von demſelben, und wies ihr einen eigenen Titel an. b) Gegen die Aufſtellung eines ſelbſtändigen Vergehens der Untreue wurden aber von verſchiedenen Seiten Einwendungen erhoben, welche bei der Reviſion von 1845. ihre Würdigung fanden. c) „Die Rheiniſchen Stände, mit welchen Schwarze (S. 163. 166.) übereinſtimmt, meinen, daß der Abſchnitt von der Untreue ganz zu be- ſeitigen ſei. Dem iſt jedoch ſchon von Temme (B. 2. S. 352.) und Abegg (S. 478.) mit Recht widerſprochen. Die Bemerkung von Schwarze, daß Untreue kein juriſtiſcher Begriff ſei, iſt nicht begründet. Wenigſtens wir haben den Begriff und den dafür ganz paſſenden Aus- druck „Untreue“ ſchon im Allgemeinen Landrecht. Ebenſo wenig iſt Schwarze darin beizuſtimmen, daß die Vorſchriften über Unterſchlagung und Betrug ſchon alle wirklich ſtrafbaren Fälle umfaſſen. Bei den hier in Rede ſtehenden Rechtsverhältniſſen können viele ſehr ſtrafbare Ver- untreuungen vorkommen, welche weder als Unterſchlagung noch als eigentlicher Betrug — zu betrachten ſind; ſo z. B. wenn ein Vormund, welcher eine judikatmäßige Forderung ſeiner Mündel eintragen zu laſſen angewieſen iſt, vorſätzlich damit zurückhält, um einen andern, von ihm begünſtigten Gläubiger die Priorität gewinnen zu laſſen. Das Be- denken der Rheiniſchen Stände, daß man das Amt der Vormünder zu ſehr erſchwere und ſie zu ſehr den Unterſuchungen ausſetze, iſt bei der Vorausſetzung einer vorſätzlichen Benachtheiligung nicht erheblich, und kann nicht berechtigen, ſolche Fälle ſtraflos zu laſſen.“ Ungeachtet dieſer Ausführung und obgleich der vereinigte ſtändiſche Ausſchuß gegen die Behandlung der Untreue als eines beſonderen Ver- gehens keine Einwendungen erhoben hatte, war der demſelben gewidmete Titel in dem Entwurf von 1850. doch weggelaſſen worden. Die Kom- miſſion der zweiten Kammer glaubte aber, daß nach Deutſcher Rechts- anſchauung der Bruch der Treue in beſonderen, auf Vertrauen gegrün- deten Verhältniſſen anders zu beurtheilen ſei, als die damit verwandten gemeinen Verbrechen, und daß auch in dieſem Fall das Allgemeine Landrecht ein Inſtitut des Deutſchen Rechts (die getreue Hand) in b) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 161. — Entwurf von 1847. Tit. 18. c) Reviſion von 1845. III. S. 36.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/478>, abgerufen am 05.05.2024.